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Kolumnen & Glossen

Dauersingle

Es gibt viele Singles in Deutschland. Glückliche und unglückliche, solche, die „auf der Jagd“ sind, und andere, die das Single-Leben genießen. Letztere stehen schnell unter dem Generalverdacht, niemanden abbekommen zu haben, nicht bindungsfähig zu sein, oder andere gravierende Probleme mit sich und ihrem sozialen Umfeld zu haben. Mit diesen Vermutungen und den daraus resultierenden Reaktionen muss man umgehen können – ein manchmal langer Lernprozess. Unser Autor Andreas Ballnus hat sich dazu seine eigenen Gedanken gemacht.

Antonioguillem / Fotolia.com

Manchmal wünsche ich mir, ich wäre schwul. Das würde zumindest die lästige Fragerei beenden, ob ich denn immer noch solo bin. Es ist ja rührend, wie viele Menschen sich Sorgen um mich machen, aber die ewige Fragerei geht mir doch ziemlich auf die Nerven.

Erwartungsvolle Blicke signalisieren mir, wie sehr sich meine Umwelt nach einer Erfolgsmeldung sehnt. Doch ich enttäusche sie regelmäßig. Es ist völlig egal, was ich sonst noch sage: Die Nerverei hört nicht auf. Fast immer folgt die Frage nach dem „Warum?“.

Sage ich, dass ich gerne alleine lebe, so wird mir nicht geglaubt. „Das sagst du jetzt, wo du das andere noch gar nicht richtig kennengelernt hast“, wird mir außerdem entgegnet. – Stimmt, ich habe das tatsächlich noch nicht so wirklich erlebt. Meine bisherigen Beziehungen waren eher kurz. Einen gemeinsamen Haushalt mit anderen Menschen habe ich seit meinem Auszug von zu Hause nicht mehr gehabt. Aber muss ich denn alles einmal erlebt haben? Sicherlich nicht. Ich werde auch nicht zum Mond fliegen, kein Bungee springen oder ein Sadomaso-Studio besuchen. Eine Reihe meiner inzwischen wieder geschiedenen Bekannten sieht das ähnlich – die sind jetzt auch sehr gerne alleine.

Gleiche Warum-Frage, andere – auch relativ ehrliche – Antwort: „Ich habe noch nicht die Richtige gefunden!“ Oh, oh, ganz schlecht! Das zieht sofort ermahnende Blicke nach sich. Ich soll nicht so hohe Ansprüche stellen, lautet die nachdrücklich vorgetragene Empfehlung. – Na, da wird sich aber meine Vielleicht-irgendwann-doch-Zukünftige freuen, wenn ich ihr erkläre, dass wir nur deswegen zusammen sind, weil ich meine Ansprüche heruntergeschraubt habe. Das sind die Komplimente, die einen wirklich einsam machen und alt aussehen lassen.

„Ich genieße meine Freiheit!“ – Das kommt bisher noch am besten an. Vor allem verheiratete Männer nicken mir bei dieser Antwort anerkennend, manchmal auch etwas neidisch, zu. Allerdings scheint diese Taktik nur kurzfristig zu funktionieren. Zumindest stelle ich fest, dass mir in letzter Zeit häufiger süffisant lächelnd die Frage gestellt wird, ob ich denn immer noch meine Freiheit genießen würde.

Nee, nee, da ist es doch viel einfacher zu sagen, dass ich schwul bin. Heutzutage sind Schwule ja weitgehend salonfähig geworden. Sogar zum Bürgermeister und Außenminister haben es manche von ihnen bereits gebracht. Gut, Mutti wäre wahrscheinlich traurig, weil ich ihr keine Enkelkinder schenke. Aber dafür würde sie sich wegen meines anhaltenden Singledaseins keine Sorgen mehr machen. Auch für die Verwandtschaft wäre es weitgehend in Ordnung, wenn da ein Schwuler unter ihnen wäre. Ein bisschen exotisch zwar und gut für hinterrücks geführte Tuscheleien, aber harmlos. Der tut nichts, wird vielleicht sogar mal Bürgermeister.

Ein schwules Pärchen dagegen wäre schon etwas ganz anderes. Das fällt auf. Da wird genauer hingeguckt. Und es würde wahrscheinlich gar nicht gut ankommen, wenn auf Omas Achtzigstem plötzlich ihr Enkel mit einem anderen Mann herumknutscht.

Nee, nee – ein schwuler Single ist schon OK. Aber ein schwules Pärchen?
Nee, nee – da fragt man dann doch lieber gar nicht erst nach, ob der Junge noch immer alleine ist.

 

– Andreas Ballnus —

_________________________

ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Außerdem ist er Gründungs- und Redaktionsmitglied der Stadtteilzeitung „BACKSTEIN“. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

Bildquellen

  • Andreas Ballnus: Sebastian Lindau
  • fotolia_125085956_xs: Antonioguillem / Fotolia
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Hier finden Sie eine Übersicht aller Beiträge, die von Andreas Ballnus erschienen sind.

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Lesen Sie auch die  Buchbesprechung zur Antologie „Tierisch abgereimt“.

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