Im Zeitalter der Globalisierung, Digitalisierung und Produkt-Diversifizierungen entstehen kontinuierlich neue Märkte. Vor allem durch technische Möglichkeiten haben sich in den vergangenen Jahren neue Absatz- und Kommunikationskanäle entwickelt. Der Wettbewerbsdruck steigt kontinuierlich durch die Transparenz und Austauschbarkeit von Produkten. Das bedeutet für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Mitarbeitermotivation ist gefragt. Mit der Unterstützung eines Coaches kann es gelingen, die Situation durch eine neutrale Brille zu betrachten: Denn ein Veränderungsprozess hat vielleicht auch seine positiven Seiten.
business-on.de: Frau Thiele, Sie begleiten als externer Coach Fach- und Führungskräfte aus Sales & Marketing in Veränderungsprozessen. Es gibt immer wieder unterschiedliche Definitionen des Begriffs Coachings. Was ist Coaching denn nun genau?
Saskia Thiele: Coaching heißt Menschen zu begleiten, die sich in Veränderungsprozessen befinden. Sie möchten für sich, mit der aktiven Unterstützung eines Coaches, neue attraktive Ziele definieren. Im Coaching blickt der Coach von „außen“ auf das bestehende Problem seines Klienten, des Coachees. Er baut eine partnerschaftliche Beziehung zu seinem Coachee auf und leitet ihn durch die Phasen des Prozesses – von der Problemanalyse, der Definition von Zielen bis hin zur Entwicklung optimaler Lösungsstrategien. Der Fokus liegt auf der Lösung und nicht auf dem Problem.
Ein Coach berät nicht, er stellt seine eigene Meinung in den Hintergrund. Er verfügt über eine professionelle Methodenkompetenz wie zum Beispiel psychologisches Know-how, aktives Zuhören, eine intelligente Fragetechnik – im Idealfall gepaart mit einer Portion Empathie und Humor.
business-on.de: Wann ist ein Coaching im Vertrieb empfehlenswert?
Saskia Thiele: Zum Beispiel für Vertriebsmitarbeiter, denen von heute auf morgen „von oben“ neue Aufgaben übergestülpt werden. Dies ist oft der Fall bei Umstrukturierungen, deren Gründe und Auswirkungen den betroffenen Mitarbeitern meist nur schwammig mitgeteilt werden. Es besteht somit die Gefahr, dass sich die Mitarbeiter in einer Art „Schwebezustand“ befinden. Dauert dieser Zustand an, so können Zweifel, Ängste oder Widerstände gegen das Unbekannte entstehen, die den Gesundheitszustand schleichend negativ belasten.
Die Einbeziehung eines externen Coaches wäre hier empfehlenswert. Der Coach als Sparringpartner gibt dem Coachee Zeit und Raum für die Wahrnehmung seiner Gefühle. Ein Coach wird mit intelligenten Fragen den Coachee unterstützen, sich neue motivierende Ziele zu setzen und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Der Coachee wird sich während der Sitzung seiner eigenen Stärken und Fähigkeiten bewusst und nutzt die bereits vorhandenen Potenziale zur Entwicklung einer Lösungsstrategie. In der Regel bieten leider die wenigsten Unternehmen ihren Mitarbeitern die Einbeziehung eines externen Coaches an. Der Angestellte sucht eher als Privatperson den Coach seines Vertrauens auf.
business-on.de: Sollte eigentlich jeder Vertriebsleiter seine Mitarbeiter coachen?
Saskia Thiele: Nein, denn selbst wenn eine Führungskraft dies möchte: Grundsätzlich ist ein Coaching freiwillig, das heißt, eine Führungskraft kann seine Mitarbeiter nicht dazu zwingen. Und schon gar nicht ohne eine fundierte Coaching-Ausbildung, laufende Weiterbildungsmaßnahmen und Praxiserfahrungen. Ein erfolgreiches Mitarbeiter- oder Zielvereinbarungsgespräch ist übrigens noch lange kein Coaching.
Sollte der Vertriebsleiter tatsächlich über einen großen Werkzeugkoffer voller Coaching-Module verbunden mit Empathie und angeborener Intuition – verfügen, bräuchte er als Grundvoraussetzung immer noch die Akzeptanz seiner Mitarbeiter. Und hier wird’s kompliziert:
Auf der einen Seite möchte die Führungskraft in der Rolle als Vertriebsleiters die straffen Umsatzvorgaben erreichen und übte gerade gestern noch massiv Druck auf seinen Verkäufer aus. Auf der anderen Seite möchte er heute in der Rolle des neutralen Coaches in die tiefe Gefühlswelt seines Mitarbeiters eintauchen, gemeinsam persönliche und berufliche Probleme analysieren und anschließend im ressourcevollen Zustand („Flow“) Lösungsstrategien entwickeln. Gerade diesem Mitarbeiter wurden aber gestern noch seine schlechten Umsatzzahlen im Jour Fixe präsentiert. Um das Vertrauen des Mitarbeiters zu gewinnen, sucht er nun in seinem Koffer nach dem richtigen Coaching-Werkzeug, um eine partnerschaftliche Beziehung aufzubauen, welches aber wahrscheinlich mit dem „spitzen Werkzeug“ von gestern kollidieren wird. Der Konflikt besteht darin, dass der Vertriebsleiter unterschiedliche Rollen mit unterschiedlichen Zielausrichtungen einnimmt. Sein Interessenkonflikt ist vorprogrammiert, denn in der Rolle als Coach wird er gleichzeitig die Umsatzvorgaben fest vor Augen haben müssen.
Ein erfahrener Vertriebsmitarbeiter ist sich diesen Risiken und Auswirkungen auch bewusst. Selten würde er mit seinem Vorgesetzten über Grenzsituationen, Zweifel und Ängste im Privat- oder Berufsleben sprechen oder ihn gar in seine Kündigungsabsichten einweihen. Ein Coaching würde in diesem Fall nur an der Spitze des Eisbergs stattfinden, das Wesentliche bliebe jedoch im Inneren des Mitarbeiters verborgen. Oder noch schlimmer: Der Mitarbeiter baut bei sensiblen Fragestellungen einen Widerstand auf, der eine zukünftige Zusammenarbeit negativ beeinträchtigt, sowohl auf der Beziehungsebene wie auf der Sachebene.
Jeder Vertriebsleiter sollte sich zudem überlegen, wie viel Nähe er überhaupt zu seinen Teammitgliedern zulässt. Denn auch hier lauern Risiken: Das enge „Kuscheln“ und „Klüngeln“ in der Küche mit seinem Team könnte die Akzeptanz und Autorität als Führungskraft gefährden. In kniffligen Situationen könnte es schwer werden, Entscheidungen durchzusetzen und Aufgaben zu delegieren. Die Dosis „Distanz und Nähe“ sollte gut ausgewogen sein.
business-on.de: Vertriebsleiter, Hände weg von Coaching-Allüren?
Saskia Thiele: Ja, vom Coaching der eigenen Mitarbeiter! Aber das Erlernen intelligenter Kommunikations-Werkzeuge aus dem Repertoire des Coachings ist für jeden Vertriebsleiter eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Führung von Mitarbeitern.
Eine Führungskraft sollte zum Beispiel die Fähigkeit besitzen, von der vertrieblichen Fachebene auf die Prozessebene zu wechseln. Dies bedeutet, verschiedene Situationen aus der Perspektive des Mitarbeiters und aber auch des eigenen Vorgesetzten zu betrachten. Diese Fähigkeit bietet außerdem einen betriebswirtschaftlichen Vorteil: Aus der Sicht des Kunden lassen sich die Phasen einer Vertriebsstrategie überprüfen und optimieren.
Diese Kompetenz sollte jedem Vertriebsleiter in Seminaren und praktischen Übungen in Gruppen vermittelt werden – über alle Altersstufen hinweg. Und zwar bei guten Coaching-Instituten und nicht bei Personalmitarbeitern, die bisher nur ein Selbstfindungs-Wochenende in den Bergen besucht haben. Ein Buch über Kommunikationspsychologie und Persönlichkeitstests reicht übrigens auch nicht aus.
business-on.de: Was wäre die Zauberformel für eine erfolgreiche Personalführung für Vertriebsleiter?
Saskia Thiele: Eine Zauberformel gibt es nicht, da Führungskräfte das Wort „Führung“ unterschiedlich definieren. Denn oft spielt das Wort „Macht“ eine Rolle. Für die einen ist Macht die „Macht über mein Team“, für die anderen ist Macht die „Macht, gemeinsam im Team etwas zu erreichen“. Führung ist außerdem immer abhängig von den Geführten, also von der Zusammensetzung der Teammitglieder.
Ein Vertriebsleiter sollte den Vertrieb immer als System wahrnehmen und Maßnahmen ableiten. Die Aussage, je größer mein Vertriebsteam, desto höher der Umsatz, stimmt nämlich nicht unbedingt! Der Vertrieb setzt sich aus mehreren Mitarbeitern mit unterschiedlichen Bedürfnissen zusammen. Sie stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander, sind zudem noch intern und extern in anderen Systemen vernetzt. Diese Vernetzungen können das festgelegte Umsatzziel positiv oder negativ beeinflussen. Diese systemischen Gegebenheiten müssen Führungskräfte sich bewusst machen und in ihren Handlungen und Entscheidungen einbeziehen. Coaching-Kenntnisse helfen der Führungskraft, mit einem kritischen Blick über den Tellerrand hinaus Einflussfaktoren im Vertriebssystem zu analysieren und rechtzeitig zu reagieren.
Ein Vertriebsleiter muss auch in der Lage sein, sich selbst kritisch zu hinterfragen und sich mit seinem Selbst- und Fremdbild auseinanderzusetzen.
Fehlendes psychologisches Know-how, fehlendes Fachwissen, nicht realisierbare Zielvorgaben sowie fehlende Weiterentwicklungsmöglichkeiten sind übrigens Gründe für eine hohe Fluktuation in Vertriebsteams.
business-on.de: Was wünschen Sie sich von Vertriebsleitern?
Saskia Thiele: Statt Kontrolle mehr Förderung und Motivation der Mitarbeiter! Mehr aktives Zuhören und Fragen. Denn nur mit der Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, komme ich zu den richtigen Antworten. Fest steht: Ein Vertriebsleiter ist nur erfolgreich durch die Motivation seines Teams!
business-on.de: Frau Thiele, vielen Dank für das Interview.
— Saskia Thiele —
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