Den guten Adolph Freiherr Knigge (1752-1796) kennen (noch) viele Menschen, aber er ist und war nicht der Einzige, der sich mit dem Umgang der Menschen untereinander beschäftigt hat.
Es ist schon spannend zu beobachten, wie sich die Regeln verändern, wie neue entstehen und alte verschwinden und wie jede Generation der Ansicht ist, dass die Erziehung heute auch nicht mehr das ist, was sie früher einmal war.
Manche „Manieren“ überdauern Jahrhunderte
Menschen, die einen angenehmen Umgang miteinander pflegen wollten, gab es in der Vergangenheit viele.
Der französische König Ludwig XIV (1638-1715) ärgerte sich so über das Benehmen der Menschen an seinem Hof, dass er überall kleine Etiketten aufstellen ließ und so die ersten Etikette-Regeln schuf. Frankreich gilt als Erfinder der höfischen Etikette.
Aber schon zu Beginn der Neuzeit war es der Humanist Erasmus von Rotterdam, der als einer der Ersten allgemeingültige Regeln verfasste, wie junge Menschen sich benehmen sollten. Das Ganze natürlich in lateinischer Sprache und so nicht für jedermann zugänglich. Der Titel lautet „De civilitate morum puerilium – Über die Verfeinerung der kindlichen Sitten“. Schon hier geht es dem Autor, wie 250 Jahre später auch Adolph Freiherr Knigge, um den Toleranzgedanken. Auch wer alle Regeln beherrscht, darf nicht überheblich sein. Hier ein Zitat aus seinem Werk: „Der wichtigste Punkt der Höflichkeit ist der, dass Du (…) anderen ihre Verstöße leicht nachsiehst und Deinen Gefährten nicht deshalb weniger liebhast, weil er schlechtere Manieren hat. Es gibt nämlich Menschen, die die Ungeschliffenheit ihres Benehmens durch andere Gaben wettmachen“. Ein Satz der heute noch genauso aktuell ist wie vor fast fünfhundert Jahren.
Seit Erasmus von Rotterdam ist viel Zeit vergangen. Die Regeln und Vorschriften wurden immer umfangreicher und bestimmten einen großen Teil des Lebens.
Besonders bei den Tischsitten sieht man diese Entwicklung deutlich: Vom Essen mit den Fingern über Rülpsen und andere Geräusche, bis hin zur heutigen geräuscharmen Tafelkultur mit vielen unterschiedlichen Besteckteilen.
Natürlich konnten sich nur Menschen mit viel Zeit und Geld um die Verfeinerung ihres Benehmens kümmern
Nach dem zweiten Weltkrieg versuchte man die alten Verhaltensweisen wieder aufzugreifen. Aber die Zeit hatte sich verändert. Der Einfluss von Adel und besonders dem Militär nahm ab. Das Land musste wieder aufgebaut werden und die Menschen begannen, sich eine Existenz aufzubauen.
Es ist nicht besonders verwunderlich, dass in dieser Zeit eine Fülle von Ratgeber-Literatur entstand.
Man suchte nach Halt und Richtlinien im Umgang miteinander. Viele Buchtitel, wie auch die Themen darin, finden wir heute eher amüsant. Heute kommt es nicht mehr darauf an, in welche Richtung der Hut beim Grüßen abgenommen wird und an den Universitäten würde ein Student, der seine Kommilitonen siezt, wohl eher verwundert angesehen.
Mitte der 1960er-Jahre gab es eine kleine Revolution: Alle bisher geltenden Regeln wurden in Frage gestellt. Konventionen wurden abgelehnt, Umgangsformen waren verpönt und Kinder wurden antiautoritär erzogen. Von nun an nahm man die bis dahin geltende Etikette nicht mehr ganz so ernst.
Aus starren Regeln wurden im Laufe der Jahre Empfehlungen
Unterschiedliche Lebensstile existieren nun gleichberechtigt nebeneinander.
Wir haben erkannt, dass eine gewisse Form hilfreich sein kann und sich die Etikette- Empfehlungen durchaus als Spielregeln eignen um mit anderen Menschen einen angenehmen Kontakt zu pflegen. Mit dem französischen Dramatiker Jean Anouilh (1910-1987) gesprochen: „Wer die Form kennt, darf sie zerbrechen“.
Wer die Spielregeln beherrscht, nutzt sie zum Wohl des Anderen und nicht um ihrer selbst willen. So gewinnen wir Sympathien, treten sicher und souverän auf und haben Erfolg – im Privaten genauso, wie im Geschäftsleben.
Marlies Smits