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Das Bundeskriminalamt kann nicht rechnen

Immer wieder fragen Journalisten unseren Kolumnisten Peter Jamin, wie viele Vermisste denn insgesamt in Deutschland in einem Jahr bei der Polizei registriert werden. Man sollte ja denken, dass die Polizei das am besten weiß. Früher wusste das Bundeskriminalamt in Wiesbaden die Zahlen, sagt Jamin, der einer der wenigen Experten für das Thema „Vermisst“ in Deutschland ist – heute können die Beamten dort das nicht mehr ausrechnen.

jamin

Immer wieder fragen Journalisten unseren Kolumnisten Peter Jamin, wie viele Vermisste denn insgesamt in Deutschland in einem Jahr bei der Polizei registriert werden. Man sollte ja denken, dass die Polizei das am besten weiß. Früher wusste das Bundeskriminalamt in Wiesbaden die Zahlen, sagt Jamin, der einer der wenigen Experten für das Thema „Vermisst“ in Deutschland ist – heute können die Beamten dort das nicht mehr ausrechnen.

Damals, bis zur Wiedervereinigung, stand in der jährlichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes unter dem Kapitel „Vermisste“, dass etwa 70.000 Bundesbürger jährlich bei der Polizei als vermisst registriert wurden. Nach der Wiedervereinigung stieg die Zahl durch die Vermissten in den Neuen Bundesländern auf rund 100.000 Vermisste.

Vermisste aus Bericht gestrichen

Doch seit etlichen Jahren ist das Kapitel „Vermisste“ im jährlichen Kriminalbericht des BKA nicht mehr zu finden. Kein Journalist interessiert sich dafür oder fragt: Warum sind die Vermissten aus dem Jahresbericht des BKA verschwunden?

Für mich hat das politische Gründe. 100.000 Vermisste – das ist ja eine enorme Zahl von Betroffenen. Und da irritiert ganz besonders, wenn man weiß, dass sich in Deutschland um die jährlich rund 500.000 betroffenen Angehörigen der Vermissten nicht eine einzige Behörde – außer der Polizei – kümmert. Die Polizei ist aber kein soziale Institution und kann nicht helfen bei den zum Teil gravierenden Problemen.

BKA verschleiert Statistik

Am 23. Dezember 2017 meldete beispielsweise die Deutsche Presse Agentur in den „Stuttgarter Nachrichten“: „Die Zahl der in Deutschland vermisst gemeldeten Menschen ist im laufenden Jahr auf vergleichsweise hohem Niveau geblieben. Zum Stichtag 1. Oktober waren es 14.903, wie das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Das waren zwar etwas weniger als zu dem Zeitpunkt im Vorjahr, als 15.700 Vermisste gezählt worden waren. Die Zahl liegt aber weiter deutlich über dem Wert von Anfang Oktober 2015. Damals waren es bundesweit lediglich etwa 9900 Vermisste.“

Der Leser muss annehmen, dass im gesamten Jahr 2017 nur 14.903 neue Vermisste registriert worden sind. Das ist falsch. Das BKA führt die Presse und somit die Bundesbürger hinters Licht.

Es sind tatsächlich mehr als 100.000 neue Vermisst-Registrierungen im Jahr 2017 gewesen. Das Bundeskriminalamt tut so, als wäre es nicht möglich eine Gesamtzahl zu nennen. Während beispielsweise das Kraftfahrt-Bundesamt ohne Probleme in der Lage ist die Gesamtzahl der Neuzulassungen von Pkw mit 3,35 Millionen Autos für das Jahr 2016 festzustellen, kann das das Bundeskriminalamt angeblich bei vermissten Menschen nicht. Autos können offenbar einfacher bei den Bundesbehörden gezählt werden als Menschen.

Bundeskriminalamt überlistet

Doch zurück zur Statistik des BKA. Immer wieder bitten mich Journalisten, die von mir angegebene Gesamtzahl von jährlich mehr als 100.000 Vermissten zu belegen. Denn das BKA teilt den Journalisten – wie zum Beispiel jenen von der Deutschen Presse Agentur (DPA) – auch auf Nachfrage keine Jahresgesamtzahl mit.

Es gibt nur noch Hinweise, wie sie auch in einem BKA-Bericht zur polizeilichen Bearbeitung von Vermisstenfällen stehen: „Um eine Vorstellung von der Größenordnung der in Deutschland vermissten Personen zu bekommen, hier einige Zahlen: Im Mai 2017 waren in der Datei „Vermi / Utot“ insgesamt rund 16.300 aktuelle Vermisstenfälle gespeichert. Darunter waren ca. 14.000 in Deutschland als „vermisst“ gemeldete Personen. In dieser Zahl sind sowohl Fälle enthalten, die sich innerhalb weniger Tage aufklären, als auch Vermisste, die bis zu 30 Jahren verschwunden sind. Täglich werden jeweils etwa 250 bis 300 Fahndungen neu erfasst und auch gelöscht.“

Das Bundeskriminalamt überlistet sich mit dem letzten Hinweis (täglich 300 Fahndungen neu erfasst) selbst. Denn nun muss man nur noch rechnen: Das Jahr hat 356 Tage, die man mit täglich rund 300 Fahndungen, also Registrierungen, multipliziert – so kommt man auf 106.800 bei der Polizei neu registrierten Vermissten im Jahr. Dazu kommt noch eine hohe Zahl von nicht bei der Polizei registrierten Vermissten.

Tatsächlich! 106.800 Vermisste!

Immerhin kann die Polizei in Nordrhein-Westfalen noch richtig rechnen. Sie teilte Ende Dezember 2017 mit, dass im Jahr 2016 insgesamt bis Jahresende 23.200 Vermisstenfälle bei ihr registriert wurden. Da wird das Zahlenspiel von DPA und BKA (oben) schnell ad absurdum geführt.

Wer noch einen weiteren Beleg für die ungeheure Zahl von mehr als 100.000 bei der Polizei registrierten Bundesbürger jährlich benötigt: Schon 1996 habe ich eine Broschüre mit Tipps für die Hilfe bei Vermisst-Fällen verfasst, die damals in allen Polizeidienststellen von NRW an die Angehörigen von Vermissten übergeben wurde – heute gibt es so eine wichtige Information für die Angehörigen nicht mehr.

Herausgegeben wurde die Broschüre vom damaligen Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Franz-Josef Kniola, und dem WDR-Fernsehen. Die damals vom Minister geprüfte und bestätigte Gesamtzahl bundesdeutscher Vermissten jährlich: rund 100.000.

Wer mehr über das Schicksal der Angehörigen von vermissten Menschen und über meine Forderungen an die Politik lesen möchte, findet das in meinem „Vermisst-Ratgeber für Angehörige, Freunde und Kollegen“.

Bleiben Sie fröhlich. Bis nächsten Freitag. Auf einen Cappuccino…
                                  Ihr Peter Jamin

Unser Autor arbeitet als Schriftsteller und Publizist sowie als Berater für Kommunikation seit Jahrzehnten immer wieder auch für ausgewählte Projekte. Sein soziales Engagement gilt der Situation von Angehörigen vermisster Menschen, auf deren Situation er in Büchern, TV-Dokumentationen und Artikeln seit mehr 20 Jahren aufmerksam macht. Mehr unter www.jamin.de

 

Peter Jamin

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