Manchmal
Manchmal möchte ich mich auf den Weg machen. Einfach so. Ohne Ankündigung. Als würde ich in einen Zug steigen und losfahren. Irgendwohin. Darauf vertrauen, dass ich ankommen werde. Am richtigen Ziel. Dort, wo ich zu Hause bin. Endlich.
Manchmal möchte ich mich auf den Weg machen. Dann setze ich mich hin und denke über Wege und Ziele nach und darüber, dass ich mich manchmal auf den Weg machen möchte.
Himmelszeichen
Durch die graue Wolkendecke hindurch schickt der liebe Gott ein Spotlight auf die Erde hinunter. Es strahlt genau dein Haus an, so als wolle es mich dazu auffordern, endlich den nächsten Schritt zu tun, dich anzusprechen, auf einen Kaffee einzuladen oder sonst irgendwas zu unternehmen.
Doch ich bin weiterhin zögerlich, bestaune dein angestrahltes Heim, das sich glänzend aus dem grauen Häusermeer hervorhebt. Anstatt die Straße zu überqueren, um einfach mal bei dir zu läuten, überlege ich, wie man dieses Bild, das der Himmel gerade malt, am besten mit dem Fotoapparat einfangen könnte – wenn ich denn einen bei mir hätte.
Kurz darauf knipst der liebe Herrgott den Spot wieder aus. Dein Haus reiht sich ein in die graue Kulisse eines bewölkten Spätnachmittags. Die letzten Lichtflecken in der Wolkendecke ziehen sich zusammen, so dass der Abend eine Stunde zu früh beginnt. Dann treibt mir auch schon der böig aufkommende Wind die ersten Regentropfen ins Gesicht. – Und wenig später stehe ich wieder einmal da wie ein begossener Pudel.
Mitten auf der Straße
Ich gehe gerne mitten auf der Straße entlang. Einbahnstraßen eignen sich besonders gut – am besten entgegengesetzt der Fahrtrichtung. So sieht man rechtzeitig den entgegenkommenden Verkehr. Vor allem mag ich aber die großen, breiten Hauptstraßen. Leider bietet sich viel zu selten die Gelegenheit, mitten auf einer Autobahn oder über andere mehrspurige Straßen zu schlendern – ich bin ja nicht lebensmüde.
Nachts ist es am schönsten. Dann sind keine anderen Menschen unterwegs. Dann gehören die Straßen mir alleine. Dann genieße ich das Gefühl von Weite, mitten auf der Fahrbahn unter dem nächtlichen Himmel.
Ein anderes Mal schlendere ich durch die engen Gassen einer Altstadt. Alles ist so anheimelnd und vertraut. Ich fühle mich sicher und geborgen. Doch irgendwann stockt mir der Atem. Diese Enge kenne ich, da komme ich her. Die Geborgenheit wird zum Gefängnis. Ich möchte raus. Die Weite lockt mit Freiheit. Eine Freiheit, in der ich mich verlieren könnte. Davor fürchte ich mich. Und doch will ich dort hin! In die Mitte der Straße. Unangepasst auf neuen Wegen gehen und neue Lebensgefühle entdecken.
Ausbruch
„Ach du Scheiße, jetzt habe ich was kaputt gemacht!“, dachte der Schmetterling und überlegte, wie er den Schaden wieder beheben könne.
Er ahnte nicht, welch prächtige Entfaltung vor ihm lag, als er durch eine unbedachte Bewegung seines linken Flügels den ihn umhüllenden Kokon einriss.
– Andreas Ballnus —
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ZUM AUTOR
Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Außerdem ist er Gründungs- und Redaktionsmitglied der Stadtteilzeitung „BACKSTEIN“. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl
Bildquellen
- Andreas Ballnus: Sebastian Lindau
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