Der schwerbehinderte Arbeitnehmer war auf Basis eines Teilzeit-Arbeitsvertrages mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden in der physiotherapeutischen Praxis des Arbeitgebers beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag war die in Arbeitsverträgen häufig verwendete Klausel zu finden, daß der Arbeitnehmer bei Bedarf auf Anordnung des Arbeitgebers verpflichtet ist, Mehr- und Überarbeit zu leisten. Als ein Personalengpaß eingetreten war, wies der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an, eine Patientin zu behandeln, obwohl dadurch die vertraglich vereinbarte tägliche Arbeitszeit überschritten wurde. Nachdem sich der Arbeitnehmer weigerte, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des zuvor bereits wegen eines ähnlichen Verhaltens abgemahnten Arbeitnehmers.
Mit seiner Klage wollte der Arbeitnehmer feststellen lassen, daß die Kündigung unwirksam ist. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg bestätigte jedoch die Kündigung des Arbeitgebers. Nach Ansicht der Richter war der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeitnehmer zur Leistung von Mehrarbeit – und damit auch zur Behandlung der Patientin – anzuweisen; die Weigerung des Arbeitnehmers stellte nach Überzeugung der Richter eine Arbeitsverweigerung dar, die zur Kündigung berechtigte (Kündigungsgrund Arbeitsverweigerung). Auch die Berufung auf die Schwerbehinderung half dem teilzeitbe-schäftigten Arbeitnehmer wenig. Zwar sieht das Gesetz (§ 124 SGB IX) vor, daß Arbeitnehmer, die schwerbehindert sind, auf ihr Verlangen hin von Mehrarbeit freigestellt werden müssen, doch fehlte es nach Ansicht der Richter bereits am Vorliegen von „Mehrarbeit“. „Mehrarbeit“ im Sinne des Schwerbehindertenrechts liegt nach Ansicht der Rechtsprechung nämlich nur dann vor, wenn die normale gesetzliche Arbeitszeit von werktäglich acht Stunden überschritten wird. Das war bei dem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer indes nicht der Fall.
Auch die Gefahr einer Überbelastung hielten die Richter im vorliegenden Fall für nicht gegeben. Im Gegenteil: Die Richter waren der Meinung, daß die zusätzliche (Mehr-) Arbeit für den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer weniger belastend wirke, als für eine Vollzeitkraft. Anders wäre nach Ansicht des Gerichts nur dann zu entscheiden gewesen, wenn die Mehrarbeit wegen der Art der Behinderung, wegen der dem Arbeitnehmer die Schwerbehinderteneigenschaft zuerkannt worden war, zu einer besonderen Belastung geführt hätte. Das war nach Einschätzung der Richter jedoch nicht der Fall.
Fazit: Sieht der Arbeitsvertrag – was in der Praxis die Regel sein dürfte – die Verpflichtung des Arbeitnehmers vor, auf Anordnung des Arbeitgebers Überstunden und Mehrarbeit zu leisten, ist der Arbeitnehmer regelmäßig auch verpflichtet, der Anordnung nachzukommen. Das gilt grundsätzlich auch für schwerbehinderte Arbeitnehmer, die in Teilzeitarbeitsverhältnissen beschäftigt sind, sofern durch die Anordnung von Überstunden die gesetzliche Arbeitszeit von 8 Stunden täglich nicht überschritten wird. Weigert sich der Arbeitnehmer, Überstunden zu leisten, verstößt der Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitsvertrag und setzt sich damit dem Risiko einer verhaltensbedingten Kündigung aus.
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 09.01.2007 – 7 Sa 79/06
Thorsten Röhrig