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Jamin-Kolumne: Die Empörung über die Gewalt gegen Sanitäter und Polizisten wird morgen der Schnee von gestern sein

Auf einen Cappuccino: Die Jamin-Kolumne

Jüngst las ich in der Rheinischen Post eine Anzeige. D.V., ein Leser oder eine Leserin, schrieb: „Danke! Den Rettungskräften, die am 8.1.2023 um ca. 1 Uhr nachts in Hilden sofort zur Stelle waren und meinem Mann damit das Leben gerettet haben.“

Eine sehr schöne Geste, die mich an die letzte Silvester-Nacht erinnerte. Da stand in der Rheinischen Post und den anderen Tageszeitungen genau das Gegenteil. Die Schlagzeilen von brutaler Gewalt gegen Sanitäter und Feuerwehrleute und Polizisten.

Sachbuch veröffentlicht

Das Problem ist nicht neu. Auch wenn sich Politiker und Minister überrascht gaben, als wäre es ein neues Phänomen. Ich habe bereits in meinem Sachbuch „Abgeknallt? Gewalt gegen Polizisten“ im Jahr 2011 darüber geschrieben. Das Buch ist damals im Verlag der Gewerkschaft der Polizei, VDP, veröffentlicht worden.

Für das Buch wurde ich mit dem „GDP-Stern 2012 in besonderer Würdigung der herausragenden journalistischen Leistungen zum Thema Gewalt gegen Polizisten“ ausgezeichnet. Viel geändert hat sich leider nicht seit damals. Wie häufig gibt es nach solcherart Ereignissen eine große Empörungswelle – dann verebbt das Thema im Gully des Desinteresses.

Von Lützerath verdrängt

So ist es auch diesmal. Die Empörung über die Täter, die Forderungen nach Maßnahmen – morgen alles Schnee von gestern.

Inzwischen hat das Thema „Lützerath“ die Silvester-Ereignisse aus den Schlagzeilen verdrängt. Doch ich möchte trotzdem noch einmal daran erinnern: Es besteht für Politik und Behörden Handlungsbedarf. In meinem Buch „Abgeknallt“ habe ich damals unter dem Stichwort „Was ist zu tun?“ u.a. Folgendes geschrieben:

Unterstützen!

Unsere Gesellschaft muss sich mit dem Beruf des Polizisten und seinen Stellenwert in unserer Gesellschaft verstärkt auseinandersetzen. Jeder Polizist ist ein Mitbürger. Die Polizei muss uns mehr wert sein als der Verbrecher.

Das sollte sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen. So haben Politiker die Pflicht, sich vor die Polizisten zu stellen und Gewalt gegen Polizisten zu diskriminieren. Im Dienst verletzten Polizisten muss unsere Sympathie und Unterstützung gehören.

Lernen! 

Die Gesellschaft muss verinnerlichen, dass die Polizei mehr ist als nur eine Kraft gegen Kriminelle. Die Polizei ist Beschützer unserer Werte und der gesellschaftlichen Sicherheit.

Wir alle müssen uns ändern. Das beginnt bei der Sprache. Wer Polizisten als „Bullen“ oder „Schweine“ bezeichnet, hat ihren Wert nicht erkannt.

Informieren!

Wir brauchen Staatsbürgerkunde im besten Sinne. Da sind nicht nur Politiker und Medien, sondern auch Deutschlands Schulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen gefordert, in denen die Bedeutung der Polizei für den Einzelnen und für die Zukunft einer freien und sicheren Gesellschaft kommuniziert werden muss.

Wir brauchen Diskussionen über Werte, über Gut und Böse. Kriminelle sollten auch im Film, in Büchern oder Videospielen nicht unwidersprochen mit positiven Werten besetzt sein. Was gut ist, muss wieder als gut anerkannt, was böse, klar und deutlich als böse bezeichnet werden. Die Rolle der Polizei in unserer Gesellschaft gehört auf den Stundenplan für jeden Bürger.

Verbessern!

Die Polizei braucht einen Image-Wandel. Das öffentliche Bild der Polizei ist dringend zu verbessern. Das kann nur gelingen, wenn die Innenministerien und die Polizei selbst verstärkt Aufklärung betreiben. Themen über Werte der Kriminalitätsbekämpfung oder über die Bedeutung der Polizei in der Gesellschaft müssen in Pressemeldungen wie auch in Sozialen Netzwerken und in öffentlichen Diskussionen kommuniziert werden.

Die Öffentlichkeitsarbeit der örtlichen Polizeidienststellen sollte ihre Aufgabengebiete renovieren und entstauben. Besser als noch eine weitere Pressemitteilung über eine Verkehrskarambolage sind eine klare Stellungnahme eines Polizeipräsidenten zu einem Übergriff auf einen Polizisten oder Tipps für Zivilcourage in Diskussionen über Polizei-Themen. Die PR-Strategen der Polizei in Bund, Ländern und Kommunen müssen der Gewalt gegen Polizisten endlich den Kampf ansagen.

Reformieren!

Wir benötigen eine Sicherheitsreform, die alle Bereiche der Polizei wie auch die gesamte Gesellschaft durchdringt und aktiviert. So wie die Bundeswehr zu einer modernen Berufsarmee umgebaut werden soll, muss die Polizei zu einer modernen, schlagkräftigen Institution gegen Gewalt und Verbrechen werden.

Die Politiker müssen dafür sorgen, dass die Polizei personell und materiell gut ausgestattet ist. Die eigene Sicherheit muss umfassend garantiert sein.

Spezialisieren!

Polizisten müssen Spezialisten der Verbrechensbekämpfung sein. Hervorragend ausgebildete Polizeibeamtinnen und -beamte gehören auf die Straße – aber nicht um defekte Ampelanlagen durch Handzeichen zu ersetzen, sondern um Verbrecher zu stellen. Das bedeutet auch eine Reform der Aufgabenbereiche der Polizei.

Verkehrsüberwachung sollte in Zukunft nur noch ein weniger wichtiger Teilbereich der Polizei sein: Stauwarnungen oder Radarfallen können auch von Ordnungskräften der Städte und Gemeinden organisiert werden, so wie heute schon die Parksituation im Straßenverkehr von Bediensteten der Ordnungsbehörden der Kommunen überwacht wird.

Die Spezialisierung der Polizisten sollte so weit wie möglich gehen: So müssen etwa Polizisten mit Migrationshintergrund verstärkt eingestellt werden, um Sprachbarrieren zu überwinden und beispielsweise der wachsenden Gewalt gegen Polizisten durch Migranten und Ausländer begegnen zu können.

Vorbeugen!

Wir müssen verhindern, dass Polizisten den Bürgern in Zukunft aus Sorge um die eigene Sicherheit mit größter Vorsicht und erheblichem Misstrauen begegnen. Schon heute mehren sich die Zeichen etwa bei Demonstrationen und Fußballspielen, dass immer mehr Bürger zum Gefahrenpotenzial für die Polizisten werden.

Es darf keine Kluft zwischen Bürgern und Polizisten entstehen. Die Gesellschaft verlangt nach einer Polizei mit einer modernen Autorität. Eine Uniform beeindruckt längst nicht mehr oder nötigt gar Respekt ab. Autorität muss neu definiert und gelebt werden. (…)

Vorausschauen!

Wir brauchen eine „Agenda Sicherheit 2020“ (2011 veröffentlicht, d.Autor), um für Deutschland eine sichere Zukunft zu planen. Dafür gehören die fähigsten Experten der Nation nicht nur aus den Bereichen Kriminalität und Sicherheit, sondern auch u. a. auch Soziologen und Sozialwissenschaftler an einen Tisch. Es gilt ein neues Konzept für die Arbeit der Polizei der Zukunft zu formen und gleichzeitig sicherheitsrelevante Bereiche und Strömungen in unserer Gesellschaft zu beleuchten und zu bewerten.

Neben dem Ausbau auch neuer Aufgabengebiete wie der Internetkriminalität und der Europa-Kriminalität sind die internationalen Aspekte eines wirtschaftlichen Zusammenwachsens mit allen kriminellen Auswüchsen zu erfassen und neu einzuordnen. Nicht zuletzt ist ein neues öffentliches Bild der Polizei zu gestalten.

Bleiben Sie fröhlich. Bis nächsten Freitag. Auf einen Cappuccino…

Ihr Peter Jamin

 

Peter Jamin (© Michael Seelbach)

Peter Jamin arbeitet als Schriftsteller und Journalist. Er veröffentlichte – neben Kolumnen und Artikeln – mehr als 30 Bücher zu gesellschaftlich relevanten wie unterhaltsamen Themen. Darüber hinaus arbeitete er als Autor und Regisseur von Fernsehdokumentationen und -serien. Etliche Bücher schrieb er als Ghostwriter prominenter Zeitgenossen. Mit seinem Schwerpunktthema „Vermisst“ befasst er sich seit rund 30 Jahren; unterhält auch ein „Vermisstentelefon“ zur Beratung von Angehörigen Verschwundener. Ausgezeichnet wurde Jamins Arbeit u.a. mit dem „GdP-Stern“ der Gewerkschaft der Polizei „in besonderer Würdigung seiner herausragenden journalistischen Leistungen“. Infos zum Autor unter jamin.de.

Bildquellen

  • Peter Jamin: Michael Seelbach
  • GdP_Stern_Jamin: Jamin
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