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Kolumnen & Glossen

Kolumne „Kann passieren …“ – Zahlenspiele      

In diesem Text geht es ganz offensichtlich um Zahlen. Doch er handelt auch von Erinnerungen, die im Zusammenhang mit Zahlen stehen. Hier fließen reale Erlebnisse und ausgedachte Ereignisse ineinander – so, wie es häufig in den Geschichten unseres Autors Andreas Ballnus der Fall ist. Und nebenbei, also außerhalb der eigentlichen Geschichte, spielt eine ganz bestimmte Zahl eine besondere Rolle: „Zahlenspiele“ ist die 100ste Ausgabe der Kolumne „Kann passieren…“

Bild: Willfried Wende / Pixabay.com

Ich mühe mich die Treppe hinauf. Langsam, Schritt für Schritt. Mein Büro befindet sich im vierten Stock. Seit über fünfzehn Jahren mache ich das und verzichte weitgehend auf den Fahrstuhl. Meine Quote müsste bei über 90 Prozent liegen. 90 Prozent  aller Wege in andere Stockwerke zu Fuß – treppauf, treppab. Mein selbstgesetztes Ziel liegt bei einer Quote von nur 80 Prozent, was immerhin auch noch eine stattliche Zahl ist.

Bei meinen deutlich jüngeren Kollegen ist das Verhältnis zwischen Fahrstuhlnutzung und zu Fuß gehen genau andersherum. Sie nehmen immer den Fahrstuhl und nur wenn dieser kaputt ist, gehen sie notgedrungen zu Fuß. Während die jungen gesunden Schlanken beim Treppensteigen schon im zweiten Stock anfangen, vor Überanstrengung um ihr Leben zu bangen, zeigt der alte, übergewichtige Asthmatiker deutlich mehr Durchhaltevermögen.

Wie viele Stufen es wohl sein mögen? Ich habe sie noch nie gezählt. In meiner Kindheit hätten meine Geschwister und ich dies längst getan. Vielleicht sollte ich mal meine jungen Kollegen fragen. Aber diese Art von Zahlenspielerei ist inzwischen sicherlich aus der Mode gekommen. Wahrscheinlich kann man irgendwo auch die Anzahl von Treppenstufen googeln – und wenn nicht, wird das sicherlich in naher Zukunft möglich sein.

Irgendjemand wird schon auf die Idee kommen, eine Datenbank über alle Treppenstufen Deutschlands zu erstellen. Sehr schnell wird diese Idee dann andere begeistern, man gründet einen Verein der Treppenstufenfans und schon gibt es einen neuen Freizeittrend. Und selbstverständlich wird man auch bald Experten haben, die ganz wichtig sind und irgendwelchen Möchtegernreportern irgendwelcher unwichtigen Käseblätter höchst wichtige Interviews zum Thema „Treppenstufen in Deutschland“ geben. Dass das Interview nur deshalb geführt und gedruckt wurde, weil der Neuanstrich des Klohäuschens am Marktplatz verschoben wurde und somit auch der darüber geplante Bericht, interessiert dann niemanden. Denn das Dokumentieren sämtlicher Treppenstufen in Deutschland ist irre wichtig und auch interessant. So können sich zum Beispiel die Paketboten von DHL, UPS, Hermes und wie sie alle heißen bereits im Vorfeld ihrer Tour darauf einstellen, dass sie 27 Stufen steigen müssen, um Frau Müller-Klöppelstein das mörderschwere Paket in die Querulantengasse 5 zu liefern. – Doch ich schweife ab …

Als Kinder haben wir jedenfalls viel gezählt. Treppenstufen von Kirchtürmen und anderen Gebäuden, die wir erklommen haben, oder Güterwagen, wenn sie an einem geschlossenen Bahnübergang an uns vorbeirauschten. Im Urlaub zählte ich manchmal die Anzahl der Autos, die unser heimisches Nummernschild hatten. Und ich bin mir sicher, dass ich damals noch viele andere Dinge gezählt habe.

Sowas mache ich natürlich heute nicht mehr. Diesen Kinderkram habe ich hinter mir gelassen. – Okay, Kalorien zähle ich manchmal; und die Urlaubstage sowie die Überstunden, die ich noch habe; und inzwischen auch die Zahl der Jahre, bis ich in Rente gehen kann (irgendwann werde ich dann nur noch Monate und Tage zählen). Wenn ich also etwas zähle, dann nur noch relevante Dinge. Zum Beispiel hat im letzten Monat mein Nachbar siebzehnmal nachts herumkrakeelt. Das scheint erst mal nicht so wichtig zu sein, doch dieser Krach ist für meine Gesundheit nicht gut – ich nehme doch jetzt schon täglich sechs verschiedene Tabletten. Wenn das nicht aufhört, gibt es eine Beschwerde beim Vermieter. Seit kurzem zähle ich auch noch, wie oft sich die Bahn verspätet, wenn ich unterwegs bin. Die Zeitungen schreiben ja viel zu diesem Thema, doch ich vertraue lieber meinen eigenen Erfahrungen.

Aber das alles ist etwas völlig anderes, als diese kindliche Zählerei von Güterwagen und Treppenstufen.

So, und ich gehe jetzt gleich einkaufen. Vorher schaue ich noch nach, wie viele Mülltüten auf der Abreißrolle sind. Vielleicht muss ich ja neue besorgen. – Ach ja, was ich dir schon immer mal sagen wollte: Ich mag es nicht, dass du mich ständig unterbrichst, wenn ich rede. Vorhin hast du das genau neunmal getan.

– Andreas Ballnus —

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ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor.  Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

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Kolumne Kann passieren

KOLUMNE KANN PASSIEREN

Andreas Ballnus erzählt in seiner Kolumne „Kann passieren“ reale Begebenheiten, fiktive Alltagsgeschichten und manchmal eine Mischung aus beidem. Diese sind wie das Leben: mal humorvoll, mal nachdenklich. Die Geschichten erscheinen jeweils am letzten Freitag eines Monats in business-on.de.

Hier finden Sie eine Übersicht aller Beiträge, die von Andreas Ballnus erschienen sind.

Interview: 100 x Andreas Ballnus

Lesen Sie auch die  Buchbesprechung zur Antologie „Tierisch abgereimt“.

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