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Hamburger Modell jetzt immer durchzuführen

Bei vielen Arbeitgebern herrscht die Vorstellung, das Modell der stufenweisen Wiedereingliederung (so genanntes Hamburger Modell) sei nicht zwingend; hierüber könne frei entschieden werden. Dies ist nicht mehr zutreffend.

Bei vielen Arbeitgebern herrscht die Vorstellung, das Modell der stufenweisen Wiedereingliederung (so genanntes Hamburger Modell) sei nicht zwingend; hierüber könne frei entschieden werden. Dies ist nicht mehr zutreffend.

Im Rahmen der notwendigen Maßnahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gehört auch die Durchführung einer ärztlich empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung nunmehr zum Pflichtprogramm. Arbeitgeber, die daher das Hamburger Modell ablehnen, müssen mit Schadensersatzansprüchen rechnen. Welche Grundsätze hier gelten, hat nun das Landesarbeitsgericht Hamm in einem aktuellen Urteil entschieden (LAG Hamm, Urteil v. 04.07.2011 – 8 Sa 726/11).

Der Fall (verkürzt):

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren über die Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt von Annahmeverzug und/oder Schadensersatz für die Zeiträume vom 1. bis 26. März 2009 und vom 9. April bis 30. April 2009. Der Kläger wurde in dieser Zeit nicht beschäftigt.

Der klagende Arbeitnehmer ist bereits seit dem 1. Juli 2003 bei dem beklagten Arbeitgeber, einem DRK-Kreisverband, zuletzt als Disponent in der Sicherheitszentrale eingesetzt. Bis zum 3. November 2008 war er aufgrund einer depressiven Erkrankung arbeitsunfähig. Der Arbeitgeber lehnte noch zwei Wochen vorher mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 eine ärztlicherseits vorgeschlagene stufenweise Wiedereingliederung unter Hinweis auf Sicherheitsbedenken ab. Trotz einer ärztlichen Bescheinigung vom 4. November 2008, wonach ihm Arbeitsfähigkeit attestiert wurde, lehnte der Arbeitgeber dennoch die Arbeitsleistung ab.

Auf Veranlassung des Arbeitgebers stellte sich der Kläger sodann am 9. März 2009 beim „Werksarztzentrum“ vor, welches in seiner Stellungnahme vom 19. März 2009 gegen einen Einsatz des Klägers Bedenken erhob und eine zweiwöchige Wiedereingliederung unter Aufsicht empfahl. Auch diese Wiedereingliederung lehnte der Arbeitgeber wegen weiterhin bestehender Sicherheitsbedenken ab. Der Kläger erlitt hierauf einen Rückfall und war vom 27. März bis 8. April 2009 erneut arbeitsunfähig. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen bestätigte mit Schreiben vom 8. April 2009 die Einsatzfähigkeit des Klägers für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Disponent. Der Kläger bot weiterhin erfolglos seine Arbeitskraft an.

Das Arbeitsgericht hat den Arbeitgeber antragsgemäß zur Zahlung von Arbeitsvergütung für die streitigen Zeiträume verurteilt.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt und die Berufung des Arbeitgebers zurückgewiesen.

I. Annahmeverzug

Das Landesarbeitsgericht hat den Zahlungsansprüchen bereits unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gem. § 615 BGB stattgegeben. Der Kläger sei arbeitsfähig gewesen. Der Arbeitgeber habe es versäumt, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz zuzuweisen. Trotz Sicherheitsbedenken sei die Beschäftigung nicht unzumutbar gewesen. Insoweit entspricht die Entscheidung der ständigen Rechtsprechung. Von weitaus größerer Bedeutung sind aber die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu einem Schadensersatzanspruch wegen der Ablehnung der stufenweisen Wiedereingliederung.

II. Stufenweise Wiedereingliederung zwingend!

Die Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung erfolgt während bestehender Arbeitsunfähigkeit. Den Arbeitgeber trifft also während dieses Zeitraums keine Beschäftigungs- und Vergütungspflicht. Die sozialrechtlichen Vorschriften begründen weder einen klagbaren Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung noch eine diesbezügliche sozialrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers.

Aber: Dennoch steht dem Arbeitgeber in arbeitsrechtlicher Hinsicht die Entscheidung nicht frei, sich auf eine ärztlich empfohlene stufenweise Wiedereingliederung einzulassen oder nicht. Wie sich aus der Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB IX ergibt (betriebliches Eingliederungsmanagement = BEM), trifft den Arbeitgeber unter den dort genannten Voraussetzungen die Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Ziel dieser Maßnahme ist die Suche nach Möglichkeiten, dem länger oder häufiger erkrankten Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz zu erhalten und geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen.

III. Schadensersatzanspruch!

Zu denjenigen Maßnahmen, welche im Zuge eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zur Verfügung stehen, gehört auch die stufenweise Wiedereingliederung. Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements oder der in diesem Zuge als geeignet in Betracht kommende Maßnahme, so zieht dies eine Verpflichtung zum Schadensersatz gem. § 280 BGB nach sich. Soweit demgegenüber eingewandt wird, es fehle an einer nebenvertraglichen Rechtspflicht deren Verletzung Schadensersatzansprüche begründen könne, da das BEM lediglich ein Verfahren zur Suche nach bestehenden Möglichkeiten darstelle, überzeugt dies das Landesarbeitsgericht nicht. Allein die Tatsache, dass § 84 SGB IX selbst keine Rechtsfolgenregelung umfasse, rechtfertige nicht die Annahme einer rechtlichen Unverbindlichkeit und Folgenlosigkeit eines Gesetzesverstoßes. § 84 Abs. 2 SGB IX dient dem Schutz länger erkrankter Arbeitnehmer vor nachteiligen Auswirkungen und stellt damit zugleich ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar.

IV. Sicherheitsbedenken?

Die von dem Arbeitgeber angeführten unabweisbaren Sicherheitsbedenken einer Beschäftigung stehen dem nicht entgegen. Aus der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements folgt, dass sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken kann, eine dem aktuellen Gesundheitszustand des Arbeitnehmers angepasste und damit ggf. hinsichtlich der übertragenen Verantwortung eingeschränkte anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zu suchen. Vielmehr soll mit dem BEM in erster Linie das Ziel erreicht werden, dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitspatz zu ermöglichen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, durch geeignete organisatorische Maßnahmen die Wiederaufnahme der bisherigen Tätigkeit zu fördern, soweit dies den Umständen nach möglich und zumutbar erscheint.

Fazit:

Die Durchführung eines BEM ist für alle Arbeitnehmer zwingend, nicht nur für schwerbehinderte Menschen. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat nun in Einklang mit einer im Vordringen befindlichen Auffassung in der sozialrechtlichen Literatur klargestellt, dass im Rahmen des BEM eine ärztlicherseits verordnete stufenweise Wiedereingliederung akzeptiert und angenommen werden muss. Andernfalls drohen Schadensersatzansprüche! Der Praxis kann daher nur empfohlen werden, sich mit den Voraussetzungen des BEM vertraut zu machen und bei Vorliegen der Voraussetzungen stets ein BEM anzubieten und durchzuführen.

LAG Hamm, Urteil v. 04.07.2011 – 8 Sa 726/11

 

Dr. Nicolai Besgen

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