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Kolumnen & Glossen

Kolumne „Kann passieren …“ – Leben glatt poliert

Auch, wenn sich unser Autor Andreas Ballnus standhaft weigert, in den Kanon derer mit einzustimmen, die sagen, dass früher alles besser war, so registriert er natürlich die Veränderungen um sich herum. Vieles ist anders als früher, und mit manchen Entwicklungen kommt er besser zurecht als mit anderen. Der folgende Text ist ein kleiner und teils auch satirischer „Rundumschlag“ hinsichtlich einiger dieser Veränderungen.

Foto: Favorit-Media-Relations GmbH

Wir leben in pragmatischen Zeiten. Alles muss effizient, perfekt und auch politisch korrekt sein. Vereinfachung, Verschlankung und Automatisierung von Arbeitsabläufen – Rationalisierungen, wo immer es geht, alles Eckige und Kantige gehört ausgemerzt.

Die IT beantwortet unsere Fragen, weist dir den Weg und druckt Standardbriefe aus. Ansagen auf dienstlichen Mailboxen und Signaturen unter den Geschäftsmails haben einheitlich zu sein, enge Vorgaben bei der Auswahl von Bildern für die Büro-Wände, und Fußballprofis trainieren Einheitsfloskeln auf Journalistenfragen – der Mainstream erstickt fast jede Form des Individualismus. Wer ohne Facebook ist, nicht twittert oder whatsappt existiert nicht und hat daher auch keine Freunde – von Followern mal ganz abgesehen.

Alles wird so glatt, so reibungslos, so einheitlich – so langweilig. Was waren die Chinesen einst verpönt, als alle mehr oder weniger freiwillig das Grau trugen, welches Mao ihnen vorgab.

Wir tragen bunte Kleidung – je nachdem, was die Modeindustrie und der Mainstream als „In“ erklären. Wir akzeptieren klaglos, dass es plötzlich nicht mehr oder nur sehr schwierig Hemden und Hosen in unseren Lieblingsfarben zu kaufen gibt. Wir schwimmen mit im Strom der vorgegebenen Einheitspampe, und begründen dies notfalls mit dem Ergebnis einer Farbberatung. Ja, das Mao-Grau gibt es heute in farbenfroher Tarnung.

Einst schrieb ich mal: „Die wahren Typen sterben aus – kommt lasst uns schlafen gehen.“

Kantige Typen in Politik und Profisport haben heute kaum noch eine Chance. Die gestylte Frisur und ein eloquentes Auftreten zählen mehr als der Charakter. Typen wie Basler, Breitner, Wehner oder auch Strauß hätten heute kaum noch eine Chance auf Karriere. – Funktionäre und öffentliche Meinungsmacher in Medien und dem Internet würden sie mit Blutgrätschen aus dem Verkehr ziehen.

Schon lange darf man nicht mehr öffentlich „Scheiße“ sagen, ohne einen Rüffel der Sittenwächter zu riskieren. Die Liste der politisch unkorrekten Begriffe wächst zur Freude hyperaktiver Moralapostel ins Unendliche. Das Anprangern der entsprechenden Verstöße ist eine bequeme Alternative zum Aufschreiben und Melden von Falschparkern vor der Haustür. Und das Tot-Gendern der Sprache schafft neue Minenfelder in unserem Miteinander.

Bis zur Pandemie und dem aktuellen Russlandfeldzug gab es andere Schlagzeilen, die das eingelullte Volk beschäftigten, empörten und polarisierten: Die Frisur eines Staatsoberhauptes, das öffentliche Rauchen eines Profisportlers, abgeschriebene Passagen in Doktorarbeiten und noch so vieles mehr.

Wie gut es uns doch zu gehen scheint, wenn solche Themen den Großteil der Bevölkerung dieses Landes beschäftigen. Wie ätzend oberflächlich unser Leben scheinbar geworden ist, so steril, so porentief rein.

Umso mehr freue ich mich über Bewegungen wie „Fridays for Future“, die uns aus unserem Mitläufer-Schlaf wachrütteln.

Doch wie schlimm ist die Gesamtsituation, wenn ich selbst Pegida und dem rechtspopulistischen Strömungsmüll etwas Positives abgewinnen kann, da diese Leute wenigstens politisch aktiv sind und sich mit Themen beschäftigen, die eine gesellschaftliche Relevanz haben – anstatt sich ausschließlich um die Inhalte irgendwelcher niveaulosen Sitcoms, dem aktuellen Lover eines operativ-gesichtskorrigierten Stars oder dem neuesten Adrenalin-Rausch-fördernden Trend-Sport zu kümmern.

Vielleicht kommen Corona und Putins irrsinniger Amoklauf in der Ukraine zum richtigen Zeitpunkt, um uns wachzurütteln. Und vielleicht brauchen wir sogar einen neuen Weltkrieg mit dem kompletten wirtschaftlichen Zusammenbruch, um uns wieder auf die wesentlichen Dinge zu besinnen. – Aber welcher normale Mensch kann dies wirklich wollen? Wie unnormal sind wir, dass wir diesen Trend nicht stoppen?

Doch dann frage ich mich manchmal, ob das alles wirklich so furchtbar und unnormal ist. Es gab Zeiten, in denen ein Mann als asozial galt, wenn er lange Haare hatte und Vollbart trug; in denen man „nach drüben“ gehen sollte, wenn man Kritik am eigenen Staat äußerte; und man Frauen verachtetet, wenn sie unverheiratet waren und dann schwanger wurden. Was galt damals alles als unsittlich, unmoralisch oder als Bedrohung der Gesellschaft. Selbst Kriege und Seuchen hat es in der Geschichte der Menschheit immer wieder mal gegeben, so dass diese – historisch betrachtet – in gewisser Weise auch traurige Normalität sind.

Und es war immer nur eine Minderheit von Menschen, die sich engagierte und für das Weiterkommen der Gesellschaft einsetzte. Selbst in den Zeiten der 68er und der starken Friedensbewegung in den 80er-Jahren hat die große Mehrheit stets geschwiegen.

Vielleicht findet ja gerade wieder einmal einer dieser großen Umbrüche statt, und in einigen Jahren ist das alles endgültig ganz normal, dieses angepasste, pragmatische und so durchorganisierte Leben. Vielleicht ist es eine Frage des Alters, dass mir diese Dinge so aufstoßen. Vielleicht sind diese Momente der Wehmut, die ich manchmal verspüre, wenn ich an die nicht so glattgebügelten Zeiten denke, etwas, das nur Menschen älterer Generationen nachvollziehen können. Und vielleicht verherrliche ich auch das eine oder andere, was mir früher eigentlich doch ziemlich auf den Zeiger gegangen ist.

Sicher – diese gleichgeschaltete Langeweile macht vieles einfacher und bequemer. Doch ich habe immer häufiger das Gefühl, mich darin zu verlieren, und selber gegen meinen Willen glattgeschliffen zu werden.

Und ja – eine Gesellschaft braucht den Wandel, die Veränderung. Doch die Richtung, in die es geht, verursacht mir Unbehagen.

Und natürlich – Effektivität und Pragmatismus haben ihre Vorteile. Doch mir fehlt immer mehr das Menschliche, das „Menscheln“.

Wie sehr freue ich mich, wenn ich hier in Hamburg mit diesem einen Busfahrer unterwegs bin, der die Haltestellen noch selber ansagt und dabei auch immer mal wieder launische Anmerkungen macht (okay, manchmal nervt es auch – aber das nehme ich dann gerne in Kauf).

Ich möchte, dass Fußballspieler nach einem Tor wieder ihr Trikot ausziehen, zu den Fans laufen und sich feiern lassen dürfen, ohne gleich eine gelbe Karte zu kassieren.

Wie herrlich fände ich es, wenn Bankberater oder Sachbearbeiter in Kundenzentren wieder ein eigenes Büro hätten, in denen sie auch das Poster ihres Lieblingsvereins aufhängen dürften – selbst, wenn es nicht mein Verein wäre.

Mir fehlen die kantigen Politiker, die ehrlichen Klartext reden (auch, wenn ich mich darüber vielleicht aufregen würde), statt intellektuelle Luftblasen in den Äther zu furzen oder verlogenen und hetzerischen Sprachmüll zu produzieren.

Ja, und manchmal möchte ich wenigstens davon erzählen dürfen, dass ich als Kind oft „Cowboy und Indianer“ gespielt habe, ohne dass ich gleich als Rassist oder Ignorant gelte, weil es jetzt „indigene Völker“ heißen würde …

 

– Andreas Ballnus —

_________________________

ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor.  Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

Bildquellen

  • Andreas Ballnus: Sebastian Lindau
  • Steine glatt geschliffen: Favorit-Media-Relations GmbH
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Kolumne Kann passieren

KOLUMNE KANN PASSIEREN

Andreas Ballnus erzählt in seiner Kolumne „Kann passieren“ reale Begebenheiten, fiktive Alltagsgeschichten und manchmal eine Mischung aus beidem. Diese sind wie das Leben: mal humorvoll, mal nachdenklich. Die Geschichten erscheinen jeweils am letzten Freitag eines Monats in business-on.de.

Hier finden Sie eine Übersicht aller Beiträge, die von Andreas Ballnus erschienen sind.

Interview: 100 x Andreas Ballnus

Lesen Sie auch die  Buchbesprechung zur Antologie „Tierisch abgereimt“.

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