Hektische Weihnachtsgeschenkeinkäufer kämpfen sich durch überfüllt-stickige Kaufhäuser. Ich bin einer von ihnen. Wieder mal – und das entgegen aller guten Vorsätze aus den letzten Jahren. Nie wieder wollte ich mich in diesen Rummel stürzen, sondern bereits im Sommer und Herbst den Kauf der Geschenke erledigen.
Es ist die Zeit, in der Kassiererinnen von Supermärkten alberne Weihnachtsmannmützen tragen müssen, und sich Konservenweihnachtsmusikgedudel mit Hinweisen auf Dosengemüse und den Suchmeldungen nach einer der Weihnachtsmannmützenträgerinnen abwechselt. Die Schokoladenweihnachtsmänner in den Regalen haben den warmen Spätsommer im September noch erlebt und gut überstanden. Das Haltbarkeitsdatum gewährt auch weiterhin genügend Wartezeit. Weihnachtsmärkte schießen wie Pilze aus den Böden der Rathausplätze, und glühweinbeseelte Kegelklubschwestern und -brüder schlendern wahnsinnig witzig rotbemützt oder mit kleinen Rentiergeweihen versehen durch die überquellenden Fußgängerzonen.
Zu Hause mischt sich tränentriefende Post von gutmeinenden Hilfsorganisationen unter meine noch nicht gezahlten Rechnungen für die bereits bestellten und zugesandten Weihnachtsgeschenke. Wie jedes Jahr werden auf den Radiosendern „Driving Home for Christmas“ und all die anderen weihnachtlichen Stimmungslieder rauf und runter gespielt, unterbrochen von Hinweisen auf den nahen Supermarkt, in dem man unter anderem günstig Dosengemüse erwerben kann. Nur die selbst aufgelegte Musik bietet in dieser Zeit Rettung. Im Fernsehen huldigen Jahresrückblicke den Katastrophen der letzten Monate und lassen am Verstand der Menschheit zweifeln. Lichterketten in den Fenstern der Nachbarn morsen unverständliche Botschaften in die nass-kalte Nacht. Und hinter vielen dieser Fenster plant man verbissen die Tage des Festes der Liebe – wann werden welche Eltern besucht, was soll es zum Essen geben, und wem muss man unbedingt noch ganz schnell einen Weihnachtsgruß schreiben.
Die Menschenmassen schieben mich weiter. Ich bin in Eile, möchte schneller gehen. Doch das geht nicht – es ist zu eng, zu viele Menschen um mich herum. Am liebsten würde ich losbrüllen.
Doch plötzlich ist da dieser Mann mit dem Akkordeon. Er sitzt vor einer der Boutiquen und spielt Weihnachtslieder. Ein paar Kinder stehen staunend um ihn herum. Ihre Eltern lächeln und geben ihnen Münzen, die sie in den Akkordeonkasten werfen.
Auf einmal bin ich ganz ruhig, werde wehmütig und denke zurück an längst vergangene Vorweihnachtszeiten. Ich frage mich, ob es verklärte Kindheitserinnerungen sind – Erinnerungen an den Duft von frisch gebackenen Plätzchen, an selbstgebastelten Weihnachtsschmuck, Schneeflocken, die leise gegen das Fenster wehen, rasende Schlittenabfahrten und eine heimelige Unruhe.
Sind das wirklich nur Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit? Hat sich die Welt dermaßen geändert, dass es dies alles kaum noch gibt? Oder habe ich mich so verändert, dass kein Platz mehr für diese Dinge in meinem Leben ist?
–Andreas Ballnus —
_________________________
ZUM AUTOR
Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor. Außerdem ist er Gründungs- und Redaktionsmitglied der Stadtteilzeitung „BACKSTEIN“. Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl
Bildquellen
- Andreas Ballnus: Sebastian Lindau