Wenn Blicke sprechen
Ich warte an der Ampel auf das Grün für uns Fußgänger. Schräg vor mir steht eine junge Frau: Groß, schlank, Haare pink gefärbt, Piercings, sehr kurzer schwarzer Rock, und auch der Rest ihres Outfits ist ziemlich schrill – schrill und auch recht sexy. Ein paar Meter entfernt steht ein Ehepaar. Beide sind etwa Anfang fünfzig. Ich bemerke zuerst seinen Blick. Er schaut zu der jungen Frau hinüber. Sein Augen sagen in etwa: „Schrill, aber auch sexy. Irgendwie lecker.“ Dann beobachte ich seine Frau. Sie schaut zunächst ihn an, sieht seinen Blick und folgt diesem. Nun nimmt auch sie die junge Frau wahr. Der Hauch eines spöttischen Lächelns huscht über ihr Gesicht.
Ich will mir gerade weitergehende Gedanken darüber machen, ob der Spott in ihren Augen dem eigenen Mann, der jungen Frau oder der gesamten Situation gilt. Doch da geht das Schauspiel schon weiter. Es folgt ein zweiter Akt.
Nach einem kurzen Moment schaut die bisher still beobachtende Gattin noch einmal zu der jungen Frau hinüber. Dann flüstert sie ihrem Ehemann etwas ins Ohr. Wieder ist da dieser Anflug von Spott, der an ihren Mundwinkeln zu ziehen scheint. Während sie leise mit ihm spricht, fixieren ihre Augen regelrecht die andere Frau. Bei ihm hingegen ändert sich der Ausdruck seines Gesichtes, wenn auch kaum merklich. Ein Hauch von bemühter Zustimmung und Sachlichkeit breitet sich aus. Der Versuch, seine Gedanken vollständig hinter einem Pokerface zu verbergen misslingt aber. Denn sein Blick sagt weiterhin: „Schrill, aber lecker!“
Klare Zeichen
Ich bin mit der U-Bahn an meiner Zielstation angekommen. Auf der Rolltreppe, ein paar Stufen vor mir und somit etwas erhöht, steht ein junges Pärchen. Ihr wirklich gut geformter Hintern strahlt mich in Höhe meiner Augen regelrecht an. Ich weiß, dass es sich nicht gehört, direkt auf dieses Prachtexemplar zu starren. Doch bevor mein Verstand den Befehl durchgeben kann, diese Einsicht auch in die Tat umzusetzen, hat ihr Partner meine Blicke bereits wahrgenommen. Zärtlich, aber doch entschlossen gibt er seiner Begleiterin einen leichten Klaps auf den Hintern und legt dann seine Hand auf die Gesäßtasche ihrer Hose – womit er mir klar und deutlich signalisiert: „Dieser Arsch gehört mir!“
Extrascharf
„Das Thai-Curry bitte – extra scharf“, bestellte der Gast am Nebentisch.
Nachdem ihm das Essen serviert worden war, gab er, ohne vorher zu kosten, eine große Priese Pfeffer dazu.
Schon nach dem ersten Bissen tupfte sich der Mann mit der Serviette Stirn und Wangen ab. Anschließend schnäuzte er mehrfach in sein Taschentuch. Dann aß er genüsslich weiter, während ihm eine Träne aus dem Auge rann.
–Andreas Ballnus —
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ZUM AUTOR
Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl
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