Ich schaue die junge Frau erstaunt an. Wirklich hübsch ist sie nicht, und außerdem noch viel zu stark geschminkt. In ihrem blauen Kostüm sieht sie aus, als hätte sie sich auf dem Weg zu einer Karnevalsveranstaltung verlaufen. Und nun fragt sie mich hier mitten in Karstadt vor den Rolltreppen, ob ich in Deutschland wohne.
„Wir haben eine Aktionswoche. Mit der Kundenkarte erhalten Sie 10 Prozent auf alle Produkte“, näselt sie weiter und breitet vor mir einen Flyer aus. „Voraussetzung ist nur, dass Sie über 18 sind und in Deutschland wohnen.“
Sie hat es geschafft, ich bin stehen geblieben. Was für eine Leistung – ohne genauer nachzufragen hat sie erkannt, dass ich über 18 bin. Auf dem Flyer ist das Logo einer Kredit-Karten-Firma zu sehen.
„Ist die Kundenkarte auch eine Kreditkarte?“, frage ich.
„Ja, die ist mit dabei.“
Diese Stimme … Sie leiert ihre Antworten herunter, als wäre jedes Wort auswendig gelernt – ist es wahrscheinlich auch.
„Ich möchte aber gar keine Kreditkarte haben“, sage ich ruhig.
„Warum das denn nicht?“ Ihre Stimme klingt auf einmal wacher, aber auch verwirrt. War sie auf diese Antwort tatsächlich nicht vorbereitet? Ihre „Warum-Frage“ stößt bei mir übel auf. In etlichen Fortbildungen habe ich immer wieder gelernt, dass man sie in Verkaufs- und Beratungsgesprächen möglichst nicht stellen soll. Sie führt häufig dazu, dass bei den Befragten der Eindruck entsteht, sie müssten sich rechtfertigen. Mir geht es in diesem Moment genauso. Die gute Frau scheint in ihrer Schulung nicht aufgepasst zu haben – oder sie hat diesen Teil vergessen. Auf jeden Fall finde ich sie jetzt richtig hässlich.
„Aber so können Sie doch viel einfacher im Internet eine Reise buchen.“ Ihr Versuch, mich doch noch zu ködern, misslingt.
„Ich habe kein Internet“, lüge ich.
Schade, sie gibt auf. Wer weiß, vielleicht hätte ich ihr sonst noch erzählt, dass ich nicht reise, Konsum weitgehend ablehne und meine Lebensmittel überwiegend aus den Mülltonnen sammel, die vor den Supermärkten stehen. Das stimmt zwar alles nicht, aber ihre Reaktion hätte mich schon interessiert.
Stattdessen faltet sie wortlos den Flyer zusammen, verabschiedet mich kurz und wendet sich dann dem nächsten Kunden zu.
„Wohnen Sie in Deutschland?“
–Andreas Ballnus —
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ZUM AUTOR
Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Außerdem ist er Gründungs- und Redaktionsmitglied der Stadtteilzeitung „BACKSTEIN“. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl
Bildquellen
- Andreas Ballnus: Sebastian Lindau