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Kolumnen & Glossen

Alles auf Rot

Die Bedeutung der Farbe Rot ist sehr vielseitig. Sie steht für Liebe, Erotik, Aggression und Gefahr. Im folgenden kollagenartigen Text nimmt Sie unser Kolumnist Andreas Ballnus mit auf eine Reise durch die Vielschichtigkeit dieser faszinierenden Farbe.

Die Bedeutung der Farbe Rot ist sehr vielseitig. Sie steht für Liebe, Erotik, Aggression und Gefahr. Im folgenden kollagenartigen Text nimmt Sie unser Kolumnist Andreas Ballnus mit auf eine Reise durch die Vielschichtigkeit dieser faszinierenden Farbe.

Alles auf Rot. Nichts geht mehr. Rien ne va plus.
Die Ampeln vor den Elbbrücken. Die Anzeigen vor dem Elbtunnel. Bremslichter.

Alles auf Rot. Nichts geht mehr.
Fußgänger warten. Lange Schlangen an den Kassen der Supermärkte. Menschenmassen schieben sich zäh durch die Fußgängerzonen der Innenstadt. Und die ewigen Warteschleifen von überforderten Telefonzentralen bitten um noch etwas Geduld und spielen dabei unaufhörlich das Lied vom Tod.

Stau. Stillstand. Warten aufs Weiter.

Alles auf Rot – das sind trommelnde Finger auf dem Lenkrad. Geballte Fäuste in den Hosentaschen. Schwerer Atem. Zusammengepresste Lippen. Verkniffene Gesichter. Schimpfen und Fluchen. Gedankenkreise. Schweißperlen. Anspannung pur. Und immer wieder dieses elend-langsam vorwärtskriechende Weiterkommen.

Alles auf Rot. Das ist Hektik trotz Stillstand. Der Hals schwillt an. Und es wächst der Wunsch nach dem Herauswürgen dieses einzigen, tiefen und alles erlösenden Schreies, der irgendwo zusammengepresst in meinem Kehlkopf sitzt. Und es entstehen Monologe, die zu Dialogen werden, mit unbekannten Gegnern inmitten dieser ätzenden Langsamkeit:

„Was macht der denn da? …. Das kann ja wohl nicht angeh’n! …. Sind denn heute nur noch Idioten unterwegs? …. OK, beherrsch dich Junge, bleib ganz ruhig! …. Mein Gott, nun fahr schon zu! …. Ruhig Junge, ganz ruhig bleiben! …. Verfluchter Mist, ich komm zu spät! …. Wo ist bloß schon wieder dieses scheiß Handy? …. Tief durchatmen Junge, du schaffst das noch! …. Verdammt, welcher Arsch hupt denn da? …. Ja, ja ich fahr doch schon! …. Nun hör schon auf zu hupen! …. Hör auf zu hupen, hab ich gesagt! …. Du sollst endlich aufhören zu hupen, sonst gibt’s was aufs Maul, kapiert! …. Verdammte Scheiße, hör endlich auf! …. OK, jetzt reicht’s! …. Ich – mach – dich – platt …!“

Alles auf Rot. Ventile knallen durch. Amok. Blutrausch. Chaos. – Und mitten drin: ich!

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Alles auf Rot! Achtung! Alarm!
Signalfarben in Rot springen kreischend ins Auge. Aufgeregte bis zum Kollaps blinkende Lämpchen, nervös flatternde Fähnchen, kleine rote Hütchen am Straßenrand und stoisch ruhig stehende Schilder, die mir den Weg versperren wollen.

Alles auf Rot. Alarmanlagen bringen Stimmung ins verschlafene Quartier.

Alles auf Rot! Unfall! Katastrophe! Eine Notbremse. Ein Absperrband. Ein Stoppschild.

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Alles auf Rot! Hier gibt’s was zu sehen! Hier ist was los!
Ein Reeperbahnbummel an einem lauen Samstagabend im Sommer. Aufgekratzte Touristengruppen laufen kreischend lachend in Trachten über den Kiez.

Alles auf Rot. Ich bin mitten drin. Leuchtreklamen schreien nach mir, sie wollen mich anlocken und verführen. Mein Geld ist ihr Geld, und so säuseln sie mir unablässig süß ins Ohr: „Kauf ein, greif zu! Kauf ein, greif zu!“ Und ich lasse mich von den Touristengruppen weiter vorwärtstreiben. Und ich frage mich, warum ich ausgerechnet über die Reeperbahn bummeln musste, und dann auch noch an einem lauen Samstagabend im Sommer. Und ich will ausbrechen, doch die Leuchtreklamen haben mich längst in ihren Bann gezogen und lassen mich nicht wieder frei.

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Alles auf Rot! Alles ist möglich! Alles ist drin! Energie! Power! Kraft!

Alles auf Rot! Ich lebe! Ich lache! Ich fühle mich lebendig und stark!
Ich könnte Bäume ausreißen vor Lebenslust, und ich könnte die Elbe locker dreimal trockenen Fußes überqueren! Ich komme voran! Ich erreiche mein Ziel! Ich weiß, was ich will! Kein Hindernis ist zu hoch! Kein Weg ist zu schwer! Die Zukunft gehört mir! Die Zukunft bin ich! – Ich sage nur: „Alles auf Rot!“

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Stille. – Stille und alles auf Rot.

Langsam pochende Aufregung. Die Spannung steigt. Schmetterlinge im Bauch. Mit dem Abendrot an der Elbe fing alles an. Deine roten Lippen …, deine roten Lippen saugten mich geradezu auf.

Eigentlich kann ich Lippenstift und Make-up nicht ausstehen, doch jetzt … – Alles auf Rot! Wir wälzen uns in unserem Schweiß. Unsere Herzen rasen. Ekstase!

„Ich liebe dich – hörst du: Ich – liebe – dich!“

Ich würde es ja herausschreien, wenn nicht gerade dein Mund an meinem …

„Hey, was machst du da? … Hey, was hast du jetzt mit mir vor …?“

Alles auf Rot! Tabus fallen. Wir toben uns aus bis zur hemmungslosen Erschöpfung. Noch keuchend kuscheln wir uns langsam in den Schlaf und lächeln uns durch geschlossene Augen an.

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Und dann? – Dann wird es wieder Morgen. Der Himmel leuchtet rot auf. Aus der Nacht erhebt sich langsam die Silhouette Hamburgs. Und vor den Elbbrücken, an den Fußgängerampeln und in den Warteschlangen der Supermärkte geht es wieder von vorne los. Dann ist wieder alles auf Rot. Und die Ungeduld wächst. Und nichts geht mehr. Und die Finger trommeln wieder hektisch auf dem Lenkrad. Und der Atem wird immer flacher. Und dieser nicht geschriene Schrei wächst in meiner Kehle zu einem immer größer werdenden Knoten an. Doch plötzlich …

… plötzlich ist da ein Gedankenblitz. Tausende von Farben blühen in mir auf, und jede Farbe zeigt mir einen anderen Weg. Und ich bin wie benommen von dieser unglaublichen Vielzahl an Möglichkeiten. Und ich könnte heulen vor Glück und Erleichterung. – Und dann setze ich doch wieder alles auf Rot! Aber jetzt geht plötzlich noch etwas. Viel mehr, als ich mir je hätte vorstellen können, geht auf einmal. So wie heute. So wie jetzt gerade in diesem Moment.

 

– Andreas Ballnus —

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ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Außerdem ist er Gründungs- und Redaktionsmitglied der Stadtteilzeitung „BACKSTEIN“. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

Bildquellen

  • Andreas Ballnus: Sebastian Lindau
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