„Du, ich nehm einen Bohrer und bohr dir den Kopf. Dann nehm ich den Hammer und schlag dich ganz doll. Und dann hau ich dich mit dem Schwert in zwei … Nein, ich schneid dir den Kopf ab!“
Mein Neffe ist vier Jahre alt. Jede Aktion, die er an mir ausüben will, unterstreicht er mit weit ausholenden Gesten. Er lächelt dabei.
„Was für Filme lasst ihr den denn sehen?“, frage ich belustigt meine Schwägerin.
„Gar keine“, antwortet diese knapp und fügt grinsend hinzu, „das geht nicht gegen dich persönlich. Er erzählt zurzeit ständig solchen Blödsinn.“
Als nächstes kündigt mir mein Neffe an, dass er mich in den Mülleimer werfen wird.
„Dann packe ich dich in ein Paket und schick dich nach Australien!“, kontere ich diesmal.
Mein Neffe strahlt, obwohl er garantiert nicht weiß, wer oder was Australien ist. Sofort erweitert er seine Androhung dahingehend, dass er mich dann von einem Müllauto abholen lassen wird.
„Dann spül ich dich im Klo runter!“ Es fällt mir schwer, während ich das sage, ernst zu bleiben.
Das Strahlen meines Neffen wird noch breiter, und er erklärt mir, wie groß das Müllauto wäre, in das er mich werfen will.
Unser kleiner Wettkampf endet mit roher Gewalt. Zunächst drohe ich ihm nur an, dass ich ihn gleich durchkitzeln werde – dann tue ich es.
Als mein Bruder mit seiner Familie wieder abgereist ist und ich alleine bin, überlege ich, wie ein Kind nur auf solche Ideen kommen kann. War es der Kindergarten, die Freunde, Dinge, die er an anderen Orten aufgeschnappt hatte?
Ich bin mir da nicht so sicher. – Als ich etwa vier Jahre alt war, zog meine Familie um, und ich verließ den Kindergarten, in den ich bis dahin gegangen war. Das Dorf, in welches wir zogen, hatte solch eine Einrichtung nicht. Zu Hause gab es damals keinen Fernseher, so dass ich von diesem Einfluss noch einige Jahre lang verschont blieb. Auch sonst existierten keine gewalttätigen Vorbilder oder Dinge, die ich gesehen oder gehört haben könnte. Trotzdem entstand folgendes Spiel, das ich mit meiner jüngeren Schwester etwa zwei Jahre später hin und wieder spielte: Wir nannten es „Kinder bestrafen“. Hierbei schleuderten wir unsere Teddybären über den Dielenboden des Wohnzimmers gegen die Wand. Wir kreischten vor Vergnügen.
Ich denke, der Gedanke, uns gegenseitig „in den Kopf zu bohren“, war damals gar nicht so weit entfernt …
–Andreas Ballnus —
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ZUM AUTOR
Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl
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