Der Mensch kann sich Zukunft vorstellen und durch den Soli vorfinanzieren. Die Vision des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, die neuen Bundesländer „schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt“, hat mich den größten Teil meines Lebens begleitet.
Teil eins der Zukunftsvision hat geklappt. Davon konnte ich mich schon mehrmals paddelnderweise die Elbe runter überzeugen. Im Gegensatz zu Krefeld, Duisburg-Marxloh, Köln-Bilderstöckchen und der Kölner Straße in Düsseldorf sind die Städte sauber und aufgeräumt. Große Marktplätze sind umgeben von schmucken Altbauten.
Im Corona-Sommer erschien die Mitte Deutschlands noch einmal so verlockend als Urlaubsdestination. Und weil die Mecklenburger Seenplatte marketingmäßig so gehypt wurde, entschieden wir uns für eine 280 km-Wanderpaddeltour an der Unstrut, die Saale runter bis in die Elbe nach Magdeburg (nachzulesen bei blaues-band.de, wer kein eigenes Boot hat, kann sich eines vor Ort oder bei lettmann.de mieten).
Die meisten Tierarten sollen über kein Zukunftsbewusstsein verfügen. Das hat die Philosophin und Tierethikerin Ursula Wolf herausgefunden. Daraus lässt sich die Rechtfertigung ableiten, dass wir Tiere töten dürfen, wenn sie nicht unnötig leiden. Im Osten hat man vor der Wende sehr gerne Nutrias gegessen. Das weiß ich vom Wirt und Koch des Gasthauses „Zur Brücke“ in Alsleben an der Saale. Insbesondere deren Köpfe waren zu DDR-Zeiten eine echte Delikatesse und dazu noch günstig. Nach der Wende war es aus mit diesen kulinarischen Besonderheiten. Die Nutrias wurden freigelassen. Einige schwammen vor mir in der Saale. Aus einem ehemaligen Nutztier ist ein echtes Landlebewesen geworden. Landlebewesen sollen nämlich – so die jüngste Idee der Tierrechtsorganisation PETA – jene Tiere heißen, die wir essen, um das unselige Wort „Nutztiere“ abzulösen. Grundsätzlich ein guter Ansatz wie auch die Aktion der Tierschützer in der letzten Woche, eine täuschend echt aussehende Hundeattrappe auf dem Schadowplatz zu grillen, um für die alltägliche Doppelmoral zu sensibilisieren. Aber was hilft es den Tieren, die wir zur Fleischproduktion nutzen, wenn sie Landlebewesen heißen, aber nie in den Genuss frischer Landluft kommen außer an dem Tag ihres Schweinelebens, an dem es in den Schlachthof geht?
Die Arbeit an der Zukunft
Zurück zum Osten. Alle, die nicht „rübergemacht haben“, wie der Wirt des Gasthauses, müssen sich viel einfallen lassen, nicht nur zu Corona-Zeiten. Er führt das Haus mit seiner Frau und weil es nicht genügend Gäste in dem 2.500 Seelen-Städtchen gibt, beliefert er rund 100 Seniorinnen und Senioren mit Mittagessen. Obwohl es keinen einzigen Corona-Fall in Alsleben gab, achtet er streng auf die Hygiene- und Abstandsregeln. Er weiß ganz genau: ein einziger Fall und er kann seinen Laden dichtmachen.
Geht alles glatt, könnte Mitteldeutschland von Corona wirtschaftlich profitieren. Noch sind Merseburg, Freyburg mit dem Dom und der Sektkellerei Rotkäppchen, das Weinanbaugebiet Saale-Unstrut, Naumburg mit der schönen Uta ebenso das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle, in dem die Himmelsscheibe von Nebra aus der Frühen Bronzezeit ausgestellt ist, ein touristischer und kultureller Geheimtipp. Leben ließe es sich schon heute gut dort. Fehlt nur noch der zweite Teil der Kohlschen Vision, dass die Arbeit in den blühenden Landschaften sich auch wieder lohnt.
Susan Tuchel
Bildquellen
- tuchel_uta_keramikkopf_naumburg: Textpublik