Das Bild des Menschen als Ausgangspunkt für sein künstlerisches Schaffen: Giacometti suchte nach einem vollendeten Ausdruck für das Bild und die lebendige Kraft des Menschen. Die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Antlitz faszinierte ihn.
Schon sehr früh begann er, Köpfe, Gesichter und stehende wie sitzende Porträtfiguren zu zeichnen und zu modellieren. Modell standen vor allem zu Beginn Familienmitglieder, aber auch andere Menschen aus seinem Umfeld, etwa bekannte Intellektuelle und Künstler aus dem Paris der Nachkriegszeit. Giacometti entwickelte eine Obsession für Gesichter.
Das Bucerius Kunst Forum zeigt eine große formale Bandbreite und die Entwicklung der meisterhaften Porträtkunst Giacomettis – von der realistischen Wiedergabe bis zur Abstraktion, vom individuellen Porträt bis zur anonymen Figur. So sind Köpfe seine Vaters aus verschiedenen Materialien gefertigt und in unterschiedlichen Formsprachen zu sehen. Die Formen seiner Skulpturen lösen sich immer weiter auf bis hin zu abstrakten Formen. Die einfache, moderne Ausstellungsarchitektur mit schlichten weißen Wänden unterstreicht die kraftvolle Präsenz der Kunstwerke Giacomettis.
Die lebendige Kraft im Bild
Giacometti wollte nicht einfach abbilden. Er versuchte, Lebendigkeit und Kraft im Bild auszudrücken. Diese fand er vor allem in den Blicken seiner Modelle und so konzentrierte er sich häufig auf die Augenparteien. Die Präsenz und Ausdruckskraft seiner Kunstwerke ist faszinierend und doch strebte der Künstler selbst nach noch perfekteren Darstellungen. Eva Hausdorf, Kuratorin der Ausstellung, erzählt: „Nach seiner Aussage und Erinnerungen von Zeitgenossen soll es fast unmöglich gewesen sein, lebendige Kraft im Bild zu erfassen“. So habe er immer die Hoffnung gehegt, seine Plastiken oder Gemälde am kommenden Tag zu vollenden.
Annäherung durch Distanz
Auch experimentierte Giacometti immer wieder mit Nähe und Distanz, das in dem Größenverhältnis seiner Kunstwerke Ausdruck findet. Mitte der 1930er-Jahre begann er, sehr kleine Plastiken – Köpfe und Figuren – auf verhältnismäßig großen, teilweise blockartigen und stufigen Sockeln zu positionieren. Dadurch wirken diese Plastiken wie aus großer Entfernung betrachtet. Giacometti war der Ansicht, dass sich nur über diese Distanz ein Gesamteindruck des abgebildeten Menschen vermitteln ließe.
Körperliche Wahrnehmung
Später verlor das traditionelle Porträt als Motiv und Darstellung an Bedeutung. Vielmehr zählte für Giacometti nun die aktive Wahrnehmung im zeitlichen und örtlichen Kontext, in dem der Betrachter sich in Beziehung zum Kunstwerk setzt.
Giacometti wollte in sein Gegenüber „eindringen“ und die lebendige Kraft seiner Modelle festhalten. Es entstehen sitzende und stehende, überstreckte Figuren. Indem er die äußeren Bewegungsmöglichkeiten seiner Plastiken einschränkt, lenkt er auf die Wahrnehmung auf die innere Lebendigkeit.
Kunst als Kommunikation
In seiner Pariser Zeit fertigte Giacometti zahlreiche Skizzen, Zeichnungen und Plastiken seiner Gesprächspartner aus dem Kreis der Existentialisten, in dem er fester Gesprächspartner war – als Wahrnehmung des Gegenübers und Annäherung. Insofern lassen sich Giacomettis Kunstwerke als Mittel der Kommunikation bewerten. Durch diesen Ansatz korrigiert die Ausstellung das mythenhafte Bild des Einzelgängers.
„Alberto Giacometti. Begegnungen“
Bucerius Kunst Forum, bis 20. Mai 2013
Öffnungszeiten: täglich 11 bis 19 Uhr, donnerstags 11 bis 20 Uhr
Weitere Informationen: www.buceriuskunstform.de
Das Bucerius Kunst Forum bietet ein umfangreiches begleitendes Programm aus unter anderem Literatur, Musik, und Vorträgen, das Einblicke in das Lebens des Künstlers, seiner Familie und Freunde gewährt.
Ergänzende Ausstellung:
„Giacometti. Die Spielfelder“
Hamburger Kunsthalle (Galerie der Gegenwart), bis 19. Mai 2013
Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, donnerstags 10 bis 20 Uhr. Weitere Informationen: www.hamburger-kunsthalle.de
Lesen Sie mehr über beide Ausstellungen:
Doppelt bereichernd: Zwei Hamburger Giacometti-Ausstellungen und
Hamburger Kunsthalle: Giacometti. Die Spielfelder
— Tanja Königshagen —
Bildquellen
- Giacometti kleine Büste Silvios auf Doppelsockel 1943/44: Privatsammlung, Schweiz, © Succession Alberto Giacometti (Fondation Alberto et Annette Giacometti, Paris + ADAGP, Paris) 2013