Nicht nur das Internet entwickelt sich rasend, auch die Infrastruktur und mit ihr das Nutzerverhalten. Schätzungen zufolge wird die Zahl der mobilen Endgeräte die der stationären Rechner bereits 2013 überschritten haben – Gartner prognostiziert, dass den weltweit 1,78 Mrd. stationären Computern 1,82 Mrd. Smartphones gegenüberstehen werden. Schon heute sind Apps – mit den Smartphones in Mode gekommen – in aller Munde. Die Zahl der Menschen, die mit internetfähigen Mobiltelefonen per Touchscreen online gehen, wird wachsen, wohin aber zielt die gesamte Entwicklung des Internets im Jahr des iPads? User werden auch mit den vielen Konkurrenzprodukten des iPad ins Netz gehen, sie werden zukünftig mit Geräten surfen, die wir heute noch gar nicht mit dem Internet assoziieren – beispielsweise mit dem Badezimmerspiegel oder ihrem Kühlschrank. Die Vielzahl der zukünftigen Endgeräte bestimmt den Trend, wer online erfolgreich bleiben möchte, stellt seinen Inhalt und dessen Nutzen in den Fokus. Das Netz wird flügge, Inhalte dürfen nicht mehr eingesperrt werden in stationäre oder mobile Auftritte, sie müssen geräteunabhängig ihren Weg zum Nutzer finden.
Der Tag nach dem Relaunch der Homepage
Stephan ist begeistert, Martin entsetzt. „Übersichtlich, einfach und intuitiv in der Handhabung, so macht online einkaufen vom Schreibtisch aus Spaß“, sagt Stephan, der seit Jahren Kontaktlinsen im Internet bestellt. Martin liebt es mobil zu sein, er geht seit zwei Jahren mit seinem Smartphone ins Netz und ist seinem Freund damit einen Schritt voraus. Er teilt die Begeisterung über den neuen Internetauftritt nicht, denn den Warenkorb mit seinem Touchscreen-Handy zu füllen, ist umständlich und daher wenig nutzerfreundlich. „Mach dir nicht draus“, sagt Stephan, in ein paar Wochen bringen sie eine App raus, dann kannst du bequem wieder online bestellen.“ Also wartet der „mobile Martin“; leider vergeblich, denn nachdem die App endlich den Weg in den Apple-Store und damit aufs iPhone geschafft hat, ist er diesmal sogar komplett außen vor: Martin besitzt ein Smartphone mit Googles Betriebssystem Android – und damit einem anderen als das iPhone: Martin ist kürzlich wieder bei seinem Augenoptiker gesichtet worden.
Alte Standards gibt es nicht mehr
Es ist noch nicht lange her, da waren auf den heimischen Rechner ausgerichtete Internetseiten alleiniger Standard. Auch heute noch werden die mobilen Auftritte– wenn überhaupt als nötig empfunden – ausgehend von der Homepage auf die Anforderungen der Handys bestmöglich zugeschnitten: besser gesagt, beschnitten. Jüngst veröffentlichte Zahlen aber bestätigen die Prognosen, die die mobilen Internet-User schon bald in der Überzahl sehen. Im ersten Quartal 2010 verkauften sich 67 Prozent mehr Smartphones als in den ersten drei Monaten des vergangenen Jahres. Nicht nur das Internet entwickelt sich rasant, auch mit der Infrastruktur ist kaum Schritt zu halten. Und mit den neuen Möglichkeiten ändert sich auch das Nutzerverhalten. Schon heute gehen 57 Prozent der Bevölkerung laut einer Studie der Bauer Media Group und der Axel Springer AG sowohl mit dem Schreibtisch-PC als auch mit dem Mobiltelefon ins Internet, beide Wege ins Netz ergänzen sich dabei. Auch deswegen empfiehlt es sich nicht, nun die mobile Website als neuen Standard zu definieren. Vielmehr müssen sich die Unternehmen an den Gedanken gewöhnen, dass es nur ein Internet gibt: weder ein stationäres noch ein mobiles.
Apps: Heilsbringer für geplagte Online-Manager?
Die gefühlte Zweiteilung des Internets ist Vergangenheit. Apple läutete mit dem iPhone die Zukunft ein und brachte scheinbar gleich eine Lösung für diejenigen mit, die sich nicht zwischen dem alten Standard und dem neuen Userverhalten entscheiden können: die Applikationen, kurz Apps, was bis heute noch für manchen eher eine Abkürzung für Apple zu sein scheint. Apps sind zweifellos nützlich und bringen das Internet userfreundlich auf das mit Touchscreen ausgestattete Smartphone – ein riesiger Vorteil gegenüber Websites, die nicht auf die Befindlichkeiten dieses speziellen Surferlebnisses optimiert sind. Dadurch und durch Faktoren wie die optimale Ausnutzung bestehender Hardwarefunktionen und ausgereifter Bezahlmodelle empfiehlt sich der Einsatz von Apps für ganz unterschiedliche Szenarien. Vor allem der E-Commerce profitiert, denn mit einer App wird das Einkaufen einfacher, exklusiver, hochwertiger. Shoppen an der Bushaltestelle kann richtig Spaß machen! Aber: Zunächst einmal muss die Unternehmens-App unter etwa 400.000 anderen Applikationen für das iPhone (Stand: Herbst 2010) gefunden werden, um dann die Hürde des Herunterladens zu meistern.
Eine App setzt bereits eine Bindung zwischen User und Anbieter voraus, sie muss einen deutlichen Mehrwert bieten, sonst wird sie wie viele der bisherigen rund drei Milliarden Downloads nicht verwendet. Eine Applikation ist eine Insellösung und kann deswegen für Verkäufer interessant sein, denn der Kunde soll sich schließlich nur auf die angebotenen Produkte konzentrieren und sie nicht mit denen der Konkurrenz vergleichen (können). Aber auch der Apple-Store ist nur eine Insel im weltweiten Netz. Das US-amerikanische Unternehmen mit dem angebissenen Apfel als Logo ist wie Google oder Facebook nur deswegen zu einem Giganten der Branche geworden, weil es erfolgreich aus den schier unbegrenzten Möglichkeiten des Internets schöpft. Und nun sorgen die Marktführer mit ihren jeweiligen Betriebssystemen und ihren ureigensten Interessen dafür, das weltweite Netz in verschiedene Lager zu spalten. Jedes Unternehmen, das sich für eine Anwendung auf dem iPhone entscheidet, grenzt eine andere Kundengruppe aus. iPhone-Besitzer gehen häufig mit Apps online, aber die meist benutze Applikation ist statistisch gesehen immer noch die Safari-App, zum Surfen über den Browser. Denn Apps werden nur zu knapp 50 Prozent zum Onlineshopping und zur Informationsbeschaffung genutzt. Martin hat einfach Pech gehabt, dass der Verantwortliche seines Shops sich für die Zielgruppe iPhone-User entschieden hat – langfristig hat der Anbieter bei dieser Strategie aber das Nachsehen.
Und so setzt sich das Bewusstsein durch, dass Apps nicht nur auf einem Gerät funktionieren sollten, sondern auch für andere Betriebssysteme interessant sind. Doch sie können immer nur ein zusätzlicher Weg zum Kunden sein, egal für wie viele der Geräte mit etlichen Betriebssystemen sie konzipiert werden. Mit weiteren Anbietern wachsen Aufwand und Kosten, aber: Für jedes Betriebssystem eine eigene App zu produzieren, für wen lohnt sich das? Ist nicht doch die optimierte, über den Internetbrowser erreichbare mobile Website die bessere Lösung? Günstiger bestimmt, und damit wird auf den ersten Blick auch nur eine Zielgruppe ausgeschlossen: die der Schreibtischtäter.
Mobil muss nicht immer mobil sein
Auch das ist zu kurz gedacht! Obwohl es außer Frage steht, dass die Zahl der Smartphones und mit ihr die User, die über ihr Handy ins Internet gehen, steigt. Die schon Ende 2010 in ausgewählten Netzen verfügbare neue und superschnelle Mobilfunktechnologie LTE und die sinkenden Preise, um damit ins Internet zu gehen, werden diese Entwicklung zusätzlich antreiben. Doch wer sagt, dass die mobile Nutzung dieser Geräte der bevorzugte Online-Kanal werden wird? Oder andersherum: Wer nutzt sein Smartphone in der Werbepause nicht daheim auf dem Sofa, statt den Rechner hochzufahren? Oder liegt da gar schon ein iPad in Reichweite? Der große Bruder des iPhones macht erneut den Anfang, und wieder schießen die Konkurrenzprodukte wie Pilze aus dem Boden. Unter dem Weihnachtsbaum werden unterschiedlichste so genannte Tablet-Rechner liegen – zu den verschiedenen Betriebssystemen gesellen sich unterschiedliche Bildschirmgrößen. Diese mobilen Geräte werden sicher nicht ausschließlich mobil gebraucht: Martin nutzt sein iPad nur zuhause, Stephan wird sein deutlich kleineres Samsung-Tablet in die Aktentasche stecken und ins Büro mitnehmen.
Unzählige internetfähige Geräte, aber nur ein Inhalt
Beide werden sie in der Zukunft zudem mit ihrem Fernseher ins Internet gehen können, beide werden sich im Auto online via Armaturenbrett informieren, mit einiger Sicherheit werden sie beide täglich mit unterschiedlichen Geräten ins Netz gehen – und ihre Kontaktlinsen möglicherweise per Spracheingabe bestellen. Heute ist es für die meisten Unternehmen schon nicht mehr möglich, ihr Online-Angebot in einem vernünftigen Rahmen auf allen Geräten bestmöglich zu präsentieren. Die Anforderungen an ein internetfähiges Gerät mit Touchscreen sind völlig andere als an eins mit Tastatur und Maus. Letztere sehen manche Nutzer schon als aussterbende Spezies, aber glücklicherweise dienen sie nur als Mittel zum Zweck. Es dauert nicht mehr lange, dann wischen, tippen und ziehen Finger direkt auf Schreibtischen, dann redet der User mit seinem Kühlschrank, dann wird das YouTube-Video direkt und mitten im Raum projiziert. Vermutlich wird das Fernsehen dann schon vom Internet erobert sein, die ersten Schlachten haben bereits begonnen, und wieder sind es die Marktführer, die ihre Reviere abstecken. Der User wird alle seine Möglichkeiten nutzen, ins Netz zu gelangen und erwartet, dass es reibungslos funktioniert. Es sind die Unternehmen und in erster Linie jene, die Geld online verdienen möchten, die sich auf diese Situation einstellen müssen. Der User möchte schon heute alle Informationen rund um die Uhr auf allen seinen onlinefähigen Geräten erhalten, zusätzlich rufen bald schon intelligente Produkte alle zur Verfügung stehenden Inhalte permanent ab. Die Geräte werden miteinander kommunizieren , wer seinen Inhalt, seine Produkte und Know-how nicht auf alle Geräte transportieren kann, hat sich nicht früh genug auf die Bedürfnisse der Zielgruppe konzentriert. Die Geräte geraten immer mehr in den Hintergrund, das in allen Variationen dargereichte Online-Angebot ist der neue Star.
Die Zukunft des Internet schon heute
Der Ansatz, die Firmen-Homepage zunächst einmal an den stationären Rechner auszurichten, war richtig. Auch die Erstellung einer App ist vernünftig, experimentieren erlaubt und nötig. Die alten Grenzen aber sind eingerissen, schon heute muss das Internet nur noch als ein Ganzes gesehen werden. Es ist gerade einmal wenige Jahre her, seitdem das erste iPhone verkauft worden ist, rund 12 Monate vergingen, bis Google Konkurrenz machte und eine weitere Möglichkeit für den Nutzer hinzu kam, mit Spaß über das Mobiltelefon ins Netz zu gehen und auf viele Seiten zugreifen zu können. Und jetzt müssen die Inhalte wieder aufgearbeitet und auf die neuen Möglichkeiten optimiert werden, ohne bestimmte Usergruppen auszuschließen. Jede Information muss von einem auf das andere Gerät übertragbar sein: Die Infrastruktur darf keine Grenze werden, sie muss Wege ebnen.
Für die immer mehr werdenden Smartphone-Nutzer ist es bereits üblich, ihre favorisierten Webseiten und eigene Dateien sowohl über das Mobiltelefon, als auch über den Laptop, den Schreibtisch-Rechner oder bereits übers iPad anzusteuern. Genauso selbstverständlich wird bald der Rückspiegel des Autos mit dem Mobiltelefon des Fahrers kommunizieren, dessen Touchscreen sich auf der sprechenden Armbanduhr niedergelassen hat. Spätestens dann wird auch Martin wieder seine Sehhilfen im Onlineshop bestellen; es sei denn, der Augenoptiker nutzt seine Chance und stellt sich ebenfalls für die Zukunft auf. Er kennt jetzt die Bedürfnisse seines Kunden und hat den ersten Trumpf damit schon in der Hand. Und so bleibt unter dem Strich ein Gedanke, der bald zur Notwendigkeit wird: Websites und damit Funktionen und Inhalte heute schon anders zu planen und anzulegen, als in Form eines starren digitalen Zuhauses mit eingeschränkter mobiler Version oder angedockter App: mit Weitsicht, um mit möglichst geringen Aufwänden für die Kundenbedürfnisse von morgen gewappnet zu sein.
Tamim Swaid
