Beide haben sich in ihrer Rhetorik gewandelt: Obama einst im heroischen “Yes, we can“-Stil, heute unsicher und ratlos, Merkel einst rhetorisch schwach und in sich eingemauert, heute stilsicher und stark auftretend. Konkrete Anlässe zeigen immer wieder, wie sich das Auftreten beider in kürzester Zeit geändert hat: Bei Obama sind es die Themen Banken, Krankenversicherung oder das missglückte Flugzeugattentat. Hier reagierte er sehr betroffen, zeigte wenig Präsenz, hatte keine starke Meinung und keinen griffigen Slogan parat – was wohl verständlich ist, wollte er doch vor einem Jahr noch gerade solche “Attentäter retten” – doch in unsicheren Zeiten erwartet das Volk einen charismatischen Präsidenten, zu dem es aufschauen kann. Für diese schwache Präsenz wurde Obama mit Verrissen in der Presse bestraft. Auch zeigen die Medien zur Zeit nur einen müde und erschöpft wirkenden Obama. Angela Merkel hingegen tritt schweren Herausforderungen souverän gegenüber, positioniert sich selbst mittels ausgefeilter Rhetorik und sehr bewusster Körpersprache. Man denke hier nur an den Besuch von Lichtensteins Finanzminister Hasler während des Steuerskandals 2008 und womit wir wieder in der Gegenwart angelangt wären. Merkel machte da kein schönes, kein freundliches Gesicht. Es war das Gesicht der “steinernen Lady”. Auch ihre Körperhaltung war klar und bestimmt. Merkel steht einfach ihre Frau – in schwierigen Situationen und das auch bei schwierigen Interviewpartnern.
“We will change America and we will change the world”
Große Worte, die nicht gerade durch Bescheidenheit, sondern durch das “Yes, we can”-Feeling überzeugten und jetzt, in der fünften Jahreszeit durch das Düsseldorfer Motto “Jeck, we can” – “auf die Schüppe“ genommen wird. Obama ist nun seit einem guten Jahr Präsident der Vereinigten Staaten – und damit in der wohl verantwortungsvollsten Position überhaupt: Der mächtigste Mann der Welt trat noch vor nicht allzu langer Zeit unglaublich selbstbewusst auf, schien das “Land der unbegrenzten Möglichkeiten” wieder aufleben zu lassen, hatte Feuer in den Augen, Festigkeit in der Stimme und sprach erhobenen Hauptes selbstbewusst zu seinen Anhängern. Als erster schwarzer US-Präsident, als zweiter Kennedy, als Mensch – Obama wurde gefeiert; nicht zuletzt aufgrund seiner ausdrucksstarken StimmRhetorik, die in ihrer Ganzheitlichkeit – verbal und nonverbal – eine einzige Glanzleistung war.
Aber wo der Glanz nicht durch ständiges Polieren aufrecht erhalten, bzw. trainiert wird, kann Rost ansetzen. Rost, der sich in immensem Druck äußerte, der zur Zeit auf Obama lastet. Wo ist sein Glanz? Waren die Erwartungen zu hoch? Immerhin: Im ersten Amtsjahr ist dem mächtigsten Mann der Welt kein grober Fehler unterlaufen. “Eigentlich” ein Triumph, beachtet man Amerikas Bush-Ära.
Obama gelang es damals noch rhetorisch zu überzeugen, als er seine Dankesrede für den Friedensnobelpreis hielt, wenn auch verlegen, schüchtern das Pult betretend, aber auch das ist eine rhetorische Wunderwaffe, wenn sie geschickt eingesetzt wird. Er spracht über einen “gerechten Krieg” – und wurde bejubelt.
Die Obama-Feierlichkeiten, die Hymnen-Gesänge auf ihn, sind verstummt. Der Alltag ist eingekehrt im Weißen Haus: Und mit ihm Ernüchterung. Iran, Afghanistan und der Taliban seien als Stichwörter nur angerissen, die Massenarbeitslosigkeit hat sich nicht verändert, Krankenversicherungen wurden noch nicht mit Taten in Angriff genommen und Amerika leidet noch immer unter Schulden; und die Europäer haben dem Datentransfer noch nicht zugestimmt. Auf CNN wird Obama sogar mit Bush in einem Atemzug genannt. Nach einem Jahr feiern folgen Taten – und der Eindruck von Sprachlosigkeit beim Präsidenten selbst. Ob er pünktlich zu den Kongresswahlen im November 2010 seinen alten Glanz wiederfindet, da er seit Wahlsieg der Republikaner am 20. Januar 2010 im Bundesstaate Massachusetts eben auch auf deren Stimmen angewiesen ist? Seine Rede am 27. Januar 2010 zur Lage der Nation – so die Stimme des Volkes – “war ganz gut – aber nicht brillant“!
“Mit dem Kopf durch die Wand wird nicht gehen …
… Da siegt zum Schluss immer die Wand”, sagte Angela Merkel zum Tarifkonflikt zwischen der Lokführergesellschaft GDL und der Bahn. Und nach diesem Motto regiert, reagiert und agiert sie auch. Wurde ihr einst vorgeworfen, Merkel sei richtungslos, führungsschwach und kraftlos, sie würde nur aus dem Hintergrund agieren, zeigt sich heute eine selbstbewusste Frau, die sich ihrer Verantwortung, aber auch ihres Einflusses auf dem internationalen politischen Parkett bewusst ist – auf dem man schnell ausrutschen kann, Merkel hält sich aber souverän.
Die Kanzlerin wurde in eine Ära der Krise gestoßen. Sie wurde mit Wachsen der Wirtschafts- und Finanzkrise immer bedeutungsvoller – und mit ihren Aufgaben wuchs ihre rhetorische Stärke. Eines zeigt doch deutlich ihre wachsende Souveränität: Trotz aller Vorwürfe der Richtungslosigkeit wählte man sie, “unsere Kanzlerin”, am 27. September 2009 wieder. Den Unterschied zwischen der ersten Amtsperiode der Kanzlerin und der jetzigen erkläre ich mir unter anderem so:
In ihren ersten vier Jahren hatte Merkel eine Partei an ihrer Seite, mit deren Führungsspitze sie sehr gut kooperieren und agieren konnte. Selbst im vergangenen Wahlkampf hielt Merkel die Fäden fest in ihren Händen. So war ihre Körpersprache gegenüber der des Kanzlerkandidaten der Koalitionspartei Steinmeier klar und bestimmt. Die von Steinmeier dagegen kooperativ und unterwürfig. Bis heute hat er noch nicht gelernt, dass die Hände während bedeutender Aussagen nicht in die Hosentaschen gehören! – Kurz: Das Abrutschen der SPD kann auch dafür gesorgt haben, dass Merkel zu noch stärkerem Selbstbewusstsein gefunden hat, was in ihrer Rhetorik deutlich zu spüren ist. Ihren einstigen rhetorischen Unzulänglichkeiten muss ich zugute halten: Sie haben dem Bürger das Vertrauen darin gegeben, dass diese Frau “eine von ihnen” ist. Das allerdings war nur in den ersten Regierungsjahren wichtig; heute ist sie soweit, ihren Standpunkt fest zu vertreten.
Angesichts der Weiterentwicklung der Weltgeschichte ist diese Standfestigkeit heute auch nötig, um das eben erwähnte Vertrauen weiter zu bekommen: Klimawandel, Unternehmenspleiten, Finanzkrise, soziale Unsicherheit, internationale Sicherheitsbedrohungen, schon wieder gestohlen Bankdaten – all das sind Themen, zu denen Merkel etwas zu sagen weiß und sich nicht der Debatte entzieht. Merkel ist mittlerweile eine feste Kanzlerin, die auf Basta-Rhetorik verzichten kann, Diplomatie einzusetzen weiß und nonverbal das ist, was Obama noch vor einigen Monaten darstellte: Eine souveräne Respektsperson.
Dr. Anna Martini M.A.
