Die Klägerin war seit dem 1. Januar 1999 in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmenden – das Kündigungsschutzgesetz fand daher Anwendung – als Versicherungssachbearbeiterin beschäftigt und einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Seit dem 12. Dezember 2014 war diese ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2019 fand auf Initiative der Klägerin hin ein Präventionsgespräch statt, an welchem auch das Integrationsamt beteiligt war.
Die Klägerin erhielt zeitgleich eine Einladung zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Daran wollte sie auch teilnehmen, unterzeichnete aber die vom Arbeitgeber vorgefertigte datenschutzrechtliche Einwilligung nicht, sondern stellte Rückfragen und wählte eigene Formulierungen. In einem Gespräch am 24. Juli 2019 wurde die Klägerin darüber in Kenntnis gesetzt, dass das BEM ohne ihre datenschutzrechtliche Einwilligung nicht durchgeführt werden könne. Nach mehrfachen Hinweisen des Arbeitgebers, zuletzt in einem Gespräch vom 27. August 2019, dass ohne ihre Einwilligungserklärung kein BEM stattfinden könne, sprach er nach zwischenzeitlich erfolgter Zustimmung des Integrationsamts vom 18. Mai 2020 gemäß § 168 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) mit Schreiben vom 26. Mai 2020 eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung aus.
Das Arbeitsgericht Stuttgart wies die Kündigungsschutzklage der Klägerin zunächst mit Urteil vom 19. Mai 2021 – 15 Ca 3932/20 – ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg änderte das Urteil des Arbeitsgerichts hingegen mit Entscheidung vom 10. Februar 2022 – 17 Sa 57/21 – und gab der Klägerin recht.
Auf die Revision der Arbeitgeberin hin bestätigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 15. Dezember 2022 dann die Berufungsentscheidung des LAG.
Da der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Kündigung trägt, kann sich dieser, bei Vorliegen der Voraussetzungen zur verpflichtenden Durchführung eines BEM nicht auf die bloße Behauptung zurückziehen, es gäbe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. War der Arbeitgeber daher gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur Durchführung eines BEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein BEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dabei hilft auch keine Vermutungswirkung aufgrund der Entscheidung des Integrationsamtes, zumal schon die Zielrichtung der beiden Verfahren unterschiedlich sind. So soll das BEM eine Kündigung verhindern, die Entscheidung des Integrationsamtes lediglich der bereits gefassten Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers rechtgeben oder diese zurückweisen.
Gemäß § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden zwar auf Art und Umfang der im BEM erhobenen und verwendeten Daten hinweisen, doch ist eine datenschutzrechtliche Einwilligungserklärung keine zwingende BEM-Voraussetzung. Der Arbeitgeber hätte daher auch ohne Einwilligungserklärung ein BEM erst einmal beginnen und datenschutzrechtliche Fragen später klären können. Da er dies vorliegend unterlassen hatte, blieb er beweisfällig und verlor am Ende auch das Revisionsverfahren. Auf die Frage, ob ein BEM auch tatsächlich ein positives Ergebnis hätte erbringen können, kommt es dabei indes nicht an.
Daher ist und bleibt angeraten, stets ein BEM durchzuführen, wovon lediglich bei einer Ablehnung durch den Arbeitnehmer abgesehen werden kann.
— Kay Gröger —
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ZUM AUTOR
Rechtsanwalt Kay Gröger
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