In zwei Fällen ging es um den Urlaubsanspruch bei Krankheit. Die Kläger machten geltend, dass sie einen Anspruch auf bezahlten Urlaub für das Jahr haben, in dem sie aus gesundheitlichen Gründen erwerbsgemindert beziehungsweise arbeitsunfähig waren. Bei Krankheit verfällt der Urlaubsanspruch nach deutschem Recht normalerweise nach 15 Monaten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wollte vom EuGH wissen, ob der Urlaubsanspruch auch dann nach 15 Monaten verfallen darf, wenn der Arbeitgeber seine Pflichten nicht erfüllt hat, also beispielsweise keine Frist gesetzt hat, in welcher der Urlaub genommen werden soll.
Der EuGH entschied, dass bei einem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit im laufenden Urlaubsjahr ein Verfall des Urlaubsanspruchs aus diesem Jahr nur in Betracht käme, wenn der Arbeitgeber zuvor den Arbeitnehmer über den Urlaubsanspruch und den möglichen Verfall des Anspruchs unterrichtet habe. Den Arbeitgeber trifft damit auch in dieser Konstellation eine Aufklärungs- und Mitwirkungsobliegenheit.
Arbeitgeber sind damit mehr denn je gefordert, selbst oder durch ihre Personalabteilung die Erkrankungssituation ihrer Belegschaft fortwährend zu beobachten und bei einer ununterbrochenen Erkrankung, die während des Jahres eintritt, den jeweiligen Arbeitnehmer auf den Verfall des Jahresurlaubs 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahrs hinzuweisen.
Wie oft und wann ein Arbeitgeber darüber informieren muss, entschied der EuGH jedoch nicht. Das Urteil gilt nur für Urlaubsansprüche, die der Arbeitnehmer in dem Jahr erworben hat, in dem er auch tatsächlich gearbeitet hat. Das BAG will nun über die beiden Fälle am 20. Dezember 2022 abschließend entscheiden.
Im dritten Fall war die Klägerin im Zeitraum 1996 bis Juli 2017 in einer Steuerberatungskanzlei beschäftigt und konnte ihren Urlaub nach eigener Aussage wegen des hohen Arbeitsaufwands nicht nehmen und forderte eine Abgeltung der Urlaubstage. Ihr Arbeitgeber hatte die Klägerin indes nicht darauf aufmerksam gemacht, dass der Urlaub verfallen kann, wenn sie diesen nicht beansprucht. Als die Steuerfachangestellte im Jahr 2018 Urlaubsabgeltung von ihrem Arbeitgeber forderte, argumentierte ihr Arbeitgeber, dass die Urlaubsansprüche nach der im Zivilrecht üblichen Frist von drei Jahren verjährt seien.
Aber auch hier führte der EuGH aus, dass eine Abgeltung der Urlaubstage wegen Verjährung nur dann ausscheidet, wenn der Arbeitgeber dafür gesorgt hat, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrnehmen konnte. Da der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsvertrags sei, sollte die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs zu sorgen, nicht vollständig auf diesen verlagert werden. Andernfalls könne sich der Arbeitgeber seiner eigenen Pflichten unter Berufung auf einen fehlenden Antrag des Arbeitnehmers auf bezahlten Urlaub entziehen.
Die Entscheidung des EuGH reiht sich in die bisherige Rechtsprechung zum nationalen Urlaubsanspruch bei unterlassener Aufklärung durch den Arbeitgeber ein und betont erneut den zwingenden Charakter des Erholungsurlaubs als wesentlichen Grundsatz des Sozialrechts der Union.
Diese Rechtsprechung wird nunmehr durch die aktuelle EuGH-Entscheidung fortgeschrieben und klargestellt, dass die Verletzung der Hinweis- und Aufforderungsobliegenheit durch den Arbeitgeber nicht nur dem Verfall des Urlaubsanspruchs mit Ablauf des Urlaubsjahrs, sondern auch einer Verjährung des Urlaubsanspruchs entgegensteht.
— Nadine Hotze —
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ZUR AUTORIN
Rechtsanwältin Nadine Hotze
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