Connect with us

Hi, what are you looking for?

Recht & Steuern

Zustimmung des Integrationsamts zur krankheitsbedingten Kündigung macht ein BEM nicht überflüssig 

Die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) die Kündigung nicht hätte verhindern können. Das hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 15. Dezember 2022 entschieden. Es ging, wie so oft, um die Frage nach der Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung. 

Das Bundesarbeitsgericht hat seinen Sitz in Erfurt, Thüringen. Foto: nmann77 /Adobe Stock

Die Klägerin war seit dem 1. Januar 1999 in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmenden – das Kündigungsschutzgesetz fand daher Anwendung – als Versicherungssachbearbeiterin beschäftigt und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Seit dem 12. Dezember 2014 war diese ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2019 fand auf Initiative der Klägerin hin ein Präventionsgespräch statt, an welchem auch das Integrationsamt beteiligt war.

Die Klägerin erhielt zeitgleich eine Einladung zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Daran wollte sie auch teilnehmen, unterzeichnete aber die vom Arbeitgeber vorgefertigte datenschutzrechtliche Einwilligung nicht, sondern stellte Rückfragen und wählte eigene Formulierungen. In einem Gespräch am 24. Juli 2019 wurde die Klägerin darüber in Kenntnis gesetzt, dass das BEM ohne ihre datenschutzrechtliche Einwilligung nicht durchgeführt werden könne. Nach mehrfachen Hinweisen des Arbeitgebers, zuletzt in einem Gespräch vom 27. August 2019, dass ohne ihre Einwilligungserklärung kein BEM stattfinden könne, sprach er nach zwischenzeitlich erfolgter Zustimmung des Integrationsamts vom 18. Mai 2020 gemäß § 168 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit Schreiben vom 26. Mai 2020 eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung aus.

Das Arbeitsgericht Stuttgart wies die Kündigungsschutzklage der Klägerin zunächst mit Urteil vom 19. Mai 2021 – 15 Ca 3932/20 – ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg änderte das Urteil des Arbeitsgerichts hingegen mit Entscheidung vom 10. Februar 2022 – 17 Sa 57/21 – und gab der Klägerin recht.

Auf die Revision der Arbeitgeberin hin bestätigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 15. Dezember 2022 dann die Berufungsentscheidung des LAG.

Da der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Kündigung trägt, kann sich dieser, bei Vorliegen der Voraussetzungen zur verpflichtenden Durchführung eines BEM nicht auf die bloße Behauptung zurückziehen, es gäbe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. War der Arbeitgeber daher gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur Durchführung eines BEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein BEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dabei hilft auch keine Vermutungswirkung aufgrund der Entscheidung des Integrationsamtes, zumal schon die Zielrichtung der beiden Verfahren unterschiedlich sind. So soll das BEM eine Kündigung verhindern, die Entscheidung des Integrationsamtes lediglich der bereits gefassten Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers rechtgeben oder diese zurückweisen.

Gemäß § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden zwar auf Art und Umfang der im BEM erhobenen und verwendeten Daten hinweisen, doch ist eine datenschutzrechtliche Einwilligungserklärung keine zwingende BEM-Voraussetzung. Der Arbeitgeber hätte daher auch ohne Einwilligungserklärung ein BEM erst einmal beginnen und datenschutzrechtliche Fragen später klären können. Da er dies vorliegend unterlassen hatte, blieb er beweisfällig und verlor am Ende auch das Revisionsverfahren. Auf die Frage, ob ein BEM auch tatsächlich ein positives Ergebnis hätte erbringen können, kommt es dabei indes nicht an.

Daher ist und bleibt angeraten, stets ein BEM durchzuführen, wovon lediglich bei einer Ablehnung durch den Arbeitnehmer abgesehen werden kann.

 

— Kay Gröger —

_________________________

ZUM AUTOR

Rechtsanwalt Kay Gröger
Leiter Geschäftsstelle Bremen,  Zertifizierter Datenschutzbeauftragter (TÜV)
AGA Norddeutscher Unternehmensverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistung e.V.
Im AGA sind mehr als 3.500 überwiegend mittelständische Groß- und Außenhändler sowie unternehmensnahe Dienstleister aus Norddeutschland organisiert. Der AGA unterstützt in Unternehmens- und Personalführung sowie in allen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Ferner vertritt der AGA die branchen- und firmenspezifischen Belange seiner Mitglieder gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit. www.aga.de

Bildquellen

  • Groeger_Kay: AGA Unternehmensverband
  • Bundesarbeitsgericht: nmann77 /Adobe Stock
Werbung

Kolumne Kann passieren

KOLUMNE KANN PASSIEREN

Andreas Ballnus erzählt in seiner Kolumne „Kann passieren“ reale Begebenheiten, fiktive Alltagsgeschichten und manchmal eine Mischung aus beidem. Diese sind wie das Leben: mal humorvoll, mal nachdenklich. Die Geschichten erscheinen jeweils am letzten Freitag eines Monats in business-on.de.

Hier finden Sie eine Übersicht aller Beiträge, die von Andreas Ballnus erschienen sind.

Lesen Sie auch die  Buchbesprechung zur Antologie „Tierisch abgereimt“.

Anzeige

Weitere Beiträge

Recht & Steuern

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit einem aktuellen Urteil eine wichtige Klarstellung zum Thema Urlaub nach Vertragsende vorgenommen.

Netzwerke & Verbände

Für den Ausbildungspreis „Azubi des Nordens“ 2023 sind rund 200.000 Unternehmen aus Norddeutschland sowie aus Sachsen-Anhalt und Thüringen aufgerufen, ihre besten Absolventinnen und Absolventen...

Netzwerke & Verbände

Die Fehlzeiten der Arbeitnehmenden im norddeutschen Groß- und Außenhandel sowie bei unternehmensnahen Dienstleistern bewegten sich 2022 – wie schon im Vorjahr – auf hohem...

Netzwerke & Verbände

Hohe Kosten belasten die norddeutschen Händler und unternehmensnahen Dienstleister: Obwohl die Mehrheit der Unternehmen eine konstante Nachfrage verzeichnet, sorgen steigende Kosten für Einbußen. Der...

Recht & Steuern

Nach Paragraph 17 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) ist die Kündigung gegenüber einer schwangeren Frau unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft...

Recht & Steuern

Während der dunklen Jahreszeit wünscht man sich Sonne und Wärme herbei, was viele mit Urlaub verbinden. Auch die Gerichtsbarkeit beschäftigt sich viel mit Urlaub,...

Recht & Steuern

Dem Betriebsrat kommt innerhalb des Unternehmens eine wichtige Aufgabe zu. Das gewählte Gremium hat unter anderem darüber zu wachen, dass geltende Gesetze, Tarifverträge oder...

Netzwerke & Verbände

Hohe Kosten belasten weiterhin die Umsatz- und Gewinnlage der norddeutschen Händler und unternehmensnahen Dienstleister, wie der AGA Unternehmensverband auf Basis seines aktuellen Wirtschaftstests vermeldet.

Werbung