Der Siegeszug des Vollbartes hält an – den Hipstern des 21. Jahrhunderts sei Dank. Ich könnte mich freuen.
Jahrzehntelang trug ich einen Vollbart und gehörte damit zu einer eher kleinen Minderheit, die sich nicht um Mainstream oder sonstige Modetrends kümmerte. Doch diese Haltung kam nicht überall gut an. Im Gegenteil – immer wieder wurde man mit öffentlichen Vorbehalten konfrontiert. So hysterisierten selbsternannte Hygienebeauftragte offizielle Studien, nach denen sich in Bärten wesentlich mehr Keime befinden als auf einer WC-Brille. Und in den Zeitungen wurden Sommerlöcher mit Umfrageergebnissen gefüllt, wonach die meisten Frauen keine Bärte mögen – vor allem Vollbärte schnitten stets besonders schlecht ab. Dies wiederum führte zu den gut gemeinten Ratschlägen besorgter Mitmenschen aus meinem persönlichen Umfeld, ich solle mir den Bart abnehmen, da so die Chancen steigen würden, mein Dauersingle-Dasein zu beenden. Aber dieser Preis erschien mir dann doch zu hoch.
Und schließlich waren da noch jene Zeitgenossen, die eher auf der Psycho-Welle ritten. Sie erläuterten mir und allen, die es hören oder auch nicht hören wollten, dass ein Bart vor allem dazu dienen würde, sich hinter ihm zu verstecken. Deshalb müsse dieser im Zuge der persönlichen Entwicklung und des inneren Wachstums unbedingt abgenommen werden.
Gut, ich muss einräumen, dass die Sache mit dem „Verstecken“ zum Teil wenigstens auch auf mich zutrifft. Da gibt es nämlich ein genetisch bedingtes Doppelkinn, das durch meine nicht unerhebliche Gewichtszunahme deutlich an Präsenz gewonnen hat. Mit diesem Stück Erbgut kann ich mich einfach nicht anfreunden, so dass es durch meinen Bart wenigstens ein wenig kaschiert wird. Doch ist es mir nie in den Sinn gekommen, mich deswegen unter das Skalpell eines Schönheitschirurgen zu legen. Auch der Weg zu einem Therapeuten, um mit ihm daran zu arbeiten, mich selber so anzunehmen, wie ich eben bin, kommt für mich nicht in Frage. Da investiere ich lieber Geld in einen Bartschneider und Zeit in die Pflege meiner Gesichtsbehaarung.
Doch zurzeit weht uns bärtigen Männern ein anderer, freundlicherer Wind durch die Haare. Wie gesagt: Den Hipstern sei Dank – ich könnte mich freuen!
Aber meine Freude ist begrenzt. Schließlich war für mich mein Bart auch immer schon Ausdruck eines individuellen Lebensstils gewesen – wohlwissend, dass er als Alleinstellungsmerkmal nicht ausreichte.
Ja, die Zeiten haben sich geändert. Früher sah ich öfters Männer, denen ein Bart gut gestanden hätte. Stattdessen waren sie aber, von Rasierwasserwolken umweht, trendig glattgeschoren, und hatten die Ausstrahlung eines mit Gleitcreme eingeschmierten Zäpfchens.
Heute dagegen tragen neben so manch religiösen Fanatikern auch andere höchst merkwürdige Wesen einen Bart. Sie sehen aus, als wären sie von ihren Hubschrauber-Eltern verlassene Muttersöhnchen, die nun endlich als erwachsene Männer wahrgenommen werden möchten. Ihnen steht der Bart genauso gut, wie einem Elch ein Bikini.
Nein, ich bin nur bedingt glücklich über diesen Bart-Trend. Und da ich nicht wie ein Salafist oder IS-Kämpfer aussehe, besteht nun die Gefahr, dass man mich für einen dieser Modetrend-Lemminge hält. Mit denen möchte ich genauso wenig in einen Topf geworfen werden wie mit einem radikalen Moslem. Ich muss also Wege finden, um mich von diesen Gestalten zu distanzieren, die nur Bart tragen, um „In“ zu sein, um dazu zu gehören oder um stromlinienförmiger die Karriereleiter hinauf zu schleimen.
Ich hoffe, dass mir möglichst bald etwas Kreatives einfällt. Vielleicht ist es nun doch an der Zeit, mir den Bart abzunehmen. Als Notwehr! Aber was mache ich dann mit diesem verdammten Doppelkinn?
– Andreas Ballnus —
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ZUM AUTOR
Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Außerdem ist er Gründungs- und Redaktionsmitglied der Stadtteilzeitung „BACKSTEIN“. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl
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