Rosenkäfer, Zwergspinne oder gerade eben die Honigbiene: Julia Stoess gestaltet Insekten- und Gliederfüßermodelle für Ausstellungen und naturkundliche Museen im In- und Ausland. Mit ihren stark vergrößerten, originalgetreuen Modellen will sie dazu beitragen, dass Menschen die kleinen Lebewesen schätzen und schützen lernen.
Julia Stoess habe ich vor etwa zehn Jahren kennengelernt – vermutlich auf einer Veranstaltung der Handelskammer Hamburg, so genau wissen wir das beide nicht mehr. Dann haben wir uns aus den Augen verloren. Bis jetzt, wo mir ihre Arbeit, wie so oft gerade im Sommer, wieder in den Sinn kam und ich sie anrief. Das tiefe Interesse der Diplom-Designerin für die Welt der Insekten, die sie mit wissenschaftlicher Genauigkeit gestaltet, ist mir gut in Erinnerung geblieben. Ebenso wie die faszinierend lebendig wirkenden Modelle in ihrem Atelier in Eppendorf, die in ihrer 20-, 30- oder auch mal 80-fachen Vergrößerung so anschaulich zeigen, welche Wunderwerke die Winzlinge der Tierwelt sind.
Insekten in der Natur zogen sie schon früh in Bann
Hauptberuflich befasst sich Julia Stoess seit 2004 mit der Gestaltung von Gliederfüßer- und Insektenmodellen. Zuvor hat sie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg Kostümdesign studiert und 15 Jahre als Kostümbildnerin im Bereich Film und Fernsehen gearbeitet. „Ich war aber schon immer viel in der Natur und beeindruckt von den erstaunlichen Lebensweisen und Überlebensstrategien der Insekten“, erzählt Julia Stoess. „Deshalb habe ich auch schon früh angefangen, Spinnen und Insekten zu zeichnen und zu modellieren.“ Später vertiefte sie ihre entomologischen Kenntnisse und spezialisierte sich freiberuflich auf den detailgetreuen Insektenmodellbau in großem Maßstab.
Gerade erst hat Julia Stoess eine wunderschöne Honigbiene (Apis mellifera) im Maßstab 40:1 für das Naturkundemuseum im schweizerischen Lugano gebaut. Die Biene trinkt an einem Wassertropfen. Ihre Mundwerkzeuge sind in dem 40 Zentimeter langen Modell deutlich zu sehen. Die Szene wirkt sehr anrührend. Nachfragen von Museen nach Honigbienen habe es schon öfter gegeben, sagt sie. Aber sie habe lange gezögert, einen Auftrag anzunehmen: „Diese Bienen sind stark behaart und jedes Härchen muss sorgfältig einzeln eingearbeitet werden.“
Die Honigbiene als „Leatherman“ unter den Insekten
Ein halbes Jahr hat der Schaffensprozess gedauert und man spürt, dass ihr Herz an dem Werk hängt: „Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, wie viele Aufgaben allein die Beine einer Honigbiene wahrnehmen können. In diesem Sinne ist sie für mich der „Leatherman“, das Multifunktionstalent unter den Insekten.“ Zudem sei die Biene vermutlich das wichtigste Tier überhaupt für uns Menschen. Vor wenigen Tagen hat Julia Stoess ihre Honigbiene nun persönlich in der Schweiz überreicht: „Oft berate ich noch vor Ort, was die Beleuchtung oder den Kontext betrifft, in dem ein Modell gezeigt wird.“
Mit jeder Arbeit will Julia Stoess eine Geschichte erzählen, „die eine Zehntelsekunde aus dem Leben des Insekts aufgreift“. Das kann eine Räuber-Beute-Szene sein oder ein Maikäfer kurz vor dem Abflug. Dafür recherchiert sie viel, liegt stundenlang im Gras und beobachtet die Tiere. Weil die wissenschaftliche Genauigkeit für sie unverzichtbar ist, holt sich die Hamburgerin immer einen Wissenschaftler an ihre Seite, der auf das jeweilige Tier spezialisiert ist – einen Mückenexperten oder einen Fachmann für Zikaden oder Zwergspinnen etwa.
Museen und zunehmend Privatleute geben Modellbauten in Auftrag
Mehr als 30 Naturkundemuseen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Finnland sind bisher ihre Kunden. Auch aus den USA kommen vermehrt Anfragen. Die Gemeine Florfliege, Höhlenkäfer, Feldmaikäfer, Plattbauch-Libelle, Stechmücke, Sandlaufkäfer, die Asiatische Tigermücke, die Wespenspinnen-Kopula, der heimische Winzling Zwergspinne und der Hundertfüßer gehören zu den Tieren, die es schon in ihr Portfolio geschafft haben. Mehr als zwei Dutzend unterschiedliche Insekten hat sie bereits modelliert, viele mehrfach. Zu sehen auf ihrer Webseite www.insektenmodelle.de. 2008 wurde Julia Stoess für ihre Kunstfertigkeit in Salzburg mit ihrem Maikäfermodell (Maßstab 10:1) als Vizeweltmeisterin der Präparatoren ausgezeichnet.
In letzter Zeit kommen auch Aufträge von Privatleuten, die sich ein besonderes Ausstellungsstück wünschen. Jüngstes Beispiel ist eine rote Waldameise (Formica rufa), die anmutig einen Löwenzahnsamen trägt. Sie steht auf einer 35 x 35 Zentimeter großen Grundplatte. Das Modell ist insgesamt etwa 60 Zentimeter hoch. Für das Zoologische Museum in Hamburg fertigt Julia Stoess dieses Ameisenszenario in einer großen Version: Es wird etwa ein Meter lang und 2,50 Meter hoch sein. Ab Herbst 2016 wird die Riesen-Waldameise dann von den Museumsbesuchern zu bewundern sein!
Brigitte Muschiol
Bildquellen
- portraet_julia_stoess_web: privat