Angesichts der letzten Kölner Rathaus-Skandale entwickelte Überall für seine Doktorarbeit an der Universität Tübingen einen speziellen „Klüngel-Faktor“. Den höchsten Wert erzielte der Müll- und Spendenskandal um den Oberbürgermeister-Kandidaten Klaus Heugel und seinen Ex-Fraktionsführer Norbert Rüther (SPD). Dicht auf in der Hitliste der Kölner Klüngel-Parade folgen Kölnarena und Technisches Rathaus sowie Personalentscheidungen in der Stadtverwaltung. „Die Ratsmitglieder sind überzeugt, dass Klüngel eine bedeutende Rolle in der politischen Kultur Kölns spielt“, erkannte Überall nach vielen Interviews mit Ratsmitgliedern. „Jeder weiß, dass inoffizielle Entscheidungswege üblich sind, nicht jeder hat aber wirklich ein gutes Gefühl dabei – auch wenn man mit dem harten Vorwurf der Korruption nicht ganz so schnell bei der Hand ist“, folgert er aus seinen Studien – und deutet damit das Geschehen fast schon wieder kölsch-versöhnlich.
Klüngel = Network?
Networken ist das neue Zauberwort für geschäftlichen Erfolg. Auf vielen Meetings, Parties, und geselligen Veranstaltungen tauschen wildfremde Menschen ihre Visitenkarten, laden sich gegenseitig in Networks ein und hoffen, durch die neuen Kontakte auch neue Geschäfte machen zu können. Ist Networking im Zeitalter des virtuellen Business das, was in der angeblich „guten alten Zeit“ über Klüngel angestrebt wurde? „Man kennt sich, man hilft sich“ lautet eine der sympathischen Definition für (kölschen) Klüngel.
Klüngeln kann der Kölner in seinem Veedel, im Verein – gleich ob Karneval, Fußball oder Kaninchenzüchter – und in den Parteien. Letzteres ist die Oberliga für Klüngelmeister, denn der (negative) Klüngler versucht, sich über öffentliche Aufträge die Taschen voll zu machen. Das positive Pendant hingegen sucht und nutzt Kontakte zu Stadträten und den Bossen der Verwaltung, um Gutes für seine Stadt zu erreichen. Mit Hilfe von Klüngel lassen sich Entscheidungen beschleunigen oder Pläne so weit absichern, dass sie vom politischen Gegner (oder auch den Bürgern) nicht (mehr) torpediert werden können.
Die Beziehungen politisch Handelnder müssten öffentlich sein, damit die Bürger mögliche Einflusswege kontrollieren können, fordert Frank Überall und zitiert Florian Eckert, der in seiner Abhandlung über „Lobbyismus –zwischen legitimem politischen Einfluss und Korruption“ so: „Üblich sind hier Netzwerke, die den Interessenvertretern gezielt eine informelle Kontaktaufnahme sichern“.
„Dr. Klüngel“ und seine „Patienten“
Klüngel in Köln ist ein Thema, das Journalisten und Autoren im ganzen Land immer wieder bewegt. Viele kluge Artikel und Bücher sind schon über das Thema geschrieben worden, Frank Überall hat sie alle – oder zumindest die wichtigsten – studiert. Er zitiert sie in seiner 270 Druckseiten starken Doktorarbeit und hält sich als Wissenschaftler mit eigene Schlüssen zurück. Aber ein Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) beschreibt die Situation: „Auch in Zukunft wird hier geklüngelt und gemaggelt…Schwierigkeiten werden vor Entscheidungen tunlichst beseitigt. Doch all dies wird nur gut gehen, wenn dem Kraken Korruption, der seine Arme nach Köln ausgestreckt hat, der Garaus gemacht wird.“
„Dr. Klüngel“ schreckt nicht davor, Namen in seiner Intersuchung zu nennen. Neben Klaus Heugel und Norbert Rüther (beide SPD) thematisiert er den Anwalt Rolf Bietmann (CDU), den Müll-Experten Heinz-Ludwig Schmitz und vor allem den ehemaligen Kölner Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier. Der „ist zum Sinnbild des negativen Klüngels geworden – einer persönlichen Verstrickung im negativen, aber strafrechtlich nicht relevanten Sinne.“ heißt es in dem Buch.
Strafverfahren gegen Amtsträger
Bereits vor dem Bekanntwerden des Müll- und Spendenskandals zählte die Kölner Staatsanwaltschaft Korruptionsverfahren gegen 81 Personen. Bei den städtischen Kliniken wurde ein Amtsträger zu einem Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt, beim Hochbauamt 18 Amtsträger zu Strafen bis zu drei Jahren Haft, beim Amt für Straßen- und Verkehrstechnik schickte das Gericht Mitarbeiter bis zu 4 Jahre und sechs Monate in den Klingelpütz. Ingesamt wurden 22 Unternehmer und 27 Amtsträger zu empfindlichen Strafen verurteilt, gegen weitere 12 wurden die Gerichtsverfahren gegen Auflagen eingestellt.
An großen Klügeleien ist in Köln kein Mangel. Frank Überall, der als Journalist für den WDR und andere Print-Produkte viele Kontakte und Informanten hat, kann sich über Material für seine Doktorarbeit nicht beklagen: Schmiergeldzahlungen beim Bau der Müllverbrennungsanlage und beim Bau des Technischen Rathauses und der Kölnarena sowie das „dubiose Messegeschäft“ sind die eklatantesten Kapitel. Selbst bei der Bekämpfung des Straßenstrichs und der Suche nach einem neuen Platz für die „Verrichtungsboxen“ wurde laut Überall geklüngelt, denn viele Interessengruppen mischten sich ein, bevor sich die Aufregung um die Einrichtung in der Geestemünder Straße im Norden Domstadt schließlich legte.
Die zweifelhaften Vorgänge um den Neubau der Messehallen sollen aktuell von den Gerichten der Europäischen Union untersucht werden. Aus Brüssel verlautete, die Arbeiten hätten europaweit ausgeschrieben werden müssen. Die Verträge zum Neubau der Hallen seien deshalb rechtswidrig. Ob sich diese Meinung durchsetzt, wird ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof klären. Falls dieser Prozess negativ ausgeht, werden die Stadt, die Messegesellschaft sowie der Oppenheim-Esch-Fonds viele Probleme bekommen.
Kölsche Diplomatie
Der Klüngel, wie er in Köln gelebt wird, ist durchaus einzigartig, in seiner schillernden Differenziertheit und wahrscheinlich auch in seiner offenherzigen Liebenswürdigkeit, meint der Autor. Der rheinische Katholizismus wird ebenso zu seinen Vätern gezählt wie die Ablehnung der Kölner gegen die Preußen. „Der Kölner glaubt nicht, dass der Klüngel ausstirbt, eher glaubt er an einen Klüngel nach dem Tode“, formulierte der bekannte Aphorismen-Schmied Prof. Dr. Gerhard Uhlenbruck.
Bleibt noch anzumerken: Die Kölnerinnen sind gerade erst gestartet beim großen Klüngel-Spiel. Die Autorinnen des „Klüngelbuchs“, Anni Hausladen und Gerda Laufenberg, veranstalten „Klüngel-Workshops für Frauen“. Migranten hingegen haben ihre Finger nur selten im großen Klüngel der Kölner. Sie haben selten Zugang zu den Macht- und Gesellschaftsstrukturen der City, klüngeln deshalb vorwiegend untereinander.
Konrad Adenauer, der „Pate“ des Klüngels
Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer soll besonderes Talent zum Klüngeln gehabt haben. Frank Überall hat Hinweise gefunden, dass er diese schöne Kunst schon als Abiturient beherrscht habe: „Über seinen Schulfreund aus der Dynastie der Duftwasser-Fabrikanten 4711 soll er sich die Abituraufgaben besorgt haben. Damit nicht auffiel, dass alle Schüler die Themen und Texte kannten, mussten die Abiturienten auf Adenauers Vorschlag hin Fehler in den Examensarbeiten machen“. Im sehr katholischen Tennisclub „Pudelnass“ lernte Adenauer seine spätere Frau und Freunde mit gleichartigen politischen und sozialen Überzeugungen kennen. So gelang ihm die „Einheirat in das Kölner Besitz- und Bildungsbürgertum“. Seine Biographin Ingelore M. Winter schreibt „Da er wusste, dass er, ohne dazu zu gehören, in Köln nicht viel werden konnte, trotz seines Studiums und trotz seines Fleißes und seiner Intelligenz, strebte er danach, in den Klüngel zu kommen, (…) er heiratete in eine einflussreiche Familie“.
Der damalige Kölner Oberbürgermeister soll sich auch als Aktien-Spekulant versucht haben, der Insidertipps von seinen Freunden in Banken, Versicherungen oder der Industrie erhielt. „Zeitweise glich sein Rathaus-Vorzimmer einem Zockerbüro“, behauptet Werner Rügemer, Autor des Buches „Colonia corrupta.“
Dr. Frank Überalls Promotionsschrift ist als Buch erschienen: „Der Klüngel in der politischen Kultur Kölns“ Bouvier Verlag, Bonn
Ulrich Gross
