Früher war alles besser? Aber nein. Nur anders. Trotzdem beschleicht mich heutzutage bei vielen Begrifflichkeiten das Gefühl: Irgendwas läuft hier schief.
Früher habe ich Tickets für ein hoch qualifiziertes Rock- oder Pop-Konzert gekauft. Einfach so: Geldschein beim Kartenverkäufer vorgelegt, Ticket erhalten – fertig. Heute „sichere“ ich mir das Ticket. Jedes Ticket. Für alles. Und Jedes. Für das Konzert. Und für die günstige Farbe beim Malermeister. Und für das Dinkelbrot mit Nussrand – nur heute, nur so. Nicht kaufen. Sondern „sichern“. Sicher ist anders. „Sichern“ auch.
Früher habe ich eingekauft. Und mich gefreut, wenn es auf bestimmte Produkte Rabatt gab. Heute „genieße“ ich die Vorteile beim Einkaufen – weil das da so steht. Nicht mitnehmen, sondern genießen. Ich „genieße“ das 1 Prozent Preisabzug auf mein Shampoo. Die 2 Prozent auf meine Schuhe. Und die Möglichkeit, beim Sandwich-Mann um die Ecke aus vier Brotsorten, fünf Dressings, acht Belägen, vier Soßen und fünf Toppings MEIN Sandwich bauen zu lassen. Was alle anderen auch so machen (müssen). Dank mangelnder Entscheidungsfreude führt dies zu endlosen Wartezeiten. Genießen geht anders.
Früher las ich Zeitungen, bei denen über einem bezahlten, redaktionellen Text „Verlags-Sonderveröffentlichung“ stand. Heute lese ich „Advertorial“. Also bezahlte Werbung, getarnt als redaktioneller Text. Schön? Nein. Niemals.
Früher hörte ich auf gute Freunde, die mir bestimmte Dinge empfohlen haben. Diese und jene Langspielplatte. Oder diese oder jene Fachzeitschrift zu Rock, Pop oder zum Überleben. Oder dieses oder jenes Müsli. Heute gibt es dafür Influencer. Im Netz. Immer erfolgreich. Immer werbend. Immer im Auftrag der Industrie. Ich nenne das Schleichwerbung.
Früher war alles besser? Aber nein. Es ging im Alltag aber vielfach ohne dieses anstrengende Marketing-Sprech und Bla-Bla. Ein sicherer Hochgenuss!
Wolfram Lotze