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100 x Andreas Ballnus: „Als Künstler darfst du über das im Deutschunterricht Erlernte hinausgehen“

Skurril, einfühlsam, nachdenklich, unerwartet – Andreas Ballnus beobachtet seine Umwelt, Mensch und Tier, bringt Menschliches und Menschelndes feinsinnig auf den Punkt. Seit 2015 veröffentlicht er in seiner Kolumne „Kann passieren …“ in Business-on.de Hamburg monatlich humorvolle Alltagskurzgeschichten und mehr. Im Juni 2023 ist seine 100. Geschichte online zu lesen. Dieses Jubiläum haben wir zum Anlass genommen, unseren Autor im Interview vorzustellen. Per Du, wie auch offline.

Foto: Andreas Ballnus

Andreas Ballnus greift aktuelle Geschehnisse wie in „Rezepte an die NSA“ oder „Verschwörungstheorien“ humorvoll auf oder schreibt schräge und fantasievolle Geschichten, etwa über Klavier-verspeisende Yetis oder „Schrump und die Lüjonen“. So kennt die Leserschaft Andreas Ballnus mit seiner Kolumne „Kann passieren …“, die immer am letzten Freitag eines Monats in unserem Nachrichtenportal erscheint. Im Hauptberuf ist der studierte Sozialpädagoge als Sozialarbeiter im Öffentlichen Dienst in Hamburg beschäftigt. In seiner Freizeit lebt der heute 60-Jährige seine künstlerische Seite als Autor und Liedermacher aus.

Business-on.de: Andreas, wann hat Dich das Geschichtenerzählen „gepackt“?

Andreas Ballnus: Als 3-Jähriger soll ich mir bei Fahrten im Auto meiner Mutter schon selbst Geschichten erzählt haben. Meine Mutter las viel vor, dachte sich Geschichten aus und erzählte aus ihrer Kindheit – damit hat sie sicher Humor und Fantasie gefördert. In ihrem Nachlass habe ich sehr kurze Geschichten wiedergefunden, die ich mit etwa 10 Jahren schrieb. Mit 12 verfasste ich erste Gedichte und tippte sie auf der mechanischen Schreibmaschine meiner Großmutter ab, die sie ausrangiert hatte. Das ist mir in besonderer Erinnerung geblieben, denn sie schrieb viel und durch ihren harten Anschlag war der Buchstabe „N“ abgebrochen – ich musste ihn in vielen meiner Texte mit der Hand nachtragen. Früh habe ich begonnen zu singen, meist für mich allein, so entstanden die ersten Liedertexte. Gezielter wurden meine Aktivitäten Mitte der 70er-Jahre. Damals unterstützte mich mein Vater wie ein Mentor – er war sehr literaturinteressiert und konnte mir viel konstruktive Kritik geben. Wir besprachen fast alle meine Texte; dabei habe ich viel gelernt. Mit 17 Jahren lernte ich Gitarre zu spielen und fing an, Akkorde für meine Lieder aufzuschreiben. Ende der 80er hatte ich meinen ersten Auftritt als Liedermacher.

Business-on.de: Wie hast Du das Schreiben ausgeweitet?

Andreas Ballnus: 2006 hatte ich über den Kulturstammtisch in meinem Stadtteil von dem Forum „Leselupe“ gehört. Das war für mich der Auslöser, viel stärker auf Lyrik und Kurzgeschichten zu setzen. In meiner Anfangszeit probierte ich in Geschichten und Gedichten manches aus und übernahm kurz Stile anderer. Etwa die grammatikalisch unvollständigen Sätze, wie ich sie bei Horst Evers oft gelesen habe. Grundsätzlich ist es mir aber schon wichtig, meinen eigenen Stil zu finden und immer weiterzuentwickeln. Es ist aber auch spannend, immer mal wieder was Neues auszuprobieren: Als Künstler darfst du Rahmen sprengen und über das im Deutschunterricht Erlernte rausgehen.
In der „Leselupe“ unterstützt man sich gegenseitig. Es gab gemeinsame Textarbeit und daraus hatte sich auch für etwa zwei Jahre eine Gruppe gebildet, um Textsammlungen von verschiedenen Autorinnen und Autoren zu einem Thema herauszugeben. Es gibt mehr als 20 Anthologien, in denen ich mit Texten vertreten bin, zum Beispiel mit humorvollen Tiergedichten in „Tierisch abgereimt“. Das Literaturthema „komische Lyrik“ hat mich auch mit Gerd Geiser und James Blond als „Lyrik Brothers“ zusammengebracht. Wir treten hin und wieder zusammen mit anderen Künstlern im Rahmen von Kleinkunstabenden auf.
Mein größter Erfolg, auf den ich auch stolz bin, ist der dritte Platz beim „Polly-Preis 2019 (politische Lyrik) in Berlin.

Business-on.de: Wie entstehen Deine Geschichten?

Andreas Ballnus: Ganz unterschiedlich. Ein Beispiel: Die Geschichte „Single-WG“ ist entstanden, nachdem ich jemanden am Laternenpfahl stehen sah und es auf mich so wirkte, als ob er mit dem Mülleimer spreche. Auf dem zweiten Blick sah ich, dass er ein Handy in der Hand hielt. Es kamen Assoziationsblitze: Statt „Harry holt den Wagen“ „Harry spricht mal wieder mit dem Mülleimer“. Es reifte die Idee zu einer skurrilen Geschichte mit Menschen, die Beziehung zu Haushaltsgeräten haben. Oft sehe und erlebe ich reale Geschichten, die ich weiter ausschmücke: Wie geht es weiter, welche Hintergründe könnten es sein … Bei „Fahrtwind“ inspirierte mich eine Bekannte, die wenig reist: Wie wäre es, wenn diese Frau einen Freund hätte, der viel und gern reist; was kann daraus entstehen? Und ich liebe Kontraste. Das Abgefahrenste für mich war der Begriff „Tofu-Ersatz“, der mir plötzlich einfiel und den ich monatelang mit mir rumgeschleppt habe. Irgendwann ist daraus die Geschichte „Axel“ entstanden. Manche Geschichten, die ich erlebt habe, gebe ich auch eins zu eins weiter. Ich denke, dass ich einen guten Blick für Situationen und Situationskomik habe.
Fast alle meine Texte schreibe ich in meinem Stammbistro in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs, ganz klassisch per Hand. Ich habe fast immer einen DIN-A-5-Schreibblock dabei. Die erste Überarbeitung findet dann statt, wenn ich den Text abtippe. Auch dies geschieht meistens in dem Bistro. Hierfür habe ich mir extra ein Netbook angeschafft. Die weiteren Überarbeitungen mache ich aber zu Hause. Ich lese mir dabei die Texte oft laut vor – und das würde im Bistro sicherlich nicht so gut ankommen (lacht). Zurzeit arbeite ich an einem Text, in dem ich ganz ausführlich beschreibe, wie meine Texte entstehen. Noch lässt sich aber nicht sagen, ob der auch die Qualität hat, um an die Öffentlichkeit zu gelangen. Grundsätzlich gilt für mich, dass jede Idee es Wert ist, aufgeschrieben zu werden. Ob sie dann auch später der breiten Öffentlichkeit vorgestellt wird, ist dann eine ganz andere Sache.

Business-on.de: Deine Geschichten haben unterschiedlichste Protagonisten und Protagonistinnen. Wie viel von Dir steckt in den Personen und Themen?

Andreas Ballnus: Mir macht es total Spaß, mir Charaktere und Typen auszudenken. Da lasse ich durchaus auch Seiten von mir einfließen, die ich mich selbst nicht traue zu leben. Oder Dinge, vor denen ich Angst habe. So wie es manchen Schauspielern Spaß macht, einen Bösewicht zu spielen, so habe ich Spaß daran, auch mal einen Fiesling zu beschreiben. In jede Geschichte fließt immer auch ein Stück von mir ein. Ich glaube, dass sich das gar nicht vermeiden lässt. Manche Typen sind aber ganz weit weg. So kann ich mir nicht vorstellen, als Ich-Erzähler aus der Sicht einer Frau zu schreiben.

Business-on.de: Gibt auch etwas, womit Du Dich bei aller Erfahrung im Schreiben schwertust?

Andreas Ballnus: Das gibt es durchaus: Ich habe als Entwurf eine Geschichte, die eine Novelle werden könnte. Darin geht um die Freundschaft von vier Männern. Einer ist geistig zurückgeblieben. In der Konstellation ist es schwierig, nicht in Klischees zu rutschen. Daher weiß ich nicht, ob die Geschichte jemals fertig wird. Allerdings: Mit Klischees zu spielen und am Ende gegebenenfalls auch aufzubrechen, das macht durchaus Spaß, aber ich möchte eben nicht weiter eintauchen. Bei Filmen und Fernsehserien störe ich mich oft daran, wenn zum Beispiel Polizisten, Sozialarbeiter oder Pastoren völlig überzogen und klischeehaft dargestellt werden.

Business-on.de: Gutes Stichwort – Du bist hauptberuflich als Sozialarbeiter tätig. In dem Bereich gib es sicher auch viel Klischeehaftes?

Andreas Ballnus: Um erst einmal das Klischee „Sozialarbeiter“ zu bedienen: Birkenstock-Schuhe, Latzhose, lieb sein, freundlich über alles reden, immer nur das Gute im Menschen sehen. Es gibt Typen, die dicht an diesem Klischee sind, aber aus meiner Erfahrung ist das deutlich die Minderheit. Dem Klischee entsprechend labere ich vielleicht manchmal zu viel (lacht). Ich hatte mal Klienten, die sich während meines kurzen Gangs zum Kopiergerät an der geöffneten Tür meines Chefs über mich unterhielten. Mein Chef gab mir später genüsslich weiter, ich solle nicht so viel „sozialarbeiterisch rumlabern“.
Ich versuche in meiner Arbeit, nicht klischeebehaftet zu sehen, wie sich ein Mensch präsentiert. Wenn jemand aus dem Gefängnis kommt, frage ich nicht nach, warum er dort war. Wenn eine Frau anschafft, frage ich nicht nach dem Hintergrund. Es sei denn, es ist für meine Arbeit von Bedeutung.

Business-on.de: Du hast in Business-on.de Hamburg 100 Geschichten veröffentlicht. Was ist das für ein Gefühl?

Andreas Ballnus: Ich freue mich total, dass die Kolumne so lange läuft, und bin auch stolz darauf. Das hätte ich am Anfang nicht gedacht. Ich danke Tanja Königshagen, der Herausgeberin des Hamburger Portals, sehr herzlich dafür, dass sie die Veröffentlichungen ermöglicht hat.
Ich habe einen Mailverteiler mit rund 200 Adressen, die informiert werden, wenn meine Geschichte veröffentlicht wird. So bekomme ich Kommentare und Rückmeldungen aus meinem Umfeld. Auch kritische Anmerkungen finde ich spannend und wichtig, um mich zu hinterfragen und auch um mir klarzumachen: Ich kann nicht immer jeden Geschmack treffen. Das lerne ich zu respektieren, auch wenn es kurz am Ego kratzt.

Business-on.de: Welche Wünsche hast Du für Deine literarische Zukunft?

Andreas Ballnus: Ich würde gern mehr meiner Geschichten in Büchern herausbringen – es ist aber schwer, bereits online veröffentlichte Texte zu verlegen. Ich kann mir vorstellen, mit einem Solo-Programm mit überwiegend humorvollen Texten auf der Bühne aufzutreten.
Ich hätte auch Lust, in Seminaren anderen Menschen das weiterzugeben, was ich mir angeeignet habe, etwa „Reimgedichte für Anfänger“. Und: Ich habe an die 100 Lieder geschrieben, ohne dass Noten hinterlegt sind. Es wäre schade, wenn diese Sachen verlorengingen. Wünschenswert wäre es, diese digital zu erfassen und irgendwo zu hinterlegen.

Business-on.de: Und wir würden uns freuen, weitere Kurzgeschichten von Dir in unserem Portal zu lesen. Danke für das Interview, Andreas!

— Das Interview führte Katja Tiedek —

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Bildquellen

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Andreas Ballnus erzählt in seiner Kolumne „Kann passieren“ reale Begebenheiten, fiktive Alltagsgeschichten und manchmal eine Mischung aus beidem. Diese sind wie das Leben: mal humorvoll, mal nachdenklich. Die Geschichten erscheinen jeweils am letzten Freitag eines Monats in business-on.de.

Hier finden Sie eine Übersicht aller Beiträge, die von Andreas Ballnus erschienen sind.

Interview: 100 x Andreas Ballnus

Lesen Sie auch die  Buchbesprechung zur Antologie „Tierisch abgereimt“.

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