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Gesundheit & Sport

Woher kommt unser Stress wirklich? Und was hilft?

Was tun gegen den sich immer weiter ausbreitenden Burnout, die seelischen oder psychosomatischen Erkrankungen? Behörden-MitarbeiterInnen, ArbeitnehmerInnen besonders im sozialen Bereich, aber auch in den Büros fallen in immer höheren Zahlen aus, durch Krankentage, Kuren, Vorruhestand. Manager lassen sich nicht schnell krankschreiben, sondern kippen irgendwann plötzlich ganz raus aus der Karrierespirale. Vorher machen sie gravierende Fehler aus Überbelastung, Isolation von ihrer Mitarbeiterschaft und schädlichem Multitasking. Gegensteuerungsversuche gibt es viele, doch was ist ein Erfolg versprechender Ansatz?

F. Matheis

Psychostress am Arbeitsplatz

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach fordert: „Das Thema Psychostress am Arbeitsplatz muss ganz oben auf der politischen Agenda bleiben, weil der Arbeitsplatz Stressfaktor Nummer eins ist, und Arbeitsstress Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe verursacht.“ Bei den jährlichen Krankheitstagen wegen psychischer Erkrankungen habe es in den vergangenen 15 Jahren einen Anstieg um mehr als 80 Prozent auf 59 Millionen gegeben.

Klar ist, dass es eine Flut von Angeboten gibt, die darauf reagieren: Stressmanagement, Antistress-Workshops, Arbeitsplatzgesundheitsförderung, ergonomische Arbeitsplätze, Sport am Arbeitsplatz usw. Doch all dies nützt wenig, wenn nicht der selbst verursachte Stress unter die Lupe genommen wird.

Der Mensch ist von Natur aus nicht eingerichtet auf die sich ständig beschleunigende und komplexer werdende Arbeitswelt. Er versucht mit seinen eigenen Bordmitteln und mit seiner psychischen Disposition, die nach Anerkennung hungert, darauf zu antworten. Entweder fängt er dann an, Fehler zu verschleiern und gleichzeitig darunter zu leiden, oder er kurbelt seinen eigenen ‚inneren Antreiber’ immer mehr an, um die Leistung zu bringen, die von ihm erwartet wird.

Im Gehirn und im Körper geschieht bei Stress folgendes Szenario:

Auf situativ erhöhte Anforderungen reagieren Gehirn und Körper mit einer Stressreaktion. Wenn etwas geschieht, das Stress auslösen könnte – natürlicherweise eine bedrohliche Gefahrensituation – werden im limbischen System des Mittelhirns besonders die Amygdala und der Hippocampus aktiviert. Diese senden Signale an benachbarte Bereiche des Gehirns, den Hypothalamus und die Hypophyse, was zur Ausschüttung von Hormonen in den Blutkreislauf führt. Daraus folgt dann die Freisetzung von Adrenalin und Cortisol von den Nieren an den Blutkreislauf. Gleichzeitig werden von Amygdala und Hippocampus Signale an das sympathische Nervensystem gesendet, um den Herzschlag zu beschleunigen und das Blut schneller in die Muskeln von Armen und Beinen zu transportieren. Dies dient dem natürlichen Zweck fliehen oder kämpfen zu können, wenn es ausnahmsweise nötig ist. Der gleiche Prozess vollzieht sich aber auch bei Stress dauernd im Arbeitsalltag. Und hier wirkt er nicht mehr nur kurzfristig, um eine unmittelbare Notsituation zu überleben, sondern als schädlicher Dauer-Stress. Dieser langfristige Stress ist unnatürlich, und er hat den beklagten körperlichen und mentalen Abbau der Gesundheit zur Folge.

Anhaltende Gesundheitsfürsorge – eine Kunst

Anhaltende Gesundheitsfürsorge greift nur, wenn auch Angestellte ihr Arbeitssoll und ihre Arbeitsplatzbedingungen einmal wie von außen analysieren und mit ihren eigenen Kompetenzen, ihrem Energiepotenzial und ihrer mentalen Leistungskraft abgleichen können. Abgleichen, um zu hinterfragen, ob sie am richtigen Platz sind oder etwas grundlegend geändert werden muss. Anschließend gilt es mit den Vorgesetzten ins Gespräch zu kommen. Dazu muss jedoch eine Gesprächskultur und ein beidseitiges Interesse an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Betrieb vorliegen oder gefördert werden.

Darüber hinaus: Betriebliches Gesundheitsmanagement nützt überhaupt nichts, wenn nicht der Mensch in all seinen Lebensbereichen achtsamer agiert. Unser Stress hört nicht mit Ende des Betriebstages auf. Permanent sind wir online, in sozialen Netzwerken, wir leisten uns keine Entspannung, nur noch mehr privaten Leistungsdruck, sogar durch Sport, der eigentlich das Stresshormon Cortisol abbauen soll. Aber auch diese eigentliche Wohltat kann zum Druck werden, der wieder Zeitdruck setzt.

Viele Kurse lehren Entspannungstechniken und geben Tipps für besseres Zeitmanagement. Betriebliche Maßnahmen setzen bei verbessertem Zeitmanagement, Denk- und Lesebeschleunigung und Arbeitsplatzergonomie an. Ab und an liest man auch in diesen Angeboten von der Analyse des eigenen Stressverhaltens und Entspannungstechniken.

Nachhaltiges Fokussierungs-Training

Aber wann nützt Vorbeugung oder Nachsorge nach einem Ausfall oder einer Krisenintervention wirklich? Nur, wenn etwas mehr Zeit und Energie in ein grundlegendes Verstehen und eine dementsprechende Neuaufstellung des eigenen Verhaltens investiert wird. Und zwar, um die eigenen früh geprägten negativen Glaubenssätze aufzuspüren, die uns immer wieder selbst unter Druck setzen oder anderen erlauben, uns Daumenschrauben anzulegen.

Bei einem nachhaltigen Fokussierungs-Training geht es darum, uns wieder als ein Selbst zu spüren, das eigene Werte hat, das Lebens- und Nah-Ziele selbst setzt. Es geht darum, sein Leben (lustvoll) motiviert selbst zu steuern und seine eigenen Wünsche und Pläne zu denen des Unternehmens und der jeweiligen Aufgabengebiete in Bezug zu setzen. Nur wenn Leistungsanforderungen und Leistungsbereitschaft weitgehend übereinstimmen, können wir Zufriedenheit und anhaltende Gesundheit erzielen.

Wir können dann auch selbstbewusst Veränderungen mit in die Wege leiten. Wenn beides auseinanderklafft, wir aber trotzdem aus tausend Ängsten und Befürchtungen am angestammten Arbeitsplatz bleiben, werden wir immer wieder krank. Ein Schnitt ist dann oft die bessere Lösung und führt nicht selten zum endlich passenden Arbeitsumfeld. Und das optimaler Weise mit Coaching-Begleitung, um nicht wieder in alte Fallen zu stürzen.

Losgelöst vom Alltag – ein wirklicher Neustart

Leider bezahlen Arbeitgeber heute noch keine solch umfassenden selbst aktivierenden Work-Life-Balance-Seminare. Sie sehen noch nicht, dass nicht nur das Arbeitsleben in den Fokus genommen werden muss, wenn Selbstverantwortung der Arbeitnehmer gefördert werden soll. Solange das noch nicht so ist, sind die Workshops der Krankenkassen eine zukunftsweisende Ergänzung zum betrieblichen Gesundheitsmanagement. Was allerdings am tiefsten und nachhaltigsten wirkt, sind die von den Betroffenen selbst bezahlten Work-Life-Balance-Seminare von freien Anbietern. Sie haben den Vorteil der ganzheitlichen Sichtweise, des individuellen Coachings und der Anonymität. Sie werden bewusst nicht betriebsbezogen gegeben. Und manchmal mit Bedacht in einer vom Alltag losgelösten Umgebung. Natürlich ist das eine Selbst-Investition in die eigene Zukunft, in die eigene Gesundheit und Zufriedenheit. Und diese wirkt meistens stärker als betrieblich Verordnetes. Übrigens können solche Kurse auch individuell je nach Fallsituation steuerlich abgesetzt werden.

 

— Ruth-Esther Geiger und Friederike Matheis —

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MEHR ZU DEN AUTORINNEN

Ruth-Esther Geiger und Friederike Matheis, Coachs und Trainerinnen von Pro-Viel-Seminare GbR, www.pro-viel-seminare.de. Sie geben selbst regelmäßig Life-in-Balance-Seminare, u.a. auf Samos.

Bildquellen

  • dsc_0730: F. Matheis
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