business-on.de: Der Fachkräftemangel wird zum ernstzunehmenden Problem in vielen Branchen. Als Chef einer Personalberatung haben Sie täglich damit zu tun. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Schwächen der deutschen Unternehmer, wenn es um die Sicherung von Fachkräften geht?
Tobias Busch: Der Fokus der deutschen Personaler liegt generell sehr stark auf bestehenden Defiziten der Bewerber. Interessant ist allerdings das, was jemand kann oder lernen kann.
Es macht zum Beispiel überhaupt nichts, wenn ein Teammitglied orthographische Fehler macht, wenn dafür seine rechnerischen Leistungen hervorragend sind. Ein gutes Team kompensiert die Schwächen einzelner Mitglieder, ohne dass die Teamleistung leidet. Die positiven Eigenschaften Einzelner erhöhen hingegen die Leistungsfähigkeit des gesamte Teams deutlich.
Die Entscheider müssen lernen, sich auf diese positiven Leistungspotentiale zu konzentrieren, Dadurch erhöht sich gleichzeitig die Zahl der zur Verfügung stehenden Fachkräfte, weil weniger von vornherein aussortiert werden.
Gute Arbeit und Pflichterfüllung
business-on.de: Sie haben sich auf die Rekrutierung chinesischer Fachkräfte für deutsche Unternehmen spezialisiert. Kommt es dabei häufig zum „Culture Clash“?
Tobias Busch: Es gibt große Unterschiede in Geschichte und Tradition, Einstellungen und Werten. Das ist unbestreitbar. Dennoch kommt es eigentlich selten zum wirklichen „Clash“. Vielmehr herrscht häufig ein Unwissen auf beiden Seiten. Besonders die Medienberichterstattung in Deutschland vermittelt ein einseitiges Bild von China und baut Missverständnisse eher auf als ab.
Die meisten gut ausgebildeten Chinesen sind stolz darauf, Chinesen zu sein und fühlen sich als solche auf Augenhöhe mit anderen Nationen. Gleichzeitig sehen sie das eigene Regime ähnlich kritisch wie viele westliche Beobachter. Nur sind in ihren Augen Regierung und Staatsform kein Grund, China zu dämonisieren und als Volk mit Bedrohungspotential zu sehen.
Viele Gemeinsamkeiten werden oft übersehen. Für Chinesen und Deutsche gelten Arbeit und Pflichterfüllung neben der Familie als wichtigste Lebensaufgabe. Der chinesische Wertekanon passt ebenfalls gut zum kapitalistischen System: Handel treiben und Geld verdienen sind wichtige Grundtugenden im Reich der Mitte. Der einzige Unterschied ist, dass wir im Westen den Einzelnen, die Chinesen aber das Wohlergehen der Gemeinschaft in den Vordergrund stellen. Oder vielleicht besser ausgedrückt: das Unglück Einzelner und kleinerer Gruppen wird oft eher unaufgeregt hingenommen – als Teil des menschlichen Schicksals.
business-on.de: Sie waren als Präsident von Volkswagen India und Geschäftsführer bei Siemens Nixdorf Asia Pacific viele Jahre lang im Ausland tätig. Von daher haben Sie einen guten Blick von außen auf die Bundesrepublik. Wie blickt die Welt auf das „Immigrantenland Deutschland“?
Tobias Busch: Betrachtet man nur die harten Fakten, ist Deutschland ein attraktives Land für Immigranten. Wir bieten eine gute soziale Absicherung und beheimaten große internationale Konzerne.
Allerdings haben wir mit einer hohen sprachlichen Barriere zu kämpfen: USA, Großbritannien aber auch viele kleinere europäische Ländern, wie etwa die Niederlande, Schweden und Norwegen, in denen Englisch als Alltagssprache viel weiter verbreitet ist, wirken viel attraktiver. Auch hat Deutschland als neue Heimat auf der emotionalen Seite keinen besonders guten Ruf.
Die Aufgabe der deutschen Wirtschaft muss es somit sein, die weichen Faktoren zu stärken. Sonst wächst das Risiko, dass die leistungsstärksten und willigsten Immigranten in andere Länder einwandern und sich die weniger starken – durchaus auch angezogen von den Sicherungsmechanismen des Sozialstaats – nach Deutschland orientieren.
Die obersten 10% entscheiden sich nämlich nicht absicherungs-, sondern chancenorientiert. Für diese müssen wir neue Chancen in der deutschen Wirtschaft schaffen.
Ein starker Akzent ist nicht gleichbedeutend mit Hilfebedürftigkeit
business-on.de: Wo wir gerade beim Thema Chancen sind: Ausländische High Potentials haben in Deutschland häufig keine Aufstiegschancen. Wo sehen Sie als China-Experte im Bereich Recruiting die Probleme der Deutschen mit Ausländern als Vorgesetzte?
Tobias Busch: Die großen Einwanderungswellen in die Bundesrepublik wurden in der Vergangenheit politisch nicht als solche definiert: weder die „Gastarbeiteranwerbung“ in den 1960ern und 1970ern, noch die „Rückkehr“ der Russlanddeutschen in den 1980er Jahren oder die verschiedenen Asylantenströme der letzten Jahrzehnte.
Dadurch hat es auch nie eine Auswahl, noch nicht einmal eine Aufstellung von Wunschkriterien und Erwartungen gegeben. Die Deutschen konnten bisher kein Bewusstsein dafür entwickeln, welchen Wert Zuwanderer für die Entwicklung und Dynamik der Volkswirtschaft haben können.
Im Ergebnis werden die Migranten in Deutschland eher als Hilfsbedürftige denn als Motoren der wirtschaftlichen Dynamik wahrgenommen. Und Hilfsbedürftigen gibt man Arbeit und man freut sich, wenn diese gut gemacht wird. Man macht sie aber nicht zu Vorgesetzten und erwartet schon gar keine komplizierten Problemlösungen von ihnen.
Deshalb ist es in Deutschland noch immer die absolute Ausnahme, dass Menschen ohne perfekte Sprachkenntnisse in höhere Positionen befördert werden. Weil ein starker Akzent und eine fehlerhafte Grammatik das Signal der Hilfsbedürftigkeit senden.
business-on.de: Für die kommenden Jahre wird Einwanderungsboom prognostiziert. Was müssen wir ändern, um dies als Chance für den wirtschaftlichen Aufschwung zu nutzen?
Tobias Busch: Historisch begründet sind die Deutschen im Umgang mit Immigranten nicht besonders gut. Daher gibt es derzeit noch viel Verbesserungspotential, viel Luft nach oben. Investitionen lohnen sich aber in diesem Bereich. Ein Blick auf die USA zeigt, dass dort jede zweite wirtschaftliche Erfolgsgeschichte mit einem Immigranten verbunden ist – man denke nur an Ebay, Amazon und Google.
In Deutschland feiern Immigranten bisher allerdings nur im Sport, in der Kunst und in den Medien große Erfolge. In der Liste der Wirtschaftsgrößen sind sie nahezu nicht existent.
Um vom kommenden Einwanderungsboom zu profitieren, müssen wir ehrlicher mit unseren Motiven umgehen und diese auch offen kommunizieren: Menschen, die nicht die Kraft, die Energie und den Willen haben, sich an die Verhältnisse und die Anforderungen der deutschen Gesellschaft anzupassen, sind als Einwanderer von der großen Mehrheit der Deutschen nicht erwünscht. Für sie mag es im Einzelfall über die Asylgesetze oder aus humanitären Gründen einen Weg nach Deutschland geben, aber wirtschaftlich sind sie eine Belastung und kein Gewinn. Wenn das klar kommuniziert wird, ist ein erster Schritt getan.
Der zweite ist ein Auswahlverfahren, das ohne bürokratische Auswüchse eine Balance zwischen den berechtigten Interessen der Herkunftsländer und den deutschen Interessen herstellt und für die Menschen transparent ist.
Wenn wir es dann noch schaffen, in Deutschland eine Willkommenskultur anzusiedeln, können wir uns unter vielen Interessenten die am besten geeigneten aussuchen. Die dann als Leistungsträger auch für einen wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland sorgen.
FN