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Kolumnen & Glossen

Grüßen auf Amrum

Bereits in der Geschichte „Fahrtwind“ wurde die Vorliebe unseres Kolumnisten Andreas Ballnus für die Insel Amrum als Urlaubsziel deutlich. Der folgende Text ist diesmal eher ein augenzwinkernder Erfahrungsbericht über die Grußgewohnheiten der Urlauber auf Amrum.

Bereits in der Geschichte „Fahrtwind“ wurde die Vorliebe unseres Kolumnisten Andreas Ballnus für die Insel Amrum als Urlaubsziel deutlich. Der folgende Text ist diesmal eher ein augenzwinkernder Erfahrungsbericht über die Grußgewohnheiten der Urlauber auf Amrum.

Ich bin auf Amrum, und hier sagt man, so, wie auch in vielen anderen Regionen Norddeutschlands, zur Begrüßung „Moin“. Einfach nur „Moin“. Nicht etwa „Moin, moin“ – das ist eher die Hamburger Variante. Man sagt es zu jeder Tages- und Nachtzeit. Meine Pensionswirtin hat sogar bei ihren E-Mails und Briefen an mich häufig das „Sehr geehrter Herr“ weggelassen, und stattdessen mit einem kurzen, knappen „Moin“ begonnen.

Jetzt bin ich also auf Amrum. Ein Feriengast unter vielen. Wenn man sich hier bei Spaziergängen über den Weg läuft, ist es üblich zu grüßen – so, wie ich es auch von anderen Urlaubsregionen her kenne. Ich mache das ebenfalls, meistens zumindest. Manchmal bin ich allerdings so in Gedanken versunken, dass ich es vergesse, und manchmal habe ich einfach keine Lust dazu.

Grundsätzlich, so meine Theorie, kann man auf Amrum am Grüßen erkennen, ob es sich um einen Anfänger-Feriengast, fortgeschrittenen Feriengast oder erfahrenen Stammgast handelt.

Der Anfänger-Feriengast grüßt von sich aus gar nicht. Wenn er selber gegrüßt wird, reagiert er oft sehr überrascht oder irritiert, grüßt aber in der Regel zurück – allerdings nicht mit „Moin“, sondern so, wie er es von daheim gewohnt ist. Manchmal hält er aber auch inne, da er denkt, man wolle ihn etwas fragen oder ein Gespräch beginnen. In Einzelfällen erlebte ich es sogar, dass sich Frauen leicht pikiert abwandten, weil sie dachten, ich wollte sie auf diese Art und Weise anbaggern.

Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen. Man kennt sie ja von überall her: Die Gruß-Muffel. Oder solche Leute wie mich – Menschen, die dermaßen tief in ihren Gedanken versunken sein können, dass sie alles andere um sich herum nicht mehr wahrnehmen. Bei Paaren oder Gruppen kann es außerdem vorkommen, dass einer stellvertretend für alle grüßt, oder dass man so in einem Gespräch vertieft ist, dass an das Grüßen überhaupt nicht gedacht wird.

Beim Übergang vom Anfänger-Feriengast zum fortgeschrittenen Feriengast, wird gegrüßt, aber eben nur auf die Art und Weise, wie es in der Heimatregion üblich ist. So kommt es vor, dass der eine Feriengast mit „Moin“ grüßt und der andere mit „Grüß Gott“ antwortet – oder umgekehrt. Sehr typisch ist auch, dass ein „Moin“ mit „Morgen“ oder „Guten Morgen“ beantwortet wird. Völlig falsch, aber das weiß der mit ersten Gruß-Erfahrungen ausgestattete Anfänger-Feriengast geschweige denn der totale Anfänger-Feriengast natürlich noch nicht.

Auch hier gibt es Ausnahmen. Es handelt sich dabei oft um Menschen, die so eng mit ihrer Heimat und den dortigen Begrüßungsritualen verbunden sind, dass sie sich an ein einfaches „Moin“ – es wird übrigens einsilbig ausgesprochen – nicht gewöhnen können und es daher auch nicht über die Lippen bekommen. Ob solch ein Tourist überhaupt die Chance hat, jemals als fortgeschrittener Feriengast oder gar erfahrener Ferienstammgast anerkannt zu werden, ist eine Frage, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll.

Die fortgeschrittenen Feriengäste, zu denen ich mich zähle, grüßen mit „Moin“ – zumindest bemühen sie sich darum. Hin und wieder rutscht ihnen dann aber doch noch ein „Guten Tag“, „Hallo“, „Grüß Gott“, „Servus“ oder etwas Ähnliches aus dem Mund. Dies geschieht vor allem dann, wenn man in Gedanken versunken einem fortgeschrittenen Anfänger-Feriengast begegnet, der einem seine heimische Grußformel entgegenschmettert. Doch insgesamt hat der fortgeschrittene Feriengast die hiesigen Gruß-Spielregeln verstanden und übernommen.

Der erfahrene Ferienstammgast verplappert sich nie. Er grüßt mit „Moin“, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Dieser Meister unter den Feriengästen lässt sich weder von Sturm noch Regen, gleißender Sonne, schreienden Kindern, kreischenden Möwen oder Anfänger-Feriengästen ablenken – er sagt zur Begrüßung „Moin“.

Wenn überhaupt, dann kann man ansonsten den erfahrenen Ferienstammgast nur noch an seiner Kleidung und dem eventuell mitgeführten Rucksack von den Einheimischen unterscheiden. Zumindest so lange, wie er nur „Moin“ sagt. Spricht er weiter, kann ihn natürlich sein Dialekt oder etwas von dem, was er erzählt, verraten. Abgesehen davon besteht nur noch die Gefahr, ihn mit zugereisten Insulanern zu verwechseln. Wenn diese lange genug auf der Insel leben, haben sie in der Regel das „Moin“ übernommen. So gibt es zum Beispiel auf Amrum eine Pizzeria, die von einem Inder betrieben wird, der schon lange auf der Insel lebt. Er und sein indischer Angestellter begrüßen die Gäste mit einem akzentfreien „Moin“.

Die einzigen, aber sehr selten vorkommenden Ausnahmen, sind Anfänger-Feriengäste und fortgeschrittene Feriengäste, die das hiesige Begrüßungsprozedere sehr schnell gelernt und für sich übernommen haben. Hierbei handelt es sich entweder um Naturtalente oder Streber.

Übrigens machte ich vor einigen Jahren nach einem Essen in der erwähnten Pizzeria noch einen kleinen Spaziergang durch den Ort. Es war nach zweiundzwanzig Uhr und schon sehr dunkel. Den Tag über hatte es – so, wie auch an den beiden Tagen zuvor – fast ununterbrochen geregnet. Auch jetzt war die Luft noch sehr feucht, und man konnte weder die Sterne noch den Mond sehen. Ein älteres Ehepaar im typischen Schlecht-Wetter-Feriengast-Outfit – also mit Regenhose und leuchtend roter Regenjacke bekleidet – kam mir entgegen. Im schwachen Licht an einer Stelle zwischen zwei Straßenbeleuchtungen begegneten wir uns. Ich war in meinen Gedanken damit beschäftigt, den Ärger über die verregneten Tage zu verarbeiten. Darum dachte ich erst im letzten Moment daran, die beiden zu grüßen.

„’n Abend!“, rutschte es aus mir heraus.

„Moin!“, antwortete der Mann wie aus der Pistole geschossen, und ich merkte natürlich sofort, was geschehen war.

Ach ja, es wird noch dauern, bis ich zu dieser Elite der Feriengäste gehöre – den Stammgästen auf der Nordsee-Insel Amrum.

 

– Andreas Ballnus —

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ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Außerdem ist er Gründungs- und Redaktionsmitglied der Stadtteilzeitung „BACKSTEIN“. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

Bildquellen

  • Andreas Ballnus: Sebastian Lindau
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