Recht & Steuern

Betriebliche Arbeitszeiterfassung – Das nächste Kapitel ist aufgeschlagen

Die allgemeine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit aller Mitarbeitenden beschäftigt seit geraumer Zeit die Personalabteilungen dieses Landes. Bislang stellte sich vor allem die Frage, ob und wann eine solche gesetzliche Verpflichtung denn nun eingeführt wird. Notwendig ist dies spätestens seit Mai 2019, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Grundsatzentscheidung feststellte, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu verpflichtet sind, rechtliche Vorschriften zu schaffen, nach denen Unternehmen ein allgemeines System zur Arbeitszeiterfassung aller Beschäftigten bereithalten müssen. Dies gebiete die EU-Arbeitszeitrichtlinie, damit Mitarbeitende ihre geleistete Arbeitszeit transparent nachweisen und damit ihren Vergütungsanspruch ausreichend belegen können.

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Von Seiten des deutschen Gesetzgebers ist seitdem jedoch nicht viel passiert. Zwar wurde im Dezember 2021 im Rahmen des Koalitionsvertrages erneut angekündigt, den Anpassungsbedarf angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht zu prüfen. Eine Änderung gesetzlicher Vorschriften ist allerdings auch drei Jahre nach dem Urteil des EuGH noch nicht erfolgt.

Dieser Lethargie hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun ein Ende bereitet, indem es die bereits bestehenden rechtlichen Regelungen zum Arbeitsschutz neu interpretiert hat. Mit Beschluss vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) stellte das höchste deutsche Arbeitsgericht fest, dass Arbeitgeber in Deutschland schon heute verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmenden geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Diese Pflicht ergebe sich unmittelbar aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Die Vorschrift ordnet sinngemäß an, dass Unternehmen verpflichtet sind, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen und zur Planung und Durchführung dieser Maßnahmen für eine geeignete Organisation zu sorgen sowie die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Nach Auffassung der Richterinnen und Richter sei diese Vorgabe in Anbetracht der Rechtsprechung des EuGH so auszulegen, dass Arbeitgeber unmittelbar gesetzlich verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten zu erfassen.

Die Entscheidung des BAG liegt bisher nur als Pressemitteilung vor, sodass die genaue Begründung noch abgewartet werden muss. Fest steht aber schon jetzt, dass dem bereits Jahre andauernden Thema der allgemeinen Arbeitszeiterfassung nun relativ unerwartet ein neues Kapitel hinzugefügt wurde. Mit Spannung bleibt zu beobachten, wie der Gesetzgeber hierauf reagiert und ob er nun die Möglichkeit nutzt, klare und verbindliche Regelungen für die betriebliche Praxis zu schaffen. Denn zukünftig sollen – auch dies war im Koalitionsvertrag angekündigt – flexible Arbeitszeitmodelle (zum Beispiel Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich bleiben. Eine Antwort darauf, wie dies mit der nun vom BAG festgestellten allgemeinen Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeiten aller Beschäftigten in Einklang zu bringen ist, kann nur der Gesetzgeber selbst geben.

— Dennis Siggelow —

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ZUM AUTOR

Rechtsanwalt Dennis Siggelow, Leiter Geschäftsstelle Lübeck,
AGA Norddeutscher Unternehmensverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistung e.V.
Im AGA sind mehr als 3.500 überwiegend mittelständische Groß- und Außenhändler sowie unternehmensnahe Dienstleister aus Norddeutschland organisiert. Der AGA unterstützt in Unternehmens- und Personalführung sowie in allen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Ferner vertritt der AGA die branchen- und firmenspezifischen Belange seiner Mitglieder gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit. www.aga.de

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