Pflegenotstand, Fachkräftemangel, demografischer Wandel – die Pflegebranche steht vor großen Herausforderungen. Im Expertentalk mit business-on.de spricht Dörthe Schuchardt, Geschäftsführerin des Pflegedienstes Hessen-Süd in Darmstadt, über ihre Motivation, die Bedeutung echter Nächstenliebe in der Pflege und ihre Wünsche an die Politik.
Dörthe Schuchardt setzt sich mit Herzblut für die Pflegearbeit in Darmstadt und Umgebung ein. Als designierte Nachfolgerin ihres Vaters in einem Bereich, der zunehmend von gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel und der alternden Bevölkerung geprägt ist, bringt sie ihre persönliche Leidenschaft und Vision in die tägliche Arbeit ein. Mit einem klaren Fokus auf individuelle Betreuung, hohe Qualitätsstandards und christliche Werte steht sie für eine Pflege, die den Menschen und seine Bedürfnisse konsequent in den Mittelpunkt rückt.
Während die Pflegebranche oft unter massivem Zeit- und Kostendruck steht, betont Schuchardt, wie essenziell Empathie, echte Wertschätzung und nachhaltige Lösungen für eine zukunftsfähige Pflege sind. In unserem heutigen Expertentalk gibt sie spannende Einblicke in ihre Motivation, den Berufsalltag und ihre Perspektiven auf die Zukunft der Pflegebranche.
Business-On: Herzlich willkommen, Frau Schuchardt – als gleichberechtigte Geschäftsführerin und designierte Nachfolgerin Ihres Vaters kennen Sie sicherlich sämtliche Facetten der Pflegebranche und können auch die Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre besonders gut einordnen. Steht es wirklich so schlecht um die Branche, wie es die aktuellen Diskussionen um Pflegenotstand, Überalterung und Fachkräftemangel vermuten lassen?
Dörthe Schuchardt: Jein. Die Herausforderungen sind tatsächlich enorm, und viele der bestehenden Strukturen lassen sich nicht einfach von heute auf morgen verändern. Gerade im Bereich der ambulanten Pflege sind wir stark auf die Vorgaben und Budgets der Kostenträger angewiesen. Hier gilt leider oft, dass niemand mehr Geld investieren möchte als unbedingt notwendig. Die entscheidende Frage lautet jedoch: wer definiert, was „notwendig“ ist? Diese Entscheidung liegt häufig in den Händen der Kostenträger, und unsere Kunden, die Pflegebedürftigen, müssen letztlich die Konsequenzen tragen – etwa, wenn sie notwendige Leistungen selbst finanzieren müssen.
Der Fachkräftemangel ist ein branchenübergreifendes Problem, das sich in der Pflege besonders gravierend zeigt. Zwar sorgen gesetzliche Vorgaben zur Lohnanpassung mittlerweile für faire und bessere Entlohnung, was ich ausdrücklich begrüße, dennoch bleiben die Grundbedingungen der Arbeit herausfordernd: der Schichtdienst, die oftmals stressigen Fahrzeiten zwischen den Einsätzen im ambulanten Dienst und der tägliche Verkehrsstress. Es braucht ein tiefes Verständnis und viel Leidenschaft für den Beruf, um sich trotz dieser Belastungen langfristig in der Pflege zu engagieren.
Business-On: Mussten Sie schon einmal einen Klienten abweisen oder konnten Sie dies bisher umgehen?
Dörthe Schuchardt: Ja, leider mussten wir in der Vergangenheit auch schon Anfragen ablehnen. Das fällt uns niemals leicht, denn unser Anspruch ist es natürlich, jedem Menschen die Unterstützung zukommen zu lassen, die er benötigt. Aber wenn unsere personellen Kapazitäten erschöpft sind, müssen wir im Sinne der Qualität eine klare Entscheidung treffen. Es bringt niemandem etwas, wenn wir neue Kunden aufnehmen, aber dadurch unsere bestehenden Klienten nicht mehr so betreuen können, wie sie es verdienen.
Wir legen großen Wert darauf, dass unsere Pflegekräfte nicht über ihre Grenzen hinaus belastet werden – denn nur so können wir eine verlässliche, wertschätzende und qualitativ hochwertige Pflege sicherstellen.
Business-On: Sie betonen auch die weibliche Perspektive auf Pflege und die Pflegearbeit. Führen Sie als Frau den Betrieb anders als Ihr Vater oder geht es Ihnen dabei mehr um die Beziehung zwischen Pflegerinnen und Klienten und auch die Motivation, einen so fordernden Beruf auszuüben?
Dörthe Schuchardt: Ich denke, sowohl als Frau als auch als Tochter bringe ich automatisch eine etwas andere Perspektive in die Führung des Betriebes ein als mein Vater. Mein Fokus liegt sehr stark auf der zwischenmenschlichen Beziehung – sowohl zu unseren Klienten als auch zu unseren Mitarbeitenden. Pflege ist für mich weit mehr als nur eine Dienstleistung; sie ist eine zutiefst persönliche Aufgabe, die Empathie, Aufmerksamkeit und echtes Interesse am Menschen erfordert.
Gerade im Umgang mit unseren Pflegerinnen und Pflegern lege ich großen Wert auf offene Kommunikation, Wertschätzung und ein Arbeitsumfeld, in dem sich jede und jeder gesehen und unterstützt fühlt. Denn ich bin überzeugt: Wer sich in seinem Beruf wertgeschätzt fühlt, kann diese Haltung auch an die Patienten weitergeben.
Natürlich gibt es auch Aufgaben, die unabhängig vom Geschlecht organisiert werden müssen, wie etwa wirtschaftliche Planung oder gesetzliche Anforderungen. Aber in der Art und Weise, wie wir Menschen begegnen und Beziehungen gestalten, glaube ich schon, dass eine weibliche Führungsperspektive einen spürbaren Unterschied machen kann.
Business-On: Würden Sie einer jungen Frau, die gerade ihren Schulabschluss macht – oder auch einem jungen Mann – empfehlen, eine Pflegeausbildung zu beginnen? Und welche Voraussetzungen sollten angehende Pflegekräfte mitbringen?
Dörthe Schuchardt: Grundsätzlich ja – ich würde jungen Menschen definitiv empfehlen, eine Ausbildung in der Pflege in Betracht zu ziehen. Aber ich rate dringend dazu, vorher ein Praktikum in dem Bereich zu absolvieren. Pflege ist eine wunderbare und gleichzeitig herausfordernde Aufgabe. Gerade als junger Mensch direkt nach dem Schulabschluss plötzlich mit Themen wie Krankheit, Alter und Tod konfrontiert zu werden, kann sehr einschneidend sein. Diese Erfahrungen muss man emotional verarbeiten können, um langfristig in diesem Beruf zufrieden und gesund zu bleiben.
Außerdem ist Pflege nicht gleich Pflege: Es gibt deutliche Unterschiede zwischen der stationären Pflege, der klinischen Versorgung und der ambulanten Pflege. Jeder Bereich hat seine eigenen Anforderungen, Chancen und Herausforderungen. Deshalb ist es wichtig, sich frühzeitig zu überlegen, welcher Bereich am besten zur eigenen Persönlichkeit und den eigenen Stärken passt.
Angehende Pflegekräfte sollten auf jeden Fall ein hohes Maß an Empathie, Geduld und Verständnis für die Lebenssituation der Menschen mitbringen, die sie begleiten. Gleichzeitig braucht es Durchsetzungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein und ein gutes wirtschaftliches Verständnis – denn Pflege bedeutet auch, Leistungen präzise zu dokumentieren und im Rahmen der bestehenden Strukturen zu erbringen. Es ist ein Beruf, der Herz und Verstand gleichermaßen fordert – und das macht ihn so besonders.
Business-On: Sie halten eine ausgeprägte Menschenliebe bzw. – wie es im Christentum heißt – Nächstenliebe also für eine Kernkompetenz im Pflegebereich?
Dörthe-Schuchardt: Ja, absolut. Eine echte, gelebte Nächstenliebe ist für mich eine zentrale Kompetenz in der Pflege. Wer in diesem Beruf arbeitet, sollte den Menschen in seiner Gesamtheit sehen – nicht nur die Krankheit oder die körperlichen Einschränkungen.
Es geht darum, jedem Einzelnen mit Respekt, Empathie und echter Wertschätzung zu begegnen, unabhängig von Alter, Herkunft oder Gesundheitszustand. Gerade in schwierigen Momenten – wenn jemand Schmerzen hat, sich hilflos fühlt oder Angst verspürt – braucht es diese innere Haltung der Mitmenschlichkeit, um wirklich eine Stütze sein zu können.
Für mich persönlich ist die christliche Vorstellung von Nächstenliebe ein wichtiger Kompass im beruflichen Alltag. Sie erinnert mich daran, warum ich diesen Weg gewählt habe und wofür wir jeden Tag antreten: für die Würde und das Wohlergehen der Menschen, die uns anvertraut sind.
Business-On: Abschließend: Was würden Sie sich von der Politik wünschen, um die Bedingungen in der Pflege und die Versorgung der Pflegebedürftigen in Deutschland zu verbessern?
Dörthe-Schuchardt: Gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel und die zunehmende Überalterung unserer Gesellschaft kann die Bedeutung der Pflege in Deutschland nicht länger ignoriert werden. Dennoch habe ich oft den Eindruck, dass die Politik die Dringlichkeit dieser Entwicklungen nicht wirklich ernst nimmt oder sich davor scheut, grundlegende und mutige Reformen anzustoßen.
In den vergangenen Jahren wurden immer wieder kleine Reförmchen auf den Weg gebracht – gut gemeinte Ansätze, die aber häufig ins Leere laufen, weil die grundlegenden Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung fehlen. Oft scheitert es daran, dass wichtige Beteiligte unterschiedliche Vorstellungen von der Umsetzung haben oder sich notwendige strukturelle Veränderungen im Dschungel der Bürokratie verlieren.
Dabei gibt es in der Pflegebranche viele innovative Ideen und engagierte Anbieter, die bereit sind, neue Wege zu gehen und Prozesse grundlegend zu verbessern. Leider werden sie dabei viel zu oft allein gelassen. Ohne eine bessere politische Unterstützung und eine ehrliche, umfassende Reform werden die Leidtragenden letztlich die Pflegebedürftigen selbst sein – und damit genau die Menschen, die auf unsere Hilfe am meisten angewiesen sind.
Ich wünsche mir deshalb mehr Mut zu echten Veränderungen, ein stärkeres Zuhören seitens der Politik und Rahmenbedingungen, die Innovationen in der Pflege nicht ausbremsen, sondern aktiv fördern.
Business-On: Herzlichen Dank, Frau Schuchardt, für diese offenen und aufschlussreichen Einblicke in eine Branche, die sich um die ältesten und schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft kümmert. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Kraft, Erfolg und Leidenschaft für Ihre wichtige Arbeit bei der Pflegedienst Hessen-Süd Janssen GmbH in Darmstadt.
Bildquellen:
- Expertentalk Dörthe Schuchardt: mit freundlicher Genehmigung
