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Kolumnen & Glossen

Kolumne „Kann passieren …“ – Ein Hauch von Poesie

Hin und wieder schreibt unser Autor Andreas Ballnus Texte, die sich im Grenzbereich zwischen Prosa und Lyrik befinden – ein Genre, das sich „Prosalyrik“ oder auch „Prosagedicht“ nennt. Drei solcher Texte stellt er in der aktuellen Ausgabe seiner Kolumne vor.

Regenbogen über Hamburgs Norden. Foto: Favorit-Media-Relations GmbH

Für Hintergrund-Interessierte: Prosalyrik kann sowohl in Gedichtform, also mit Zeilenumbrüchen, geschrieben werden oder in Fließform, wie ein normaler Prosatext. Manchmal kann der Text durch Zeilenumbrüche gewinnen, da so bestimmte Stellen stärker herausgehoben werden können oder man einen bestimmten Leserhythmus erreicht. Es kann aber auch passieren, dass ein Text mit Zeilenumbrüchen so wirkt, als wollte der Autor oder die Autorin aus einem normalen Prosatext krampfhaft ein Gedicht „zimmern“. Aus diesem Grund hat Andreas Ballnus erst vor kurzem den Text „Großstadtmelancholie“ (es ist der zweite Text dieser Zusammenstellung) von der ursprünglichen Gedichtform in die Prosaform geändert. Die erste Geschichte „Schatzsuche“ war immer als Prosa-Text angelegt. Der dritte Text „Seelenflügel“ ist weiterhin in seiner lyrischen Form belassen worden.

Schatzsuche

Ich stand am Ende des Regenbogens. Direkt vor meinen Füßen traf er auf regennasses Gras. Er war sehr schmal und leuchtete doch so kräftig, wie ich noch nie etwas anderes habe leuchten gesehen. Je höher er in den Himmel stieg, umso schwächer wurden seine Farben. Aber gemeinsam mit der tiefstehenden Sonne zauberte er ein wunderbares Lichterspiel an den dunkelblauen Himmel.

So stand ich da und staunte. Vor Ergriffenheit war ich nicht in der Lage, mich zu bewegen oder einen klaren Gedanken zu fassen.
„Tu etwas!“, raunte mir meine innere Stimme zu. „Am Ende eines jeden Regenbogens ist ein Schatz vergraben!“
„Ich kann nicht“, antwortete ich und schwieg weiter.

„Unternimm doch endlich etwas!“, mahnte die Stimme nach einiger Zeit erneut. „Sonst ist die Chance vorbei.“
„Es geht nicht“, flüsterte ich. „Keine Sekunde will ich von diesem wunderbaren Schauspiel verpassen. Vielleicht zerstöre ich es sogar, wenn ich mich auch nur um einen Millimeter bewege.“

Und so blieb ich weiterhin andächtig schweigend stehen. Langsam begannen die Farben zu verblassen, bis sie ganz verschwunden waren. Erst sehr viel später, als sich bereits die Nacht über die Wiese gelegt hatte, konnte ich mich aus meiner Verzauberung lösen.
Der Schatz blieb mir verwehrt, doch mein Erlebnis am Ende des Regenbogens kann mir niemals genommen werden.

 

Großstadtmelancholie

Ich fahre mit dem Rad durch graue Straßen. Kalter Dunst verdeckt die Sonne. Aschfahles Licht liegt auf Beton und Asphalt. Alles wirkt grau, selbst Autos und Menschen. Starre Statisten – auf vorgegebenen Wegen fließen sie dahin. Ampellicht bringt geregelt Farben ins Spiel, die im monotonen Wechsel schnell verblassen.

Alles erscheint geregelt und festgelegt. Selbst die Hektik auf den Straßen und vor den Geschäften wirkt geordnet. Zwischen den Häuserschluchten schlängelt sich die Maschine „Auto“, auf toten Gehwegen drängelt sich die Maschine „Mensch“. Ein Lächeln – kaum zu entdecken. Und wenn, oft angestrengt verkrampft. Müde, schon vor langer Zeit verstorbene Augen starren in die Monotonie und bahnen sich eingeschlagene Wege durch die Massen der anderen.

Nur die Kinder leben. Ihr Lachen weckt kurz aus tiefstem Lebensschlaf. Junge Augen tanzen auf trübsten Bordsteinkanten (und unwirsche Münder verkneifen sich sogleich jeden Kommentar). Wie lange noch? Wann sterben ihre Gesichter und werden auch zu Totenmasken einer Stadt?

Blutrotes Licht der Ampel. Ich halte an. Vor mir ein Auto. Auspuffabgase vermischen sich mit meinem Atem und steigen wie Nebel in den diesigen Himmel, die Sonne verdeckend.

 

Seelenflügel

Manchmal wünschte ich mir Flügel.
Mit ihnen schriebe ich Worte meiner Seele in den Himmel.
Worte, die mein Verstand nie finden würde,
doch nach denen sich mein Herz schon seit ewigen Zeiten sehnt.

Manchmal wünschte ich mir Flügel.
Durch die Lüfte vogelgleich gleitend –
Tränen der Freude, wie Diamanten funkelnd im Sonnenlicht.
Ich sänge und schrie Töne und Lieder,
entsprungen aus den Tiefen meines Herzens.
Allein das Universum könnte sie verstehen.
Doch all jene, die mich hörten, würden spüren,
dass dort am Himmel eine Seele sich befreit.

Manchmal wünschte ich mir Flügel.
Keine goldenen Schwingen, wie in manch Mythen beschrieben.
Große Flügel sollten es sein, kraftvoll und weit gespannt.
Flügel, die mich spielend leicht sanft gen Himmel trügen.
An die Grenzen zum Universum, der Freiheit meiner Seele.

Manchmal wünschte ich mir Flügel.
Doch meine Seele sucht den Himmel auf Erden. –
Und darum bin ich noch hier.

 

– Andreas Ballnus —

_________________________

ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor.  Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

Bildquellen

  • Andreas Ballnus: Sebastian Lindau
  • Regenbogen: Favorit-Media-Relations GmbH
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Kolumne Kann passieren

KOLUMNE KANN PASSIEREN

Andreas Ballnus erzählt in seiner Kolumne „Kann passieren“ reale Begebenheiten, fiktive Alltagsgeschichten und manchmal eine Mischung aus beidem. Diese sind wie das Leben: mal humorvoll, mal nachdenklich. Die Geschichten erscheinen jeweils am letzten Freitag eines Monats in business-on.de.

Hier finden Sie eine Übersicht aller Beiträge, die von Andreas Ballnus erschienen sind.

Lesen Sie auch die  Buchbesprechung zur Antologie „Tierisch abgereimt“.

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