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Der vermisste Sohn – vom Leben mit der Ungewissheit

Die SAT1-Fernsehreihe „Fahndung Deutschland“ befasst sich immer wieder mit Vermisstenfällen. Jetzt interviewte sie zum Thema unseren Kolumnisten, Deutschlands einzigem Vermisst-Experten außerhalb der Polizei.

Screenshot

Vor einigen Tagen habe ich Marion Krüger getroffen. Sie ist die Mutter von Florian Krüger, jenem 21 Jahre alten Jungen aus Bordesholm bei Kiel, der 2011 mitten in einer Novembernacht auf der Kieler Holtenauer Hochbrücke seinen Wagen mit laufendem Motor und klickender Warnblinkanlage stehenlies und spurlos verschwand.

Isabel Buder-Gülck, Reporterin für das Polizeimagazin „Fahndung Deutschland“ von SAT1, hatte mir vorgeschlagen, mich mit der Mutter des Vermissten in Kiel zu treffen, um ihr ein paar Tipps zu geben, wie sie mit dem Schicksal vielleicht besser umgehen und doch noch ein wenig die Suche nach ihrem Kind ausweiten könnte.

Ja, Florian Krüger ist für die Mutter immer noch der Junge, den sie gerne beschützen und vor allem Unbill des Lebens bewahren würde. Doch dazu hat sie seit einigen Jahren keine Gelegenheit mehr und so wäre sie heute schon froh, wenn sie aus der Ferne von ihm eine Nachricht bekäme, dass es ihm gut geht.

Denn Marion Krüger erlebt etwas Furchtbares: Die quälende Ungewissenheit, ob ihr Kind noch lebt oder tot ist.

Zunächst ging die Polizei davon aus, dass sich Florian selbst getötet hat. Auf seinem Handy fand sich eine SMS, dass er nicht weiterleben wolle. Sein Freund habe sich von ihm in der Nacht getrennt.

Doch ein Suchhund verfolgte seine Spur nicht an das Gitter der Brücke, von wo aus der Sprung ins Nichts möglich gewesen wäre, sondern den Weg von der Brücke hinab ans Ufer und dort endete sie. Später fanden sich etliche glaubwürdige Augenzeugen, die den Homosexuellen in Gay-Clubs gesehen haben wollen. In Duisburg, in Berlin, in Hamburg…

Zwischen den Gefühlen: Trauer und Hoffnung

So ist die Mutter seit Jahren hin- und hergerissen von ihren Gefühlen – der Trauer um den vermeintlich toten Sohn und der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit einem doch noch Lebenden.

Ich befasse mich ja nun schon seit mehr als 20 Jahren mit dem Schicksal der Angehörigen von Vermissten, berate sie und habe zuletzt auch einen „Ratgeber für Angehörige von Vermissten“ geschrieben. Zu dem Schlimmsten, was die Mütter und Väter, Ehefrauen und Ehemänner, Freunde und Freundinnen durchmachen, zählt neben einem organisatorischen Chaos, also der Abwicklung der zurückgebliebenen Habseeligkeiten der Verschwundenen, der Seelenschmerz. Er zerreißt die Menschen innerlich.

Es ist nur gut, dass wir wissen, dass die meisten der mehr als 100.000 bei der Polizei jährlich als vermisst registrierten Deutschen innerhalb von Wochen, Monaten oder wenigsten im Laufe eines Jahres wieder heimkehren. Aber mehr als 3000 Vermisste machen das nicht. Sie sind Langzeitvermisste, die erst nach Jahren oder Jahrzehnten oder nie mehr wieder auftauchen. Und 3000 Menschen werden Opfer von Verbrechen jedes Jahr. Mord. Totschlag. Entführung.

Das ist, so die Einschätzung der Polzei, aber bei Florian nicht der Fall. Bei ihm gibt es eben zwei „Erklärungen“: Selbst getötet oder selbst geflüchtet in eine neue Identität.

In Kiel traf ich nun eine durchsetzungsstarke Mutter, die nicht aufhört nach Lebenszeichen von Florian zu suchen: „Ich will ja nicht sein Leben bestimmen. Ich möchte nur wissen, ob es ihm gut geht.“

Sie gab Interviews in den Medien, veröffentlicht mit Hilfe von Freunden eine Internetseite. Sie reiste durch Deutschland auf der Spur ihres Kindes. Bis heute vergeblich.

Marion Krüger hatte auch mich vor einigen Jahren kontaktiert und wir hatten eineinhalb Stunden miteinander gesprochen. Ich musste ihr gestehen, dass ich mich an dieses Telefongespräch nicht mehr erinnern konnte. Ich berate etliche Angehörige jedes Jahr und mir entfallen viele dieser Schicksale.

Vielleicht ist das auch ein unbewusster Schutz für mich, denn die meisten dieser Gespräche handeln von großem menschlichen Leid. Und ich gestehe auch: Ich mache das auch nur seit mehr als 20 Jahren, weil es in Deutschland nicht eine einzige staatliche Stelle gibt, die die Angehörigen professionell berät und ihnen hilft ein wenig Licht in der größten Krise ihres Lebens zu sehen.

Es ist schwer, Menschen wie Marion Krüger einen Rat zu geben. Wie soll sie ihren Schmerz des Verlustes bewältigen? Ich habe ihr, wie auch schon anderen Angehörigen geraten, sich vorzustellen der Sohn wäre auf eine lange Reise gegangen. Positive Bilder kann der Mensch besser verarbeiten als Schreckensnachrichten.

Man kann ihr nicht raten, mit der Suche aufzuhören oder mit dem Sohn abzuschließen. Mütter können so etwas nicht. Ihnen bleibt nur der Weg der Hoffnung. Und dazu wünsche ich ihr viel Glück.

Machen Sie’s gut. Bis nächsten Freitag. Auf einen Cappuccino…
                                      Ihr Peter Jamin

Unser Autor arbeitet als Schriftsteller und Publizist sowie als Berater für Kommunikation seit Jahrzehnten immer wieder auch für ausgewählte Projekte. Sein soziales Engagement gilt der Situation von Angehörigen vermisster Menschen, auf deren Situation er in Büchern, TV-Dokumentationen und Artikeln seit mehr 20 Jahren aufmerksam macht. Mehr unter www.jamin.de

 

Peter Jamin

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