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Tuchel-Kolumne: Der Kunde – die unbequemste Nebensache der Welt

QUERGEDACHT: DIE TUCHEL-KOLUMNE

Bei uns steht der Mensch/Kunde im Mittelpunkt – so heißt es in den meisten Firmenphilosophien. Wann hat das eigentlich angefangen, dass Unternehmen sich über existenzielle Fragen des Menschseins den Kopf zerbrechen und sich Philosophien zulegen?

Viel scheint der Ausflug ins Akademische nicht bewirkt zu haben. Denn der Kunde steht oft nicht im Mittelpunkt, sondern wird zunehmend zum Störfaktor, vor allem, wenn er Fragen, Probleme oder Reklamationen hat. Das haben viele Unternehmen längst erkannt und ein geniales System zur Vermeidung von Kundenkontakten aufgebaut. Erste Maxime: Sei telefonisch nicht erreichbar. Statt Telefonnummern werden nur noch Kontaktformulare online angeboten. Lässt das Business das nicht zu, empfehlen sich automatisierte Dialoge, die dazu auffordern: „Wenn Sie ein Problem haben, besuchen Sie uns auf unserer Website.“ Beharrt der Kunde darauf, das Telefonat fortzuführen, wird das Anliegen eingekreist. Dann fragt das Warteschleifensystem, ob der Kunde damit einverstanden sei, dass das Gespräch aufgezeichnet werde und ob er im Anschluss bereit sei, an einer Kundenbefragung teilzunehmen. Hat man zu allem Ja und Amen gesagt, auch mit dem Hintergedanken, dass das System einen sicher weiter hinten in der Warteschleife einreiht, wenn man einer Aufzeichnung oder der Kundenbefragung nicht zustimmt, jede Menge Einsen, Zweien, Dreien oder Rauten und die achtstellige Kundennummer nebst Geburtsdatum eingegeben, ertönt die Ansage: „Zurzeit befinden sich alle unsere Mitarbeiter in Kundengesprächen. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.“ Das ist die Kür.

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Es muss aber nicht unbedingt besser werden, wenn man tatsächlich irgendwann zu Iwana durchgestellt wird. Ich habe eine natürliche Scheu, jemanden gleich zu duzen. Daran muss ich noch arbeiten. Manche Call-Center-Agenten zeigen aber auch Charakterstärke. Als mein Mann einen Mietwagen bei Sixt wegen einer Änderung eines Fluges umbuchen wollte, sollte der Umbuchungsprozess 170 Euro kosten, was der Mietsumme des Autos für 14 Tage entsprach. Als er den Mitarbeiter darauf hinwies, dass das doch nicht sein Ernst sein könne, meinte er: „Kommen Sie mir bloß nicht so.“ Und legte auf. Da das Gespräch aufgezeichnet wurde und Sixt sich danach nicht gemeldet hat, gehe ich davon aus, dass das Unternehmen mit dem Verhalten des Mitarbeiters einverstanden war.

Auch der stationäre Handel ist im Wandel. Als ich um 14.00 Uhr einen Mobilfunkshop in den Bilker Arkaden aufsuchen wollte, war dieser geschlossen. „Mittagspause“ stand auf dem hingekritzelten Zettel an der Scheibe. Als ich nach über einer Stunde wieder vorbeischaute, hatte sich nichts geändert. Ich blieb unschlüssig ein paar Minuten vor den Schaufensterscheiben stehen. Das animierte den Mitarbeiter, das Café gegenüber zu verlassen und den Shop zu öffnen. Nein, ich bräuchte für den neuen Vertrag keinen neuen Router. Alles würde automatisch umgestellt, beteuerte er mehrmals auf meine Nachfrage. Ein paar Tage später kamen ein Schreiben und ein neuer Router. Auf meine telefonische Nachfrage, die sogar relativ flott durchgestellt wurde, meinte der Call-Center-Mitarbeiter, dass die Mitarbeiter in den Shops eben verkaufen würden und für technische Fragen gebe es schließlich ihn. Ich bat ihn, diese Firmenphilosophie noch einmal zu überdenken. Er gebe es weiter, sagte er. Und dann? fragte ich. Höre ich nie wieder etwas davon, sagte er.

Susan Tuchel

 

Susan Tuchel

Susan Tuchel, Journalistin, Autorin und PR-Beraterin in Düsseldorf, nimmt gesellschaftliche Trends, politische und wirtschaftliche Entwicklungen ins Visier. Ihre Kolumne, mal sachlich und nüchtern, mal emotional oder scharfzüngig, erscheint exklusiv jeden ersten Montag im Monat bei business-on.

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