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EU-Richtlinie zur Plattformarbeit – viele Fragen offen

Menschen, die über digitale Plattformen arbeiten, sollen künftig durch eine EU-Richtlinie bessere Arbeitsbedingungen bekommen und sozial besser abgesichert werden. Das EU-Parlament hat Anfang Februar 2023 seine Position zur geplanten Richtlinie zur Regulierung der Plattformarbeit festgelegt. Der Digitalverband Bitkom begrüßt eine einheitliche Regelung und fordert zugleich klare Kriterien für die Abgrenzung von Arbeitnehmerstatus und Selbstständigkeit. Der Verband der Gründer und Selbstständigen e.V. kritisiert, dass die EU für die Erarbeitung der Richtlinie fragwürdige Zahlen in Bezug auf Plattformbeschäftigte und damit einhergehend möglicher Scheinselbstständigkeit zugrundelegt.

EU-Flaggen vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Foto: Favorit-Media-Relations GmbH

Die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit „soll sicherstellen, dass Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, den rechtmäßigen Beschäftigungsstatus erhalten, der ihren tatsächlichen Arbeitsregelungen entspricht“, heißt es auf der Webseite des Europäischen Rats und Rats der Europäischen Union. Konkret geht es dabei um die Frage: Ist ein Plattformarbeitender angestellt oder selbstständig tätig? Die Richtlinie soll Kontrollkriterien bieten, um zu prüfen, inwieweit es sich bei einer Plattform um einen „Arbeitgeber“ handelt – und damit den Personen, die für diese Plattform arbeiten, als Angestellten entsprechende Arbeitnehmerrechte und soziale Recht zustehen. Plattformen müssen gegebenenfalls nachweisen, dass kein Beschäftigungsverhältnis vorliegt.

Digitalverband Bitkom zur EU-Richtlinie zur Plattformarbeit

Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder erklärt: „Plattformarbeit braucht einen EU-weit einheitlichen Regulierungsrahmen, der unerwünschte Entwicklungen verhindert, ohne diese neue Form der Arbeit abzuwürgen. Wer über digitale Arbeitsplattformen arbeitet, muss genau wissen, welche arbeitsrechtlichen und sonstigen Bedingungen gelten. Und wer über Plattformen Aufträge, Aufgaben oder Jobs anbietet, muss die juristischen Konsequenzen schnell und sicher erfassen können. Dies muss auch das Ziel der anstehenden Trilog-Verhandlungen sein.“

Der Digitalverband begrüße grundsätzlich, dass die Plattformarbeit in der EU einheitlich geregelt werden soll. Der Anpassungsbedarf am Richtlinienentwurf sei jedoch noch groß: „Insbesondere die Frage, wann ein Arbeitsverhältnis zwischen einer Plattform und den Plattformtätigen besteht, muss klarer herausgearbeitet werden und viel mehr auf Marktrealitäten eingehen. Menschen, die über Plattformen arbeiten, tun dies oftmals mit großer Flexibilität, für unterschiedliche Zeiträume und Lebensphasen, neben einem Hauptberuf, während des Studiums oder im Ruhestand. Viele sind gleichzeitig über mehrere Plattformen aktiv.  Für die überwiegende Mehrheit stellen die so erzielten Verdienste eine zusätzliche Einkommensquelle dar. Einigen dient die Tätigkeit auf Plattformen als Sprungbrett in die Selbstständigkeit, für viele Selbstständige und Freiberufler ist sie ein zusätzlicher Vertriebskanal. Die Richtlinie zur Plattformarbeit muss daher sicherstellen, dass für echte Selbstständige die geplante Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses nicht gilt. Hierfür ist es wichtig, dass eine widerlegbare Vermutung des Beschäftigungsverhältnisses an die Erfüllung klarer Kriterien geknüpft und nicht quasi-automatisch ausgelöst wird. Diese Kriterien müssen sich auf die eindeutigen Fälle der Scheinselbstständigkeit konzentrieren.“

Rohleder hebt hervor: „Über Online-Plattformen vermittelte Jobs sind niedrigschwellig zugänglich, flexibel in der Ausführung und bringen Angebot und Nachfrage sehr viel effizienter zusammen, als es bei klassischen Formen möglich wäre – und das grenzüberschreitend. Genau diese Vorteile werden von vielen, die Plattform-Jobs suchen, geschätzt. Sie wollen flexibel, abwechslungsreich und selbstbestimmt arbeiten. Es ist nun an EU-Parlament, Kommission und Rat, diesen Anspruch regulatorisch abzubilden.“

Quelle: Bitkom-Pressemitteilung vom 2. Februar 2023

Verband der Gründer und Selbstständigen e.V. (VGSD) kritisiert: EU arbeitet bei geplanter Richtlinie zur Plattformarbeit mit fragwürdigen Zahlen

Der VGSD bemängelt: „Die Studie, die dem Gesetzesvorhaben der EU zur Plattformarbeit zugrunde liegt, enthält zahlreiche Schätzungen, die obere Grenzwerte sind. Obwohl die Autoren der Studie selbst darauf hinweisen und die Zahlen nicht plausibel sind, werden sie in Politik und Medien ohne entsprechende Einordnung weiterverbreitet.“

Gerade habe der Parlamentsentwurf der geplanten EU-Richtlinie zur Plattformarbeit das EU-Parlament passiert. Wieder einmal sei dabei von 28,3 Millionen Plattformbeschäftigten die Rede und von bis zu 5,5 Millionen Menschen, die ‚dem Risiko einer falschen Einstufung des Beschäftigungsstatus ausgesetzt‘ (also scheinselbstständig) sein könnten. Diese Zahlen entstammen der Folgenabschätzung (‚impact assessment‘), die die EU-Kommission vom litauischen Politikberatungsinstitut PPMI anfertigen ließ.

Zwei Drittel aller Solo-Selbstständigen scheinselbstständig?

Der VGSD rechnet vor: „Nimmt man an, dass sich die Gruppen entsprechend der Zahl der Erwerbstätigen gleichmäßig auf die 27 EU-Staaten verteilen, entfielen auf Deutschland 6,7 Millionen Plattformbeschäftigte und 1,3 Millionen Scheinselbstständige. Das wären mehr als dreimal so viele Plattformbeschäftigte, wie es Solo-Selbstständige gibt (nämlich knapp zwei Millionen). Zwei Drittel aller Solo-Selbstständigen wären zudem scheinselbstständig! Die Autoren der Studie weisen selbst mehrfach darauf hin, dass die Zahl der Plattformbeschäftigten in der Studie zu hoch ausfallen könnte, weil diese online durchgeführt wurde. Das könnte zu einer starken Selbstselektion geführt haben. Zudem zählen zu den 28,3 Millionen Plattformbeschäftigten alle Befragten, die mehr als nur ‚sporadisch‘ für Plattformen arbeiten. Schon ein paar Stunden im Monat machen eine Person also zur Plattformbeschäftigten. Auch bei der Schätzung der Zahl der Scheinselbstständigen schreiben die Autoren, dass die Umfrage ‚nicht unbedingt die verlässlichsten Daten‘ hervorbringen könnte. Ein Beispiel: Im zweiten Quartal 2020 waren in Frankreich 141.000 Kleinstunternehmer im Transport- und Liefersektor gemeldet. Die PPMI-Umfrage (S. 76) schätzt für denselben Bereich 505.000 Plattformbeschäftigte – also mehr als dreimal so viele. ‚Es ist wahrscheinlich, dass die Studie die Zahl überschätzt‘, schreiben die Autoren.“

In der Öffentlichkeit entsteht ein falsches Bild

Die Hinweise der Forschenden darauf, dass die Zahlen zu hoch liegen könnten, seien in der Studie immer wieder deutlich. Doch diese Warnungen seien öffentlich nie aufgegriffen worden. Dies habe für freiwillig und gern Selbstständige schon jetzt negative Auswirkungen. „Die geplante Richtlinie führt zu einer Verunsicherung bei Auftraggebern, durch die hochqualifizierte, fair bezahlte und freiwillig Selbstständige in großer Zahl Aufträge verlieren“, sagt Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland.

Der VGSD kritisiert die unüberlegte Übernahme der Zahlen: „Nicht zwei Drittel aller Solo-Selbstständigen sind scheinselbstständige Fahrradkuriere – dieser Eindruck wird aber in der Öffentlichkeit erweckt“, sagt Lutz.

Quelle: VGSD-Pressemitteilung vom 6. Februar 2023

 

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