Connect with us

Hi, what are you looking for?

Aktuell

Verhandlungs-Experte Ivan Bigiordi zur Bundestrainer-Nachfolge: „Verhandlungen dürfen nicht durch Emotionen beeinflusst werden“

Seit der Freistellung von Nationaltrainer Hansi Flick wurden diverse mögliche Nachfolger ins Spiel gebracht. Jürgen Klopp hat ebenso wie Matthias Sammer bereits abgesagt. Felix Magath hingegen hat grundsätzliche Bereitschaft verkündet und neben Oliver Glasner und Louis van Gaal wird auch der im März vom FC Bayern München freigestellte Julian Nagelsmann weiter als möglicher Bundestrainer gehandelt. Nagelsmann steht allerdings noch bis 2026 bei den Bayern unter Vertrag und soll dort Berichten zufolge 7 Millionen Euro jährlich verdienen. Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß hatte aber bereits angedeutet, dass „ein Wechsel von Nagelsmann zum DFB sicher nicht am FC Bayern scheitern würde“ – angesichts der finanziellen Verpflichtungen des Vereins gegenüber Nagelsmann wenig verwunderlich. Auf der anderen Seite steht auch Hansi Flick noch beim DFB unter Vertrag – laut dem Fachmagazin Kicker stehen auch diesem bis zum Vertragsende noch 4,5 Millionen Euro zu.

Nun melden verschiedene Medien übereinstimmend, dass der DFB Kontakt zu Julian Nagelsmanns Berater Volker Struth von der Agentur Sports360 aufgenommen hat. Vor diesem Hintergrund sprach business-on mit dem internationalen Verhandlungsexperten Ivan Bigiordi, selbst in jungen Jahren Profi beim VfL Bochum, über die Herausforderungen solcher Verhandlungen.

bon: Herr Bigiordi, Sie beraten und begleiten zahlreiche große Industrieunternehmen bei Verhandlungen, bei denen es oft um sehr viel mehr Geld geht – teilweise in dreistelliger Millionenhöhe. Wie würden Sie an die Sache herangehen?

Ivan Bigiordi: Grundsätzlich – und das gilt für jede Verhandlung – bestimmt die eigene Zielsetzung die Verhandlungsstrategie. In der momentanen Situation gibt es aus meiner Sicht zwei Perspektiven, die ausschlaggebend für die weitere Vorgehensweise und die Zielsetzung sind. Will der DFB einen Trainer verpflichten, der die verbleibenden Monate bis zur EM aufgrund seiner besonderen Persönlichkeit und Fähigkeiten nutzt, um innerhalb kurzer Zeit die Mannschaft zu motivieren? Dies wäre ja prinzipiell die Lösung mit Rudi Völler gewesen, der dafür allerdings nicht zur Verfügung steht. Ergo müsste eine ähnliche Persönlichkeit dafür gefunden werden. Oder möchte der DFB bereits jetzt eine langfristigere Trainerlösung haben und dementsprechend einen Trainer wählen, der seine neuen Ideen, seine Spielphilosophie kontinuierlich einbringt, um in einem bestimmten Zeitraum, z.B. bis zur WM 2026, die Nationalmannschaft zu einem Spitzenteam zu entwickeln?

Die momentan genannten möglichen Kandidaten, unterscheiden sich hauptsächlich in ihrer Persönlichkeitsstruktur und demnach in ihrer Ausrichtung. Die Herren Neuendorf und Watzke haben ja gesagt, dass sie jetzt ein „Anforderungsprofil“ des neuen Trainers erarbeiten. Somit werden diese Grundgedanken sicherlich eine Rolle spielen. In einer Verhandlung ist eine akribische Vorbereitung mit der Analyse aller verhandlungsrelevanter Parameter unerlässlich. Damit wird der Grundstein für den Erfolg gelegt.

bon: Jetzt wird aber unter starkem Zeitdruck verhandelt, denn zum einen gibt es eine große Erwartungshaltung von Millionen Fußball-Fans in Deutschland, zum anderen ist nicht mehr sehr viel Zeit bis zur Fußball-Europameisterschaft 2024 im eigenen Land. Was bedeutet das für Verhandlungen?

Ivan Bigiordi: Ein wichtiges Element einer professionell geführten Verhandlung ist, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Wir sprechen hier allerdings von Fußball, also einem Thema, das unmittelbar an Emotionen geknüpft ist und „davon lebt“. Dementsprechend ist die Aufgabenstellung viel komplexer, als sie beispielsweise bei Verhandlungen in der Wirtschaft gegeben ist. Zeit und dadurch entstehender Druck kann sich je nach Position der jeweiligen Verhandlungsseite vor- oder nachteilig auswirken. Ich empfehle immer, möglichst keine Hinweise zu geben, ob man unter Zeitdruck steht, denn dies schwächt signifikant die eigene Verhandlungsposition. Das klingt vielleicht überraschend, aber meiner Meinung nach befindet sich der DFB nicht unter Zeitdruck und genau das sollte von den Verantwortlichen des DFB klar kommuniziert werden. Wenn man in eine Verhandlung einsteigt, sollten in der bereits erwähnten akribischen Vorbereitung auch Alternativen definiert werden, falls eine Vereinbarung mit der präferierten Lösung nicht erreicht werden kann.

Das Thema Zeitdruck hängt in diesem Fall jeweils von der eigenen Zielsetzung ab. Julian Nagelsmann ist – objektiv betrachtet – in einer komfortablen Situation. Er hat einen Vertrag bis 2026 und ist zumindest aus finanzieller Sicht „safe“. Dementsprechend wird er seine Zielsetzung hauptsächlich auf sportlicher Basis treffen. Der FC Bayern ist trotz der hohen finanziellen Verpflichtung zu Julian Nagelsmann im Großen und Ganzen safe, denn als die Entscheidung getroffen wurde, ihn freizustellen, hat man sicherlich auch einen klaren Finanzierungsplan gehabt. Hansi Flick hat auch noch einen Vertrag mit dem DFB und spielt in der aktuellen Verhandlungssituation keine Rolle.

Noch einmal: Alles steht und fällt mit der Zielsetzung des DFB und deswegen ist aus meiner Sicht als Verhandlungsexperte der DFB tatsächlich in der stärksten Position.

bon: Gibt es besondere Fallstricke bei Verhandlungen unter Zeitdruck und unter der Erwartungshaltung von Medien und Fans?

Ivan Bigiordi: Unter Zeitdruck zu verhandeln ist – wie bereits erwähnt – extrem nachteilig, insbesondere wenn man sich unter Zeitdruck setzen lässt und dies auch zeigt. Das führt einerseits dazu, dass sich die Gegenseite besonders viel Zeit lässt und dadurch den Druck immer weiter erhöht. Genau das machen professionelle Verhandler. Man macht dann unter Zeitdruck Zugeständnisse, die zu einem schlechten Ergebnis führen. Sicherlich machen die Medien entsprechenden Druck und die Fans erwarten eine schnelle Lösung.

Andererseits ist insbesondere bei diesem Thema doch eins vollkommen klar: Egal welche Entscheidung getroffen wird, es wird bei ca. 40 Millionen „Home-Bundestrainern“ und auch in den Medien immer einen Großteil geben, der komplett anders entscheiden würde. Aber genau das macht doch insbesondere den Fußball aus und da kommen die Emotionen wieder ins Spiel. Ich bin davon überzeugt, dass momentan DFB-intern auch Interims-Alternativen besprochen werden, die nicht an die Öffentlichkeit kommen und dem DFB den Zeitdruck nehmen. Wenn die DFB Verantwortlichen jetzt einen kühlen Kopf bewahren und sich gemeinsam auf ein Ziel verständigen, dann sollten Sie selbst keinen Zeitdruck entstehen lassen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Rudi Völler, sich eventuell für weitere 1-2 Spiele zur Verfügung stellt.

bon: Was würden Sie den Parteien unter solchen Voraussetzungen raten?

Ivan Bigiordi: Dem DFB würde ich raten, klar zu definieren, für welches Ziel nun der neue Bundestrainer engagiert werden soll. In dieser Situation sollte nicht versucht werden, möglichst viele Punkte zu berücksichtigen, sondern auch bewusst akzeptiert werden, dass das definierte Ziel einige wünschenswerte Kriterien nicht abdeckt. Wichtig ist auch, eine klare Alternative zu erarbeiten, falls das angestrebte Ziel nicht erreicht werden kann, damit man sich nicht auf Kompromisse oder Zugeständnisse einlässt, die zu einem negativen Ergebnis führen. Wir Verhandlungsexperten bezeichnen das als BATNA (Best Alternative to a Negotiated Agreement, Anm. der Redaktion). Es muss eine klare Verhandlungsstrategie festgelegt und umgesetzt werden.

Und nun kommt ein Ratschlag, der sicherlich bei den DFB verantwortlichen nicht mit Begeisterung aufgenommen würde: Ich rate dazu, genau zu überlegen, wer die Verhandlungen führen wird. Je nachdem mit wem verhandelt wird, sollte auch entschieden werden, wer „am geeignetsten ist“, die Verhandlung erfolgreich abzuschließen. Somit könnte es durchaus vorteilhaft sein, dass z.B. die Herren Neuendorf und Watzke nicht aktiv verhandeln, sondern ein komplett anderes Team. Persönliche Eitelkeiten und Hierarchiedenken dürfen keine Rolle spielen. Das richtige Verhandlungsteam ist auch bei Verhandlungen in der Industrie ein Garant für den Erfolg.

bon: Herr Bigiordi, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Bildquelle: ©Ivan Bigiordi / Martin Banna

Bildquellen

  • Ivan Bigiordi: Ivan Bigiordi / Fotograf: Martin Banna
Werbung

Aktuell

Vor 35 Jahren zeigte sie als Meisterschülerin der Düsseldorfer Kunstakademie ihre erste Installation im öffentlichen Raum. Heute stellt die Bildhauerin Alke Reeh ihre Kunst...

Aktuell

Ja, meinte Ulrich Spaan, er könne sich das schon vorstellen, dass eine KI als Berater (oder in) Shopping Queen im gleichnamigen Format beim TV-Sender...

Weitere Beiträge

Aktuell

Verhandlungssache – die Kolumne von Verhandlungsprofi Ivan Bigiordi

Aktuell

Verhandlungssache – die Kolumne von Verhandlungsprofi Ivan Bigiordi

Aktuell

Verhandlungssache – die Kolumne von Verhandlungsprofi Ivan Bigiordi

Aktuell

Verhandlungssache – die Kolumne von Verhandlungsprofi Ivan Bigiordi

Aktuell

Henkel wird neuer Sponsor des DFB und trägt jetzt die Titel "Offizieller Partner des Deutschen Fußball-Bundes" und "Offizieller Premium-Partner der Frauen-Nationalmannschaft".

Werbung