Connect with us

Hi, what are you looking for?

Aktuell

Festspiele in Worms: Nibelungen ziemlich misslungen

Jens Albinus und Bekim Latifi ©David Baltzer / bildbuehne.de

Angefangen vom Wormser Oberbürgermeister Adolf Kessel bis hin zur Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Malu Dreyer betonten auch in diesem Jahr alle Festredner konsequent die dritte statt der ersten Silbe im Namen der burgundischen Königsfamilie zu Worms. Wäre die falsche Betonung die einzige Crux der diesjährigen Uraufführung des Stücks von Maria Milisavljevic, wäre Intendant Nico Hofmann allerdings fein raus. Der Regisseurin Pinar Karabulut, eine gebürtige Mönchengladbacherin, ist es gelungen, aus den Liedern der Edda eine kostümierte Genderposse zu machen mit entsprechend viel Geschrei und Musical-Einlagen à la Rocky Horror Picture Show. Gewagt hat diese Inszenierung viel: ein zarter, geradezu schmächtiger Sigurd (der nordische Name für Siegfried) mit Seitenscheitel in Gestalt von Bekim Latifi wird zum Drachentöter. Doch statt mit dem schuppigen Ungeheuer Fafnir misst er sich mit dem muskelbepackten Ralf Moeller. Der lässt sich ohne nennenswerte Gegenwehr aus dem Spiel nehmen. Übergossen mit dessen „Drachenblut“ wird Sigurd unverwundbar und von Reginn (Jens Albinus) im Schmuck einer aerodynamischen Silberkappe zum Helden der Geschichte erklärt.

Helden müssen immer aufbrechen. Das ist ihre Bestimmung. Auf Isenland trifft Sigurd auf die Walküre Brynhild (Lena Urzendowsky). Die hat aber keine Lust zu kämpfen, begehrt auf gegen Odin und Frigga und möchte nach der feministischen Adaption den alten Mären eine neue Wendung geben.

Doch statt Happy End auf Isenland nimmt das Chaos auf vielen Spielflächen gleichzeitig seinen Lauf: im fliederfarbenen Sandkasten, in einem amerikanischen Fastfoodrestaurant und auf einem riesigen Bildschirm in der Mitte.

Ein Beispiel für die geschliffene Sprache: Frigga (Parisa Madani) mit Riesenballonbrüsten wendet sich an das Publikum oder an die Mitspieler mit der Anrede „Ihr Schnuppsi-Wuppsis“.

Die Regisseurin nutzte nach eigenem Bekunden die Edda, um das männliche, cis-heteronormative System zu durchbrechen. Das gelingt ihr hervorragend, etwa wenn sie Hagen von einer farbigen Deutschen (Ruby Commey) spielen lässt. Früher nannte man das „Hosenrolle“. Sehr modernistisch und auch sehr amerikanisch mutet das Kreuz aus Tomatenketchup auf Sigurds weißem Raumfahreroutfit an.

Das ist harte Kost im Niemandsland zwischen Theater, Videokunst und Klamauk, auf jeden Fall für cis-Männer. Zwei kollabierten gleich zu Beginn der Premiere, ob der Hitze der Nacht oder der Botschaft der „Brynhild“ geschuldet, muss offenbleiben.

Es ist ein Stück, das unter die Netzhaut gehen soll. Bei der Durchsage an das Publikum – dem Part, bei dem die Boomer-Generationen immer höflich gebeten werden, den Ton ihrer Handys auszustellen – wurde darauf hingewiesen, dass die Strahlen vom Flackerlicht epileptische Anfälle auslösen könnten.

Nicht wenige Premierengäste blieben nach der Pause sicherheitshalber im wunderschönen Heylpark bei einem Gläschen Winzer- oder Winzerinnenwein sitzen. Von dort vernahmen sie auch den eher verhaltenen Applaus des Publikums auf der Tribüne gegenüber dem ehrwürdigen Dom zu Worms am Rhein.

Susan Tuchel

Bildquelle: ©David Baltzer

 

Susan Tuchel

Susan Tuchel, Journalistin, Autorin und PR-Beraterin in Düsseldorf, nimmt gesellschaftliche Trends, politische und wirtschaftliche Entwicklungen ins Visier.

Bildquellen

Werbung

Aktuell

Vor 35 Jahren zeigte sie als Meisterschülerin der Düsseldorfer Kunstakademie ihre erste Installation im öffentlichen Raum. Heute stellt die Bildhauerin Alke Reeh ihre Kunst...

Aktuell

Ja, meinte Ulrich Spaan, er könne sich das schon vorstellen, dass eine KI als Berater (oder in) Shopping Queen im gleichnamigen Format beim TV-Sender...

Weitere Beiträge

Aktuell

Während die Debatten um die CO2-Klimaschutzziele und Klimaneutralität in der Industrie und auch in bundesdeutschen Haushalten heiß laufen, entsteht am Fernbahnhof des Flughafens Düsseldorf...

Aktuell

Weiblich geht es dieses Jahr zu: „hildensaga. ein königinnendrama“ heißt das neue Stück von Nestroy-Preisträger Ferdinand Schmalz, das noch bis zum 31. Juli bei...

Aktuell

Frank Possmeier, Executive Vice President der Sparte Erneuerbare Energien bei Uniper, traf sich zum Interview mit Susan Tuchel. Welche Energie in Zukunft aus welchen...

Aktuell

Die soeben erschienene Studie „It’s all about success“ des Online Research Instituts Marketagent hat Topmanager und Spitzensportler mit dem Rest der Bevölkerung verglichen und...

Aktuell

QUERGEDACHT: DIE TUCHEL-KOLUMNE

Aktuell

QUERGEDACHT: DIE TUCHEL-KOLUMNE

Aktuell

QUERGEDACHT: DIE TUCHEL-KOLUMNE

Aktuell

QUERGEDACHT: DIE TUCHEL-KOLUMNE

Werbung