«Bitte nicht schon wieder ein Artikel über die Digitalisierung.» Vielleicht haben Sie das gerade beim Anblick der Überschrift gedacht. Vielleicht kam Ihnen auch direkt der Gedanke: «Kein Problem, wir sind da auf gutem Wege». Möglich auch, dass Sie den allgegenwärtigen Begriff «Digitalisierung» nicht mehr hören können. Falls Letzteres zutrifft, gehören Sie zur Mehrheit der Unternehmen.
Digitalisierung? Interessiert uns nicht
In einem Artikel vom 16. November 2017 in der Schweizerischen Tageszeitung «Tagesanzeiger» mit der provokanten Überschrift «Digitalisierung? Interessiert uns nicht» wurde das Ergebnis einer Umfrage der Großbank UBS zitiert, die zu folgendem Ergebnis kam: 59 Prozent der 2.500 befragten Unternehmen sagten aus, dass die Digitalisierung nur «geringfügige oder keine Veränderungen» für ihre Firma mit sich bringen wird. Im Klartext: Die überwiegende Mehrheit der Schweizer Unternehmen stehen der Digitalisierung gleichgültig gegenüber. Vermutlich würde eine Umfrage in Deutschland oder Österreich zu einem vergleichbaren Ergebnis führen. Der Haken daran: Diese Ignoranz kann gefährlich werden.
Keine Frage ob, sondern wann
Klaus Schwab, Gründer des World Economic Forum, schreibt in seinem Buch «Die Vierte Industrielle Revolution», dass die Frage für ausnahmslos alle Branchen und Unternehmen nicht länger laute, ob man von der Disruption betroffen sein werde, sondern wann, welche Form sie annehme, und wie sie sich auf uns und unsere Organisation auswirken werde.
Die Disruption erfasst alle Branchen
Disruption bedeutet, dass eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung durch eine Innovation (fast) vollständig verdrängt wird. Das Paradebeispiel schlechthin ist Kodak. Mit dem Aufkommen der Digitalfotografie wurde die analoge Variante zunehmend vom Markt gepusht. In der Tourismusbranche hat Airbnb mit seinem disruptiven Geschäftsmodell für Ärger und Verunsicherung bei den traditionellen Anbietern gesorgt. Die Medienbranche hat ihre Disruption schon weitgehend hinter sich. Der Finanzbereich steckt mitten drin.
„Heads! Executive Consultancy“ und „Deloitte Digital“ kommen in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass sich alle Branchen in vier Bereiche einteilen lassen. In der nachfolgenden „Disruption Map“ wird zwischen langer und kurzer „Lunte“ (Zeitverlauf) und großem und kleinem „Knall“ (Einflussstärke) unterschieden. Je nach Quadrant werden die Branchen somit langsamer oder schneller beziehungsweise geringer oder heftiger von der Disruption betroffen sein.
Wenn Ihre Branche im Quadranten oben links aufgeführt ist, sollten Sie spätestens jetzt mit den Vorbereitungen beginnen. Für Unternehmen und Mitarbeitende in den Branchen Einzelhandel, IT, Medien, Freizeit und Reisen, Banken, Versicherungen, Professional Services, Gastronomie, Bildung und Immobilien wird eine kurze Lunte und ein grosser Knall erwartet. Schnell und heftig.
In den anderen Quadranten fällt die Disruption etwas sanfter aus oder lässt noch ein wenig auf sich warten. Aber auch hier kann man sich nicht zurücklehnen und warten, was auf einen zukommt. Es lohnt sich, frühzeitig eine Strategie zu entwickeln.
Ihre erfolgreiche Positionierung im digitalen Zeitalter
Als CEO oder Aufsichtsratspräsident müssen Sie jetzt die richtigen Schritte einleiten, damit Sie auf den digitalen Tsunami vorbereitet sind und nicht von ihm weggespült werden.
Bei der Erstellung einer Digitalisierungsstrategie und deren erfolgreicher Umsetzung gilt es, folgende Punkte zu beachten:
Sie brauchen digitale Mitarbeitende
Starten Sie den Prozess der digitalen Transformation mit den richtigen Mitarbeitenden. Holen Sie möglichst viele «Digitale» ins Projekt, sogenannte Zukunftsmissionare und -botschafter, die bunten Hunde und Querdenker, die Unbequemen und nicht die Angepassten. Diese brauchen Sie an den Schlüsselpositionen, denn Ihre Hauptakteure sollten eine bedingungslose Begeisterung für digitale Trends zeigen. Nur so kann die Transformation auf allen Ebenen erfolgreich umgesetzt werden.
Digital Leadership
Der zweite Punkt auf Ihrer To-do-Liste ist ein digitaler Leader, der das Changeprojekt erfolgreich umsetzen kann. Idealerweise ist der «Digital Leader» der CEO selbst. Er kennt die Prozesse, Produkte und Organisationsstrukturen des Unternehmens und vor allem hat er den nötigen Einfluss und das Durchsetzungsvermögen, um Veränderungen im gesamten Unternehmen anzustoßen.
Ab einer gewissen Unternehmensgröße macht ein Chief Digital Officer (CDO) Sinn. Er kann im Unternehmen auch als „Leiter Digital“ bezeichnet werden. Wichtig ist nicht seine Stellenbetitelung, sondern seine umfangreichen Kompetenzen, sodass er die nötigen Maßnahmen ergreifen und umsetzen kann. Er muss direkt an den CEO rapportieren.
Zur Unternehmensleitung gehört auch der Aufsichtsrat, der um neue Mitglieder mit entsprechender Digitalisierungserfahrung ergänzt werden sollte.
Nun können Sie mit dem Kernteam Ihre digitale Strategie erstellen
- Definieren Sie eine neue Vision fürs digitale Zeitalter.
- Bestimmen Sie in der Mission Ihre Kernaufgabe.
- Zeigen Sie die übergeordneten Ziele der digitalen Transformation auf
- Definieren Sie in einer Prozesslandkarte und einem Masterplan, welche Prozesse Sie in welcher Reihenfolge neu designen und digitalisieren möchten.
- Richten Sie Ihre Prozesse einhundertprozentig auf Ihre Kunden aus, damit Sie die bestmögliche User Experience (UX) erzielen können.
- Transformieren Sie Ihre Unternehmenskultur kompromisslos, damit Sie im digitalen Zeitalter als Organisation bestehen können.
- Passen Sie Ihre Struktur dem neuen Führungsverständnis der digitalen Mitarbeiter an.
- Hinterfragen Sie Ihre Geschäftsmodelle. Können diese auch im digitalen Umfeld Bestand haben? Nein? Anpassen!
- Definieren Sie, wie Sie sich mit einem Alleinstellungsmerkmal (USP) von Ihren Mitbewerbern noch stärker abheben und unterscheiden können.
Und zum Schluss noch ein Tipp aus meiner beruflichen Praxis. Holen Sie die Außensicht in Ihr Team. Nur ein Externer oder Berater hat den unverbrauchten Blick, um kritisch hinterfragen zu können. Und er hat meist eine höhere Glaubwürdigkeit als ein Interner. Denn auch hier gilt: Der Prophet im eigenen Land zählt wenig. Und leider werden Sie während Ihrer digitalen Transformation zu oft Gegenwind von den angepassten Mitarbeitern bekommen, sodass Sie für jede Unterstützung, egal ob von innen oder außen, dankbar sein werden.
Jörg Eugster
