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Kolumne „Kann passieren …“ – Die Besorgten

Es gibt Dinge im Alltag, die einfach nur nerven. Hierbei kann es sich um Kleinigkeiten handeln, wie zum Beispiel die „falsch“ eingelegte Rolle Toilettenpapier (das Papier kommt nicht gleich oben aus der Halterung heraus, sondern läuft erst hinter der Rolle an der Wand entlang). Es kann sich aber auch um schwerwiegendere Dinge handeln, wie beispielsweise die regelmäßig ertönende Egerländer Blasmusik aus der Nachbarwohnung, während man selbst gerade einen spannenden Krimi sehen will. Über solche Dinge kann man sich aufregen – muss man aber nicht. Unser Autor Andreas Ballnus hat sich einer anderen Form von Störungen mit Humor genähert. Auch das kann eine Möglichkeit sein, mit Belästigungen dieser Art umzugehen.

Foto: Yingyaipumi / Adobe Stock

Sie meinen es wirklich gut mit mir. Und dabei bin ich ihnen völlig unbekannt. Ich jedenfalls kenne niemanden von denen. Doch täglich denken sie an mich. Es muss viele von ihnen geben – von diesen mir völlig unbekannten Menschen, die sich Gedanken um mein Wohl machen. Das rührt mich manchmal fast zu Tränen. Es scheint mir, wie der Dank des Schicksals zu sein. Ein Dank für all die unzähligen Male, in denen ich etwas Gutes für andere getan habe. Insgeheim wusste ich schon immer, dass ich irgendwann den Lohn für meinen Einsatz in dieser Welt erhalten werde.

Genauer betrachtet ist es sogar so, dass ich viel mehr zurückbekomme, als ich je gegeben habe. Während ich eher gedanklich, also auf fast schon spiritueller Art und Weise, mich um die mir nahestehenden Menschen sorge und sie mit meiner inneren Energie unterstütze, handeln diese mir völlig unbekannten Leute mit bewundernswerter Tatkraft. Sie verlieren sich nicht in Überlegungen sondern werden gleich aktiv. Ich hätte gerne auch so viel Power.

Der Schwerpunkt ihrer bewundernswerten Mission liegt darin, mich schriftlich oder telefonisch über Dinge zu informieren, die für mich interessant oder wichtig sein könnten. Es sind zum Teil höchst interessante Vorschläge darunter. Vorschläge, die meinem Leben völlig neue Impulse geben können. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie wunderbar es sich anfühlt, dass man nicht vergessen wird – gerade, wenn man alleine lebt wie ich. Diese Menschen denken an mich. Sie sorgen sich um meine Person.

Gut, manchmal übertreiben sie es auch ein wenig. So wurde mir erst kürzlich von verschiedenen Seiten intensiv empfohlen, dass ich mir ein potenzförderndes Mittel anschaffen solle. Nun lebe ich ja bekanntlich alleine und gesundheitlich bin ich voll auf der Höhe, so dass ich derzeit wirklich keine Verwendung dafür habe.

Deshalb überlegte ich bereits, meinen Gönnern einmal zu schreiben, um ihnen mitzuteilen, dass sie sich in diesem Fall nun wirklich nicht weiter um mich sorgen müssen – zumal sie bei dieser Angelegenheit, so wie auch bei vielen anderen, dazu neigen, mir immer wieder die gleichen Hinweise zu schicken, mich regelrecht mit ihnen zu bombardieren. Aber andererseits möchte ich nicht undankbar wirken, zumal ich ihren unglaublichen Enthusiasmus wirklich bewundere.

Doch dann erinnerte ich mich daran, dass mich andere freundliche Menschen erst vor Kurzem auf eine Partneragentur aufmerksam gemacht hatten. Da erst wurde mir deutlich, welch herrliche Fügungen das Schicksal für mich bereit hält. Ich muss nur aufmerksam genug sein, damit ich diese Chancen und Zusammenhänge auch erkenne.

Selbstverständlich habe ich dann auch sofort davon Abstand genommen, die Menschen, welche mir die potenzfördernden Mittel empfohlen haben, zu kontaktieren.

Diese wunderbaren Leute umsorgen mich wirklich in vielen Bereichen. So achten sie zum Beispiel auch kontinuierlich darauf, mich vor materiellen Verlusten zu bewahren. Immer wieder werde ich über wichtige Versicherungen informiert. In ihrem Eifer vergessen sie, dass ich bereits mehrfach darauf hingewiesen habe, dass ich keine weiteren Produkte dieser Art mehr benötige. Aber diesen, fast schon jugendlichen Übereifer werde ich ihnen auch weiterhin nachsehen.

Zusätzlich unterbreiten sie mir regelmäßig Ideen, wie ich mein Geld gewinnbringend investieren kann, weisen auf besonders günstige Stromanbieter hin, oder machen mich darauf aufmerksam, dass ich für meinen Telefon – und Internetanschluss viel zu viel bezahle.

Neulich hat mich einer dieser Menschen sogar persönlich besucht. Er sorgte sich darum, dass ich möglicherweise nicht ausreichend über die Ereignisse in dieser Welt informiert bin. Daher hatte er verschiedene Zeitungen dabei, die ich abonnieren konnte. Der gute Mann wusste gar nicht wie ihm geschah, als ich ihm aus tiefster Dankbarkeit um den Hals fiel. Leider hatte ich nicht so viel Zeit für ihn. Außerdem fühlte ich mich durch Fernsehen und Internet ausreichend unterrichtet. Als ich seine Enttäuschung sah, drückte ich ihm als kleine Aufmunterung eine Tüte mit selbstgebackenen Keksen in die Hand, bevor ich ihn verabschiedete.

Nachdem mir nun bewusst geworden ist, was für wunderbare Menschen es auf dieser Welt gibt, habe ich beschlossen, mich einmal bei ihnen zu bedanken. Zum nächsten Weihnachtsfest werde ich ihnen allen einen herzlichen Gruß schicken. Sie haben es sich wirklich verdient.

– Andreas Ballnus —

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ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Außerdem ist er Gründungs- und Redaktionsmitglied der Stadtteilzeitung „BACKSTEIN“. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

 

Bildquellen

  • Andreas Ballnus: Sebastian Lindau
  • Händehalten: Yingyaipumi / Adobe Stock
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Kolumne Kann passieren

KOLUMNE KANN PASSIEREN

Andreas Ballnus erzählt in seiner Kolumne „Kann passieren“ reale Begebenheiten, fiktive Alltagsgeschichten und manchmal eine Mischung aus beidem. Diese sind wie das Leben: mal humorvoll, mal nachdenklich. Die Geschichten erscheinen jeweils am letzten Freitag eines Monats in business-on.de.

Hier finden Sie eine Übersicht aller Beiträge, die von Andreas Ballnus erschienen sind.

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Lesen Sie auch die  Buchbesprechung zur Antologie „Tierisch abgereimt“.

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