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Kolumnen & Glossen

Berliner Notizen 2019

Eindrücke, kleine Erlebnisse, Begegnungen und Gedanken – die „Berliner Notizen 2019“ entstanden im Oktober des Jahres 2019. Nach langer Zeit war unser Autor Andreas Ballnus erstmals wieder für ein paar Tage in Berlin und hatte die Gelegenheit, sich in der Stadt umzusehen.

Eindrücke, kleine Erlebnisse, Begegnungen und Gedanken – die „Berliner Notizen 2019“ entstanden im Oktober des Jahres 2019. Nach langer Zeit war unser Autor Andreas Ballnus erstmals wieder für ein paar Tage in Berlin und hatte die Gelegenheit, sich in der Stadt umzusehen.

Andreas Ballnus notierte sich seine Beobachtungen und Gedanken, ähnlich den Eintragungen in ein Tagebuch. Bis auf einen Nachtrag verfasste er sie meist unmittelbar, manchmal noch auf dem Gehweg stehend, und dann wieder gemütlich im Café sitzend, als Rückblick auf den vorangegangenen Tag oder das gerade Erlebte. Später hat er sie dann überarbeitet und mit Überschriften versehen. Häufig ist ein Augenzwinkern dabei, und selbstverständlich handelt es sich nicht um eine objektive Beschreibung der aktuellen „Berliner Verhältnisse“.

Auch, wenn er hier mit Zeilenumbrüchen arbeitet, handelt es sich bei den Texten eher nicht um Lyrik. Er hat diese Form jedoch gewählt, um hin und wieder lyrischen Momenten den Platz zu geben.

1. Riskante Zeiten

„Unter den Linden“ –
Von Mai bis August
Sperrgebiet für Allergiker.
(20. Oktober 2019)

2. Berliner Schnauze

Kreuzberg –
Noch keine Begegnung
Mit der berüchtigten Berliner Schnauze.
Im Gegenteil
Eine junge Frau entschuldigt sich
Wegen ihres im Wege stehenden Fahrrads
… muss eine Zugezogene sein.
(20. Oktober 2019)

3. Pflanzenpflege

Kreuzberg –
Ein Altbau
Auf dem Balkon
Im vierten Stock schnippelt
Ein Rentner mit Schere
An Pflanzen herum
Achtlos wirft er Abgeschnittenes
Über die Brüstung.

Ob er Ur-Berliner ist?
Würde ich hier auf die Berliner Schnauze treffen?
Seine Antwort könnte es verraten,
Müsste mich nur lauthals beschweren.
Schweige lieber,
Die Sache scheint zu riskant.

Stattdessen überlege ich
Ob der kleine grüne Kaktus
Wirklich unbeabsichtigt
Vom Balkon fiel.
(20. Oktober 2019)

4. Schwerstarbeit

Berliner Dom, Aufgang zur Kuppel –
Ein Schild
Warnt vor dem beschwerlichen Aufgang.
Über 180 Stufen.
Ich wage es trotzdem.

Teilweise recht enge Treppen führen hinauf.
Der Dicke vor mir
Scheint gleich zu sterben.
Kann er aber nicht,
Denn sein etwa vierjähriger Sohn ist dabei.
Papa muss also stark sein.
Es ist ein zierliches Kind
Irgendwie nicht ganz so wie der Vater.
In Trippelschritten passieren sie die Treppenabsätze.
Langsam geht es weiter aufwärts.
Hand in Hand, der Sohn voran.
Unklar, wer von beiden das Tempo vorgibt.

„Lassen wir mal den Mann vorbei,
Der ist schneller“, keucht der Dicke.
Komme kaum an ihnen vorbei.
Bin auch alles andere als schlank –
Aber noch lange nicht tot.
(21. Oktober 2019)

5. Ampelmännchen (1)

Hin und wieder in Westberlin:
Ampelmännchen im „DDR-Design“.
Denke an den „Grünen Pfeil“,
Eines der wenigen Dinge
Die von Ost nach West
Vereinigt wurden.
Was geschah eigentlich mit dem Ost-Sandmännchen?
Ist die Mauer wirklich weg?
(21. Oktober 2019)

6. Ampelmännchen (2)

Deutlich dynamischer
Das grüne Ost-Ampelmännchen.
Dynamik ist auch nötig
Bei den kurzen Grünphasen für Fußgänger
An großen Berliner Kreuzungen.

Deutlich resoluter
Das rote Ost-Ampelmännchen.
Mir scheint es so,
Dass in Berlin mehr Radfahrer
Bei Rot halten
Als in anderen Städten.

Insider dementieren dies vehement.
(21. Oktober 2019)

7. Verirrt

Hauptbahnhof Berlin –
Der Schilderwald hilft
Nicht wirklich weiter.
Bin zum dritten Mal
Durch die Etagen geirrt.
Wo zum Teufel ist der Zugang
Zu Ebene C des Parkhauses?
Dort soll es noch freie Schließfächer
Für Gepäck geben.
Logisch, dass die noch frei sind –
Findet ja keine Sau.
(21. Oktober 2019)

8. Filmkulisse

Viktoriapark im Herbst –
Morbider Charme
Empfiehlt sich
Für Abschlussszenen
Von Liebesdramen ohne Happy End.
(21. Oktober 2019)

9. Missverständnis

Frage einen Bettler,
Ob er was mit Leergut anfangen könne.
Doch dieser scheint mich nicht zu verstehen.
Frage nochmal.
Erfolglos.

„Flasche, leer, Pfand“,
Sage ich dann
Und denke an Trapatoni.
Der Mann nickt.
Gebe ihm meine zwei leere Pfandfaschen.

Hat mich wohl doch nicht verstanden,
Wie sein entgeisterter Blick verrät.
(21. Oktober 2019)

10. Mauerkunst

Nein, nicht jede bemalte Mauer in Berlin
Ist ein Teil der Berliner Mauer.
(21. Oktober 2019)

11. Irgendwie frei

Nahe Checkpoint Charly –
Östlich der ehemaligen Mauer
Schwebt
Ein Heißluftballon
Mit Werbeaufdruck.
„Welt“ ist auf ihm zu lesen –
Ein Seil bis zum Boden reichend
Hindert am Abdriften.
(21. Oktober 2019)

12. Leicht angespannt

Im Hotel –
Fahrt in den dritten Stock.
Während der ersten 24 Stunden meines Aufenthalts
Fiel der klapperige Fahrstuhl
Bereits zweimal aus.
Hohe Stockwerke
Zwingen zu anstrengendem Treppensteigen.
Spüre leichte Nervosität,
Wenn ich mit dem Lift unterwegs bin.
Besonders diesmal.
Kann die Ankunft
Im Zimmer Kaum erwarten –
Muss so wahnsinnig dringend aufs Klo …
(21. Oktober 2019)

13. Flüchtige Begegnung

„Unter den Linden“ –
Ein Anzugträger
Salopp ohne Krawatte
Kommt aus einem Gebäude heraus.
„Bundestag“
Ist großbuchstabig an der Hausfront zu lesen.
Er lächelt mir zu,
So, als müsse ich ihn kennen.
Tue ich aber nicht.
(21. Oktober 2019)

14. Kreativität

Sind Berliner Bettler und Straßenmagazinverkäufer
Kreativer
Als ihre Hamburger Kollegen?
Bin gerade mal drei Tage hier
Und habe mehr peppige Sprüche gehört
Als wie in 30 Jahren Hamburg.

„Haste 10 Cent für mich?
Nein?
Dann vielleicht 20?“

„Ein Straßenmagazin?
Oder eine Spende?
Oder ein Lächeln?“
Ich lächele.

Erinnere mich:
Mein letzter Berlin-Besuch.
Sitze vor einem Café
Ein Bettler, gepflegtes Äußeres.
In der Hand ein Teller
Mit Fledermäusen aus Weingummi
Ordentlich im Kreis drapiert.
Erzählt eine tolle Geschichte
Von seinem Verein
Zum Schutz der Weingummi-Fledermäuse.
Jeder, der spendet,
Darf sich ein Tierchen vom Teller nehmen –
Natürlich nur, um es zu schützen.
(21. Oktober 2019)

15. Grenzgänger

Sebastianstraße am Mauerweg –
Pflastersteine im Asphalt
Kennzeichnen
Den ehemaligen Verlauf der Mauer.
Ein Schild erinnert
An einen Fluchttunnel
Und Verrat.
Wie selbstverständlich
Queren Passanten
Den Grenzverlauf
Einstiger Barbarei.

Und mir fehlen die Worte
Für das, was ich fühle.
(1. November 2019 – Nachtrag)

 

– Andreas Ballnus —

_________________________

ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Außerdem ist er Gründungs- und Redaktionsmitglied der Stadtteilzeitung „BACKSTEIN“. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

Bildquellen

  • Andreas Ballnus: Sebastian Lindau
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