Die gesetzlichen Fälle für ein „echtes“ Praktikum sind dabei eng gefasst: Stets muss die Aus- bzw. Fortbildung des oder der Beschäftigten im Vordergrund stehen. Nur wenn das Praktikum verpflichtend auf Grund einer Ausbildungsordnung oder hochschulrechtlichen Bestimmung zu leisten ist, darf es zeitlich unbegrenzt absolviert werden. Die Höchstdauer des Praktikums ergibt sich dann allein aus der jeweiligen Ausbildungsordnung. Andere Formen des Praktikums sind hingegen per Gesetz auf eine Höchstdauer von drei Monaten beschränkt. Dies gilt etwa für das sogenannte Orientierungspraktikum, das – wie der Name schon sagt – als Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums geleistet werden kann. Trotz dieser klaren gesetzlichen Abgrenzung fällt es mitunter schwer, zu beurteilen, ob die konkrete Form noch ein zulässiges Praktikum oder schon ein Arbeitsverhältnis darstellt, für das der gesetzliche Mindestlohn anfällt.
Einen solchen Fall hatte jüngst das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden. Die klagende Mitarbeiterin hatte vor Aufnahme ihres Medizinstudiums in einer Klinik in Trier ein sechsmonatiges Pflegepraktikum absolviert. Das Praktikum hatte sie für ihre Bewerbung für das Medizinstudium an einer Privatuniversität nachweisen müssen. Nach Auffassung der Mitarbeiterin habe es sich dabei nicht um ein hochschulrechtliches Pflichtpraktikum gehandelt. Ein „Vorpraktikum“ vor Aufnahme eines Studiums sei kein Pflichtpraktikum im Sinne des Mindestlohngesetzes, daher greife die dortige Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht. Vielmehr habe ein übliches Orientierungspraktikum vorgelegen. Ein solches Praktikum sei aber nur bis zu einer Höchstgrenze von drei Monaten zulässig. Durch das Überschreiten dieser Dauer sei das gesamte Praktikum mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten, was insgesamt rund 10.000 Euro ausmachte.
Die Klage wurde von den Richterinnen und Richtern des BAG jedoch in letzter Instanz abgewiesen. Das Gericht urteilte, bei der Tätigkeit der Klägerin habe es sich um ein vorgeschriebenes Pflichtpraktikum gehandelt, auch wenn dies vor Aufnahme des Studiums zu absolvieren war. Hierunter seien nicht nur obligatorische Praktika während der Hochschulausbildung, sondern auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verbindlich vorgeschrieben sind, zu fassen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde, denn diese Universität sei staatlich anerkannt. Hierdurch sei die von der Hochschule erlassene Zugangsvoraussetzung im Ergebnis einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt. Auch das vorgeschriebene „Vorpraktikum“ sei daher ein hochschulrechtliches Pflichtpraktikum und damit grundsätzlich keiner zeitlichen Begrenzung unterworfen. Vor allem bestehe hierfür keine Vergütungspflicht nach dem Mindestlohngesetz.
— Dennis Siggelow —
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Rechtsanwalt Dennis Siggelow, Leiter Geschäftsstelle Lübeck,
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