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Kolumnen & Glossen

Kolumne „Kann passieren …“ – Kopfwerk

Unser Autor Andreas Ballnus denkt sich nicht nur Geschichten aus oder berichtet von Dingen, die er erlebt hat. Immer mal wieder gehen ihm durchaus ernste, manchmal aber auch recht schräge Gedanken durch den Kopf. Manche von ihnen schreibt er dann auf. Und einige davon stellt er Ihnen in dieser Ausgabe seiner Kolumne vor.

photosforyou / Pixabay.com

Bessere Zeiten

Früher, als alles besser war, standen wir kurz vor dem Atomkrieg. Die bleierne Zeit schenkte dem deutschen Volk seine eigenen Terroristen, Priester durften sich weitgehend ungestraft durch die Internate vögeln und unerlaubte Grenzübertritte von Ost nach West endeten schon mal im Kugelhagel.

In den guten alten Zeiten waren viele Flüsse unseres Landes stinkende Kloaken. Saurer Regen vernichtete den heiligen deutschen Wald, Fahrverbote stoppten wegen der Ölkrise so manchen Sonntagsausflug und Robbenbabyjäger schlachteten sich von einem Blutrausch in den nächsten.

Ja, als es uns damals so gut ging, war die Lebenserwartung niedriger, die Säuglingssterblichkeit höher so wie auch die Quote der Verkehrstoten.

Und vor allem wussten wir früher von allen schlimmen Ereignissen gerade mal ein wenig mehr als unsere Vorfahren aus dem tausendjährigen Reich, die ja in der Regel von gar nichts gewusst hatten. So war das schwer widerlegbare Halb- oder Nichtwissen ein guter Schutz vor dem Vorwurf irgendeiner Form der Verantwortungslosigkeit. Doch heute werden die Erklärungsmodelle knapp, mit denen wir Ausreden für unser Nichts-Tun untermauern könnten.

Wie paradiesisch die Zeiten einst doch waren.

Groteske Welt

Ist es wirklich normal, dass diejenigen, die im Wirtshaus vollmundig von Moral und Anstand reden, einige Stunden später besoffen gegen abgestellte Fahrräder pinkeln, sich dann ins Auto setzen und die Frau, die sie in ihren kühnsten Träumen schon hundert Mal flachgelegt haben, auf ihrem Fahrrad in der Dunkelheit nicht sehen und totfahren, und dann Fahrerflucht begehen, zu Hause ihre Frau vögeln, die eigentlich gar keine Lust hat, aber aus Angst vor den Schlägen, die sie bei einer Weigerung erhalten würde, alles über sich ergehen lässt, und die dann am nächsten Morgen kopfschüttelnd die Zeitung lesen und propagieren, dass man das Schwein, das letzte Nacht die junge Frau totgefahren hat, am nächsten Baum aufhängen sollte, um dann ins Büro zu fahren, sich auf dem Weg dorthin über jeden Verkehrsteilnehmer aufregen, der zu langsam oder zu schnell fährt, der falsch parkt oder vergisst, an der Kreuzung zu blinken, selber aber mit der Lichthupe andere Verkehrsteilnehmer vor sich her über die Landstraße treiben, und vor ihrer Arbeitsstelle dann auf dem Behindertenparkplatz parken, im Büro zunächst ein paar private Kopien und Telefonate erledigen, Pause machen und dann unwillig ihren Job tun, dabei von der Kreuzfahrt träumen, die sie sich mit ihren Steuertricks bald zusammengespart haben, und dann nach Feierabend sich mit den Kumpels im Wirtshaus treffen, die Heldentaten ihrer Jugend hervorprahlen, und sich währenddessen ihr Leben abwechslungsreich und interessant saufen, um dann vor der Heimfahrt noch kurz die abgestellten Fahrräder voll zu pinkeln, dann ins Auto steigen und Glück haben, dass diese Nacht keine junge Frau mehr auf dem Fahrrad unterwegs ist?

Gedankenkreise

„Das einzige Sichere im Leben ist der Tod“, sagt man. Doch ist das wirklich so? Wenn der Tod das einzig Sichere ist, wie sieht es dann mit den Naturgesetzen aus. Oder ist der Tod auch ein Naturgesetz? Und sind Naturgesetze wirklich die einzige Wahrheit, das einzige Sichere?

Ich weiß es nicht. Doch meine Gedanken kreisen. Gibt es vielleicht eine andere Wirklichkeit, eine andere Wahrheit jenseits von den wissenschaftlich erforschten und bewiesenen Erkenntnissen? Gibt es womöglich viele verschiedene Wahrheiten?

Jeder einzelne von uns wird dazu eine eigene Antwort haben. Es wird hierbei sehr wahrscheinlich auch viele Übereinstimmungen geben. Und viele Menschen werden darauf pochen, dass ihre Antwort die richtige, einzig wahre ist.

Ich weiß es nicht. Ich überlege: Erfassen Naturgesetze auch meine Gedanken und Gefühle? Sind es wirklich nur die messbaren Hirnströmungen, Herzschläge und andere körperliche Merkmale? Oder gibt es Dimensionen, in denen Naturgesetze nicht gelten? Dimensionen, die für uns nicht – oder noch nicht – erfassbar sind? Möglicherweise gibt es auch noch weitere, von uns bisher nicht erfasste, Naturgesetze.

Ich weiß es nicht. Doch ich glaube. Ich glaube, dass die Wirklichkeit größer ist, als sie je ein Mensch erfassen kann, und dass es Dinge gibt, die nie messbar sein werden.

Menschen, die sagen, dass sie nicht glauben, glauben auch. Wer nur das für real hält, das erfassbar, messbar ist, glaubt, dass es darüber hinaus nichts Weiteres gibt. Oder er vermutet, dass es noch Dinge gibt, die aber bisher nicht erforscht wurden. Doch wo ist die Grenze zwischen „vermuten“ und „glauben“?

Atheisten glauben, dass es keinen Gott oder eine andere höhere Macht gibt. Wissen können sie es nicht. Sowohl dieser Glaube, als auch jener der Christen, Moslems und anderen Religionen kann sich wie Wissen anfühlen. Doch das ändert nichts daran, dass es weder einen allgemein gültigen Gottesbeweis gibt, noch einen Beweis, der die Existenz einer höheren Macht eindeutig widerlegt.

Stars

Ist die Zeit der wahren Stars vorbei? Krampfhaft wird seit Jahren weltweit auf vielen TV-Kanälen und in den unterschiedlichsten Formaten nach Stars oder sogar Superstars gesucht. Gefunden hat man bis heute keinen.

Sicher, Sieger gab es bei diesen Shows immer. Doch diese waren überwiegend keine Stars oder Sternchen, sondern meistens nicht mehr als bunte Knallfrösche, die wie Eintagsfliegen schon bald wieder verschwunden waren. Da konnten sie noch so viel Gehabe an den Tag legen und von den Medien gen Attrappen-Himmel gelobt werden.

Doch was ist eigentlich ein „Star“ – also, von dem Vogel mal abgesehen?

Nach Wikipedia ist er „eine prominente Persönlichkeit mit überragenden Leistungen auf einem bestimmten Gebiet und einer herausgehobenen medialen Präsenz“.

Hier stellt sich nun die Frage, was unter „überragend“ zu verstehen ist. Ein Hundehaufen überragt so manchen Kieselstein. Ist er deshalb ein Star? Außerdem frage ich mich, ob es nicht zusätzlich einen zeitlichen Faktor geben müsste, der berücksichtigt werden sollte. Für mich war bisher immer jemand ein Star, der über Jahrzehnte hinweg ganz oben in seiner künstlerischen „Liga“ mitgespielt hat. Somit hätten jene Eintagsfliegen schon mal keine Chance, jemals einer zu werden. Andererseits ist die Zeit so schnelllebig geworden, dass kaum ein Talent die Chance hat, wirklich zu einem Star heranzuwachsen, sich zu formen und weiterzuentwickeln.

Der Duden ist da deutlich bescheidener. Wenn es nach ihm geht, ist ein Star ein „gefeierter, berühmter Künstler; gefeierte, berühmte Künstlerin“ oder auch „jemand, der auf einem bestimmten Gebiet Berühmtheit erlangt hat“.

Nun gut, wenn es danach geht, ist heute wirklich bereits jeder ein Star, der einmal in der Nase popelnd vor der Kamera gestanden hat, und dessen Grabungsarbeiten dann von einigen tausend oder gar Millionen Zuschauern auf irgendwelchen Kanälen bestaunt worden sind. Die letzten Looser können somit zum Star werden. – Ja, inzwischen ist das Wort „Star“ fast schon zu einer Beleidigung für jene geworden, die es eigentlich verdient hätten, als solche bezeichnet zu werden.

Mir ist natürlich bewusst, dass das alles auch etwas mit dem Wandel der Zeit zu tun hat. Die Sprache, Sitten und Werte ändern sich. Egal, ob mir das nun gefällt oder nicht.

Während man früher nur in den noblen Restaurants die Menü-Karte gereicht bekam, erhält man heute schon in jedem Fastfood-Laden eine Bratwurst mit Pommes und einem Soft-Drink als Menü. Seit Jahren liebt man es, den letzten Schrott in hochtrabenden Worten zu verpacken. Das ist ein normaler Prozess, und ich habe die Wahl, ob ich mich auf ihn einlasse oder mich ihm, solange es geht, verweigere.

Es ist also meine Entscheidung, ob ich mich aufrege, depressiv werde, spotte oder es stoisch hinnehme, wenn demnächst irgendwo ein Hundehaufen zum Star gekürt wird.

Spechts Kopfschmerzen

Ob Spechte hin und wieder Migräne haben? Grundsätzlich wohl eher nicht, da ihr Kopf von Mutter Natur so konzipiert wurde, dass sie, ohne schwerwiegende Folgen befürchten zu müssen, stundenlang an irgendwelchen Bäumen herumhämmern können.

Doch was ist, wenn so ein Specht mal schlecht geschlafen hat und schon mit Kopfschmerzen aufwachen sollte. Schmerzen, die so schlimm sind, als würde gerade ein anderer Specht seinen Schädel bearbeiten. Ist so etwas überhaupt möglich? Und wenn dem so ist, was geschieht dann? Kann dieser Specht einfach mal so sagen: „Ach, ich lasse das Klopfen heute sein und gehe angeln“? Oder treiben ihn seine Instinkte dazu, trotzdem in den Wald zum Holzhacken zu fliegen? Schließlich besorgt er sich ja auf diese Art und Weise seine Nahrung, und durch zu wenig essen und vor allem zu wenig trinken könnten sich die Beschwerden noch verschlimmern.

Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß, dass Spechte keine Kopfschmerzen haben – schließlich hat man noch nie einen in der Apotheke Aspirin kaufen sehen. Aber ein Beweis ist das natürlich noch nicht. Doch warten wir es ab – irgendwann wird auch darüber eine Doktorarbeit oder ein wissenschaftlicher Aufsatz verfasst werden.

 

–Andreas Ballnus —

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ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor.  Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

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Kolumne Kann passieren

KOLUMNE KANN PASSIEREN

Andreas Ballnus erzählt in seiner Kolumne „Kann passieren“ reale Begebenheiten, fiktive Alltagsgeschichten und manchmal eine Mischung aus beidem. Diese sind wie das Leben: mal humorvoll, mal nachdenklich. Die Geschichten erscheinen jeweils am letzten Freitag eines Monats in business-on.de.

Hier finden Sie eine Übersicht aller Beiträge, die von Andreas Ballnus erschienen sind.

Interview: 100 x Andreas Ballnus

Lesen Sie auch die  Buchbesprechung zur Antologie „Tierisch abgereimt“.

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