Stadt & Organisationen

„Investitionen in faire Rohstoffgewinnung und Produktion belohnen“

Informationstechnologie soll fairer werden, dies fordert Christine Priessner von Fair Trade Stadt Hamburg auf der diesjährigen Fairen Woche, die noch bis zum 28. September 2018 in der Hansestadt läuft.

Faire Woche 2018. Foto: Alexander Hagmann / Fair Trade Stadt Hamburg

Informationstechnologie soll fairer werden, dies fordert Christine Priessner von Fair Trade Stadt Hamburg auf der diesjährigen Fairen Woche, die noch bis zum 28. September 2018 in der Hansestadt läuft.

„Wir dürfen den fast unstillbaren Rohstoffhunger der Elektronikindustrie und die massiven Menschenrechtsverletzungen in den Zulieferketten von Notebooks, Smartphones und Co. nicht stillschweigend hinnehmen“, sagte die Fachpromotorin zur Stärkung von Hamburgs Fairhandelsaktivitäten. Priessner weiter: „Die öffentliche Hand kann und muss Vorbildfunktion übernehmen und ihre Marktmacht nutzen, um bestehende Ansätze der sozial-ökologisch-verträglichen Beschaffung von Informationstechnik weiter voranzubringen.“ Zur Fairen Woche hat Priessner deshalb Vertreterinnen und Vertreter aus Produktion, Einkauf und Zivilgesellschaft zum Expertenaustausch zusammengeholt.

Dataport nimmt seine Lieferanten in die Pflicht

Wichtiger Player im Norden ist Dataport, der Full-Service-Provider für Informationstechnik vieler öffentlicher Verwaltungen, Steuerverwaltungen in mehreren norddeutschen Bundesländern und vieler Kommunalverwaltungen in Schleswig-Holstein. Rund 100.000 IT-Arbeitsplätze werden von Dataport als zentraler IT-Beschaffungsstelle mit Hardware versorgt. Das Thema Nachhaltigkeit auch im sozialen Bereich hat die Anstalt Öffentlichen Rechts sich bereits 2014 auf die Agenda gesetzt und fordert von seinen Bietern seitdem Konzepte zur sozialverantwortlichen Produktion sowohl bei der Herstellung der Produkte als auch bei der Gewinnung der Rohstoffe.

Die Lieferanten müssen darlegen, wie sie die Einhaltung von Sozialstandards bestmöglich gewährleisten und überprüfen – darunter das Verbot von Zwangsarbeit und ausbeuterischer Kinderarbeit, die Vereinigungsfreiheit, Kündigungsschutz und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. „Sozial nachhaltige IT-Beschaffung über alle Produktions- und Lieferstufen gibt es leider nicht“, sagt Henning Elbe, Umweltschutzbeauftragter bei Dataport, und wirbt mit Blick auf die zehn Lieferkettenstufen von der Schmelzhütte bis zur Endmontage und 1 Millionen Komponenten von 1.000 Herstellern um Verständnis. Elbes Resümee nach der inzwischen zweiten Ausschreibung der Hardware-Lieferungen ist dennoch vorsichtig optimistisch: „Das Thema ist in der Branche angekommen. Soziale Kriterien werden von den Herstellern als Wettbewerbsvorteil erkannt. Die Qualität der Konzepte steigt. So sind immer mehr Hersteller bereit, ihre Lieferketten offen zu legen. Auch lassen immer mehr Unternehmen ihre Arbeitsbedingungen, ihr ethisches Verständnis und ihren Umgang mit der Gesundheit ihrer Arbeitnehmer prüfen und zertifizieren.“

WEED beklagt Menschenrechtsverletzungen beim Rohstoffabbau

„Das Engagement von Dataport wirkt in den Markt“, bestätigt Annelie Evermann, Referentin Wirtschaft und Menschenrechte bei WEED e.V. – World Economy, Ecology & Development. Diese 1990 gegründete Nichtregierungsorganisation arbeitet vor allem im öffentlichen Auftrag zu den sozialen und ökologischen Auswirkungen der Globalisierung und setzt sich für eine Wende in der Finanz-, Wirtschafts- und Umweltpolitik hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Tragfähigkeit ein. Evermann wünscht sich auch von anderen Beschaffungsstellen mehr Mut, sich nicht mit Eigenerklärungen in der Lieferkette abspeisen zu lassen, sondern aktiv soziale Kriterien einzufordern und diese zu überprüfen.

Außerdem könnten Beschaffungsstellen viel tun, indem sie die Augen offen halten, wo sich gute Entwicklungen abzeichnen, die man unterstützen kann. Als Beispiel nennt Evermann die menschenrechtliche Situation beim Rohstoffabbau, bei der manche IT-Hersteller sich um Fragen wie Kinderarbeit oder Konfliktrohstoffe bemühen. „Es gibt immer wieder Unternehmen, die wirklich in die Verbesserung der sozialen und ökologischen Abbaubedingungen investieren“ betont Evermann. „Diese Investitionen sollte man belohnen.“

Und auch die weiteren Lieferkettenstufen in der Herstellung seien ein solches Feld, da hier aufgrund fehlender Verantwortungsübernahme der Hersteller von gravierenden Arbeitsrechtsverletzungen auszugehen sei. „Die Hersteller haben ihre Produktion in Niedriglohnländer ohne ausreichende staatliche Kontrolle ausgelagert und übernehmen die Verantwortung für die Einhaltung von Mindeststandards bei den Rechten der Arbeiterinnen und Arbeiter, bei Gesundheit, Arbeitssicherheit und der Einhaltung von Umweltstandards nun höchstens bei ihren direkten Zulieferern.“ Das Problem: Die Zulieferer hätten im Gegensatz zu den großen Herstellern in der Regel weder das Know-how noch die Ressourcen, die notwendigen Kontrollen durchzuführen. Die Unterschriften auf den Selbstverpflichtungen sagen deshalb nichts aus. „Mit sogenannten Wertungskriterien können Beschaffungsstellen auch hier Vorreiter unter den Herstellern bevorzugen.“

IT.Niedersachsen hat faire Computermäuse angeschafft

IT.Niedersachsen, der zentrale IT-Dienstleister des Landes Niedersachsen, ist diesen Weg gegangen und hat 19.000 faire Computermäuse vom Hersteller Nager IT für die niedersächsische Polizei im Winter 2016 geordert. „Das Land Niedersachsen sieht sich in einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Mit dem Einsatz der fairen Maus gehen wir diesem Anspruch gerne nach“, sagt Jens Lehner, seinerzeit Leiter des zentralen IT-Einkaufs in Niedersachsen. „Beschaffungen werden natürlich möglichst effizient, andererseits aber auch unter Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte vorgenommen“, so Lehner.

Auch der um faire Rohstoffgewinnung und Produktion bemühte Hersteller Nager IT kann nicht für seine komplette Lieferkette garantieren, die mehr als 100 beteiligte Fabriken und Minen umfasst. Doch die „Faire Maus“ von Nager IT ist mit Abstand das fairste, was es im Bereich Elektronik derzeit gibt. Der Hersteller sagt, man könne seine Maus derzeit mit gutem Gewissen als zwei Drittel fair bezeichnen. Dem Ziel einer Computermaus, die im gesamten Produktionsprozess ohne jegliche Ausbeutung hergestellt wird, nähere man sich Schritt für Schritt, nach dem Motto „am fairsten → fairer → fair“.

Drei Tipps für den fairen Computereinkauf

Nicht jedes Unternehmen und jeder Endabnehmer kann mit seinem IT-Händler über Beschaffungskonzepte verhandeln. Drei Tipps für den fairen Computereinkauf:

  • TCO-Gütesiegel helfen dem Käufer, sehr gute Qualitäts- und Umweltschutz-Standards bei IT-Geräten zu erkennen. Seit 2009 gehört auch die soziale Verantwortung in der Produktion der Geräte zu den Prüfanforderungen.
  • Die Langlebigkeit von Geräten und lange Beschaffungszyklen sparen Ressourcen und schonen die Umwelt.
  • Wer auf die Reparierfähigkeit von Geräten achtet, unterstützt lokale Repair-Cafés oder die kleinen und mittelständischen Dienstleister, die die Geräte reparieren können.

Faire Woche in Hamburg

„Gemeinsam für ein gutes Klima“- unter diesem Motto laden Fair Trade Stadt Hamburg, Weltläden, Fair-Handels-Initiativen, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Gastronomie-Betriebe, Universität Hamburg sowie Einzel- und Großhändler noch bis zum 28. September im Rahmen der bundesweiten Fairen Woche zu Veranstaltungen rund um den Fairen Handel ein. Der Klimawandel ist weltweit eine der größten Herausforderungen auch für den Fairen Handel. Neben der traditionellen Forderung nach sozialer Gerechtigkeit kommt der Forderung nach Klimagerechtigkeit steigende Bedeutung zu. Denn Klimagerechtigkeit ist eng mit sozialen Strukturen verwoben und zahlreiche Handelspartner des Fairen Handels sind unmittelbar vom Klimawandel betroffen, da Pflanzen wie Kakao und Kaffee sehr sensibel auf Veränderungen reagieren.

Drei Programmtipps

  • „Faire Arbeit, Bio oder Billig – Worauf achten wir beim Einkauf?“ Mittwoch, 26. September 2018, von 18 bis 20 Uhr. DGB Hamburg, BUND Hamburg, Verbraucherzentrale Hamburg und die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) Hamburg/Elmshorn laden zu einem Gespräch in den Klub, Besenbinderhof 62. Vor Ort sind Katja Karger (DGB), Manfred Bartsch (BUND), Achim Lori (Tchibo), Tristan Jorde und Armin Valet (Verbraucherzentrale) sowie Arno Fischer (NGG)
  • „Gemeinsam für ein gutes Klima in Deinen Finanzen“ –Mittwoch, 26. September 2018, von 19 bis 21 Uhr. Die eco-Finanzplaner Jan Sachau und Jakob Wahl geben Aufschluss darüber, welche Finanzprodukte fossile Energieträger, Kinderarbeit und Nahrungsmittelspekulation unterstützen und welche klimafreundlichen Alternativen und Handlungsmöglichkeiten es gibt.
  • Der Erdbeerfressende Drache gastiert im Cook-up (Weidenallee 27) –Donnerstag, 27. September 2018 ab 18 Uhr. Er verwöhnt die Gäste mit kleinen und kombinierbaren Speisen aus fairem und regionalem Anbau (zwischen 6 und 16 Euro). Einfach ohne Reservierung vorbeikommen und genießen.

Das komplette Programm: www.fairtradestadt-hamburg.de

Weitere Informationen:
Fair Trade Stadt Hamburg, www.fairtradestadt-hamburg.de
Dataport, www.dataport.de/Seiten/Startseite.aspx
W.E.E.D. e.V., www.weed-online.org
Nager IT, www.nager-it.de
TCO Certified, tcocertified.com
Faires Büro, www.fairtradestadt-hamburg.de/mitmachen/fuer-unternehmen-und-oeffentliche-verwaltung/fairesbuero/

 

Bildquellen

  • Faire Woche 2018: Alexander Hagmann / Fair Trade Stadt Hamburg

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