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Kultur & Freizeit

Graffiti-Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ verlängert

Die Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ läuft noch bis zum 7. Januar 2024. Das Museum für Hamburgische Geschichte gibt umfangreiche Einblicke in eines der spannendsten Kapitel der jüngeren Kulturgeschichte der Stadt: in die „Hamburg Graffiti History 1980-1999“.

Rizky präsentierte 1989 auf Kampnagel sein aufwendig mit Airbrush gestaltetes „Backpiece“ auf dem Rücken seiner Jacke. Foto: Bernd Euler / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT

Ist das Kunst oder Schmiererei? Diese Frage beschäftigt viele Menschen seit dem Auftauchen von Graffiti. In Hamburg begann sich das Stadtbild ab Anfang der 1980er-Jahre durch Sprüher allmählich zu verändern. Inspiriert von Filmen wie „Wild Style“ oder „Beat Street“ zogen Graffiti-Writer nachts mit Sprühdosen durch die Stadt und hinterließen bunte Bilder, Zeichen oder Schriftzüge an Wänden, Brücken und Bahnwaggons. Im Laufe der Zeit verwandelte sich das graue, von Nachkriegsarchitektur geprägte Hamburg in eine bunte und diverse Stadt, die bald – neben Paris, Amsterdam oder München – zu einem Epizentrum der Graffiti- und Hip-Hop-Szene in Europa wurde.

Junge Writer 1989 beim S-Bahn surfen. Ski-Brillen zu tragen, war damals nicht unbedingt üblich. Um die Anonymität der Surfer zu wahren, bestand der Fotograf auf das Tragen der Brillen. Jace, Joyce, Poced, Some One und Ganbo. Foto: Bernd Euler / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT

Der Writer Cisco sprühte 1987 ein Cisco „Window-Down“-Panel an einer S-Bahn in Bergedorf. Zu der Zeit war es nicht unüblich, am helllichten Tag die Bahnen zu besprühen. Foto: Michael Timm / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT

Sprüher-Szene in Hamburg

Graffiti ist als eine Stilrichtung der Streetart längst als Kunst anerkannt. Und doch werden sich so manche an die „wilderen“ Anfangszeiten erinnern. In frühen 1980er-Jahren prägten Altbauten und nicht mehr genutzte Industrieanlagen in Stadtteilen wie der Schanze, Ottensen, Barmbek oder auf St. Pauli das Stadtbild. Anwohnende protestierten damals gegen Abriss und Neubau, forderten eine sozialverträgliche Sanierung ihrer Quartiere. In diesem Umfeld begann die Gestaltung der Stadt mit der Sprühdose, zunächst mit politischen Parolen und Sprüchen, später in Form von bunten gesprühten Bildern („Pieces“).

Gabba und Gagarin sprühten 1988 aus Protest gegen die Gentrifizierung Ottensens ein „Eat the Rich“ an das Tor zum Hinterhof des Wohnprojektes „Der Turm“, angrenzend zu den Zeisehallen in der Bergiustraße. Inspiriert sind die beiden durch den gleichnamigen Film. Foto: Antje F. Herbst / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT

Aus dem Hobby einzelner Sprüher entstand in Hamburg eine kleine Graffiti-Szene mit rund 20 Aktiven. Sprüher vernetzten sich, es entwickelte sich eine Subkultur mit eigenen Codes und Regeln. Ende der 1980er-Jahre rückte Graffiti zunehmend auch in den Blick der Öffentlichkeit. Die Medien machten in ihrer Berichterstattung Stimmung gegen illegale Sprüher und S-Bahn-Surfer – allein über Walter Josef Fischer, bekannt als OZ, erschienen zahlreiche Artikel. Um das illegale Besprühen fremden Eigentums und Sachbeschädigungen in den Griff zu bekommen, wurde 1988 die Sonderkommission Graffiti der Bahnpolizei gegründet, um gegen die Sprüher zu ermitteln. Gerichte verhängten hohe Bußgelder. Zugleich boten Polizei und Verkehrsbetriebe wie auch Jugendhäuser den damaligen Writern Flächen zum Sprühen an, um sie aus der Illegalität zu holen. Die Subkultur fand erste Anerkennung. Bis Ende der 1990er wuchs die Hamburger Graffiti-Szene auf rund 200 Sprayer an.

 

1989 lobte die S-Bahn einen Graffiti-Wettbewerb aus, um den jungen Graffiti-Sprühern legale Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen. Gleichzeitig ging es auch darum, die komplett illegal vollgetaggten Wartehäuschen am S-Bahnhof Langenfelde und Diebsteich attraktiver zu gestalten. Im Vordergrund die Gewinnerbilder von B-Base, den zweiten Platz macht Siko. Foto: Werner „Mr.W“ Skolimowski / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT

500 sehenswerte Exponate – von den Anfängen bis zur Entstehung einer wachsenden Graffiti-Szene

Die Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ erzählt die Entstehungsgeschichte dieser Jugend- und Subkultur in Hamburg. Fast 500 Exponate, darunter Fotos, Texte, Skizzenbücher, Sprühdosen, Magazine, Schallplatten und Accessoires haben die Kuratoren Oliver Nebel, Frank Petering, Mirko Reisser und Andreas Timm zusammengestellt – alle vier sind seit den 1980ern in der Hamburger Graffiti-Szene verwurzelt. Bei der Recherche konnten die Kuratoren an ihr vergangenes Gemeinschaftswerk anknüpfen: Sie sind die Herausgeber des 2021 erschienenen opulenten, reich bebilderten Bands „Eine Stadt wird bunt“, von dem die Ausstellung ihren Titel übernommen hat. Wie bereits das Buch, so schlägt auch die Ausstellung den historischen Bogen von der Errichtung einer neuen Stadt-Topografie nach dem Zweiten Weltkrieg über die Punk- und Protestkultur der 1980er-Jahre bis zur Entstehung einer wachsenden Graffiti-Szene. Detailreich zeichnet die Ausstellung nach, wie die US-amerikanische Hip-Hop-Kultur in Hamburg heimisch wurde. Zahlreiche, teils großformatige Fotografien zeigen, wie Hamburgs Graffiti-Pioniere die Wände der Stadt eroberten. Filmplakate, Konzertkarten sowie Artikel aus Zeitschriften wie „Stern“ oder „Bravo“ und andere Schriftstücke illustrieren die wichtige Rolle von Medien, die Bedeutung der Musik- und Breakdance-Szene und die Relevanz von Jugendhäusern und des Kulturbetriebs für die Entwicklung der gesamten Subkultur.

Auftragsarbeit der MAC-Crew („Mad Artist Cooperation“) auf einer etwa 120 Quadratmeter großen Bauzaunfläche an der Baustelle der Hypothekenbank AG in der Hamburger Innenstadt im Juni 1989. Beteiligte sind unter anderem Sage1, Siko, Echo, Cartoone, ArtOne und jbk. Character und Gangster-Schriftzug auf dieser Abbildung von Sage1. Er nennt sich davor noch Mickey, Wizz und später Mikel. Foto: Andreas Timm / Michael Kiessling / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT

Ob Flyer, Audiokassette oder Schallplatte: Manche Exponate sehen vielleicht auf den ersten Blick aus wie profane Alltagsgegenstände aus einer längst vergangenen Zeit. Im Kontext der Geschichte, die die Ausstellung erzählt, wird aber schnell deutlich, dass quasi jeder Schnipsel, der mit Hip-Hop und Graffiti zu tun hatte, seinerzeit wie ein Schatz gehütet wurde. Im Zeitalter vor dem Internet waren Informationen über die Subkultur Mangelware, die Zugehörigkeit zur Szene kam der Mitgliedschaft in einem Geheimbund gleich. Mit Arbeitsmitteln der Graffiti-Writer wie Sprühdosen, Markern, Vierkantschlüsseln oder Bolzenschneidern, aber auch über szenetypische Accessoires wie Namebelts, Sneakers oder Baseballjacken mit aufwendig gestalteten „Backpieces“ (auf den Rücken einer Jacke genähtes Stück bemalter Stoff bzw. aufgemaltes Motiv zu Erkennungszwecken) sowie mit legendären Schallplatten gibt die Ausstellung einen tiefen Einblick in die Anfänge der Hip-Hop-Kultur in Hamburg überhaupt, nimmt also neben dem Graffiti-Writing auch das MCing, das DJing und das Breaking in den Blick.

Zu den Highlights der Ausstellung gehören die historischen S-Bahn-Sitze, auf denen die Besucherinnen und Besucher Platz nehmen können – wie ein Graffiti-Writer in den 1980er-Jahren. Über dem Eingang in die Musik-Sektion der Ausstellung steht in großen Lettern „Powerhouse“ – bei dieser Installation handelt es sich um den Original-Schriftzug, der einst den Eingang eines legendären Hip-Hop-Clubs auf St. Pauli schmückte. Ein weiterer Höhepunkt ist das originalgetreu rekonstruierte Zimmer eines Hamburger Jugendlichen, der in den 1980er-Jahren zum Sprüher wurde. Der biografische Bruch, der sich hier im Übergang von Kindheit zu Jugend vollzieht, lässt sich an zahlreichen Details im Raum ablesen: Neben der Sammlung leerer Coca-Cola-Dosen, die damals viele Jugendzimmer schmückte, stehen plötzlich bunte Sprühdosen der Marke Sparvar.

Blick in die Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“ im Museum für Hamburgische Geschichte. Im Vordergrund links: „Crime Partner“ (CCCP), CanTwo und Jase, 1988 vor ihren Pieces bei „Pein & Pein“ in Halstenbek – ein in den 1980er-Jahren nicht untypisches Posing-Foto, während es in den 1990er-Jahren solche Aufnahmen kaum noch gibt. Foto: ESWB

Vertiefende Materialien über die Ausstellung hinaus: App, Katalog, Bildband

Wer vor oder nach dem Austtellungsbesuch weiter in Graffiti-Welt eintauchen möchte, kann weitere Materialien nutzen: Begleitend zur Ausstellung wurde die Multimedia-Smartphone-App „Unsere Stadt wird bunt“ entwickelt, mit der die Stadt auf den Spuren der Subkultur erkundet werden kann. Das interaktive Tool führt an Orte in Hamburg, die einst für die Szene relevant waren – wie die Jungfernstieg-Corner, der Sprüher-Treffpunkt Königsstraße oder das Gymnasium Altona, dessen Turnhallenwand einst eine berühmte Graffiti-Galerie war. Mithilfe einer Augmented-Reality-Anwendung können die Interessierten an historischen Schauplätzen einen Blick in die Vergangenheit des jeweiligen Ortes werfen – und den Rundgang über das Museum hinaus in jenen Raum verlängern, in dem Graffiti zu Hause ist: die Stadt. Der Katalog zur Ausstellung bietet auf 144 Seiten viele Abbildungen sowie die Fotos, Objekte und Texte der Ausstellung. Das Buch „Eine Stadt wird bunt“, herausgegeben von Oliver Nebel, Frank Petering, Mirko Reisser und Andreas Timm. als Grundlage zur Ausstellung: Nach über 6 Jahren Recherche und Umsetzung erschien Ende 2021 die umfassende Dokumentation der Entstehung der Hamburger Graffiti-Szene. Auf 560 Seiten zeichnet der Bild-Text-Band detailreich nach, wie sich ab Anfang der 1980er Jahre langsam eine Sprüher-Szene in der Hansestadt bildete. Über 1.300 Fotos zeigen Graffiti-Pioniere und ihre Werke. Texte lassen Zeitzeugen zu Wort kommen und beleuchten die sozialen und kulturellen Umstände, die zur Entstehung der Subkultur in Hamburg beitrugen.

Weitere Information rund um die Ausstellung: www.shmh.de/museum-fuer-hamburgische-geschichte

Bildquellen

  • Junge Writer 1989 beim S-Bahn surfen: Bernd Euler / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT
  • Writer Cisco: Michael Timm / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT
  • Protest gegen die Gentrifizierung Ottensens: Antje F. Herbst / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT
  • S-Bahn-Graffiti-Wettbewerb 1989: Werner „Mr.W“ Skolimowski / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT
  • Auftragsarbeit der MAC-Crew: Andreas Timm / Michael Kiessling / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT
  • Ausstellung „Eine Stadt wird bunt“: ESWB
  • Rizky mit Backpiece: Foto: Bernd Euler / Courtesy: SHMH, MHG, EINE STADT WIRD BUNT
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