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Kolumnen & Glossen

Kolumne „Kann passieren …“ – Kinder-Leben

Für diese Ausgabe seiner Kolumne stellte unser Autor Andreas Ballnus mehrere Erlebnisse zusammen, die er mit Kindern hatte. Bei manchen war er stiller Beobachter und Zuhörer, bei anderen direkt involviert. Diese Begegnungen brauchte er nicht weiter ausschmücken, sie sprachen für sich, regten ihn aber zu dem einen oder anderen weitergehenden Gedanken an.

Sonntagsausflug

Sie hat sich hübsch gemacht: weißer Pulli, schwarze Hose, dunkle Weste, glänzende Schuhe, eine Blume im glattgebürsteten Haar. Das Mädchen ist etwa sechs Jahre alt. Zusammen mit ihrem Vater und den zwei Brüdern geht sie im Park spazieren. Aber sie geht nicht – sie läuft, tollt herum, lacht.
Von einem grasbewachsenen Hügel rollt sich einer der Brüder herunter.
„Bravo!“, ruft der Vater.
Sie will das auch machen.
„Nein“, sagt der Vater. „Bleib hier!“
„Aber warum denn?“
„Du hast deine hübschen Klamotten an. Da saust du dir die weißen Ärmel ein und kriegst Grasflecken auf der Hose.“
„Aber er …“
„… er hat Jeans an. Außerdem bist du ein Mädchen.“
Schmollend trottet sie neben dem Vater weiter, während sich ihr Bruder erneut den Hügel herunterrollt – und ich mich unangenehm in meine Kindheit zurückversetzt fühle, in der sich Mädchen grundsätzlich nicht schmutzig machen durften.

Möwen

„Schau mal, ein Schwarm Möwen!“ Die Mädchenstimme gehörte zu einem der Kinder, die im Restaurant mit ihren Eltern hinter mir am Nebentisch saßen.
Ich kam ins Grübeln. Ein Schwarm Möwen? Seit wann fliegen Möwen im Schwarm? Rotten sie sich nicht eher zu gierig kreischenden Horden zusammen, wenn sie auf See ein Fischerboot begleiten? Wann spricht man überhaupt von einem Schwarm? Ich sah jetzt zumindest gerade mal fünf Möwen, die im stürmischen Wind zwischen den Dünen herumflogen.
Ein Schwarm Möwen – das hörte sich im ersten Moment richtig klug an. Je länger ich jedoch über diese Worte nachdachte, entwickelte sich in mir ein Gefühl, als ob da irgendetwas nicht ganz stimmig wäre. Aber da ich kein Fachmann bezüglich Möwenzusammenrottungen bin, blieb eben nur diese vage Ahnung, dass soeben mit klugen Worten nicht ganz korrektes Zeug geredet wurde – aber süß, da es aus Kindermund entsprang.
Unabhängig davon, ob das nun gerade richtig formuliert oder leicht daneben war, kenne ich dieses Gefühl der Verwirrung aus völlig anderen Zusammenhängen heraus. Auch bei Politikern geht es mir manchmal so, wenn sie etwas sagen – da klingt es bloß nicht so niedlich.

Autsch oder nicht autsch

Eine Familie schlendert durch die Fußgängerzone. Aber eigentlich sind es eher die Eltern, die schlendern, während ihre beiden Kinder umherlaufen. Der Junge und das Mädchen scheinen gleichalt zu sein, wahrscheinlich Zwillinge, etwa fünf Jahre alt. Durch das Herumtoben sind die beiden hinter ihren Eltern ein Stück zurückgeblieben. Nun laufen sie zu ihnen. Kurz bevor das Mädchen diese erreicht hat, fällt es hin. Die Kleine bleibt weinend liegen und die Mutter hilft ihr auf. Dann nimmt der Vater sie in die Arme, trägt sie ein Stück und tröstet sie derweil.
Nun erreicht auch der Junge seine Eltern und stolpert an der gleichen Stelle. Ich muss über diese Parallelität grinsen. Doch im Gegensatz zu seiner Schwester bleibt er nicht liegen, sondern steht sofort auf, wischt sich die Hände ab und geht weiter.
Und nun komme ich aus dem Grübeln nicht heraus. Hatte sich das Mädchen wirklich mehr verletzt? War es empfindlicher als sein Bruder? Hatte der Junge schon zu oft gehört, dass Jungs nicht weinen? Oder war die Kleine einfach nur cleverer, weil sie genau wusste, dass Papa sie tragen wird, wenn sie hinfällt und weint?

Entwarnung

Hamburg, U1, Station Wandsbek Markt, eine Mutter während des Aussteigens zu ihrem etwa 5jährigen Sohn:
„Schatzi, wir gehen zu einem AMT, nicht zu einem ARZT. Im Amt arbeiten Beamte. Die dürfen keine Spritzen geben. Du brauchst also keine Angst haben. Wenn ein Beamter mit einer Spritze kommt, ist das Körperverletzung!“

Morgens im Bus

Morgens, kurz vor acht Uhr in einem Linienbus in Hamburg. Schulkinder sind eingestiegen. Es sind vor allem jüngere Kinder – erste und zweite Klasse, vermute ich. Kurz nachdem der Bus wieder angefahren ist, geht ein kleines Mädchen nach vorne. Sie ist vermutlich gerade mal sechs Jahre alt. Ihre Stimme ist im ganzen Bus zu hören.
„Duhu, Busfahrer, da hat einer gesagt, du bist ein Wichser – und der ist hier noch im Bus!“
Eine kurze Pause entsteht. Doch der Busfahrer schien etwas gesagt zu haben. Das Mädchen geht wieder zurück in den mittleren Teil des Busses. Auf dem Weg dorthin ruft sie:
„Du sollst nach vorne kommen und es ihm direkt ins Gesicht sagen!“
Stille.
„Na, geh doch! Oder hast du Angst?“
Nicht nur ich drehe mich um. Ein Junge, vielleicht ein oder zwei Jahre älter als das Mädchen lehnt an der verschlossenen Tür.
„Lass mich in Ruhe!“, murmelt er.
„Der hat wirklich Angst!“, schallt die Stimme des Mädchens erneut durch den Bus, der kurz danach anhält. Die Türen öffnen sich und die Kinder stürmen nach draußen – allen voran ein Junge mit hochrotem Kopf.

Der Grillabend

Geburtstagsfeier bei einem Freund. Es wird gegrillt. Seine beiden Söhne, acht und zehn Jahre alt, sind mit dabei.
Einige Würstchen und Steaks später, fragt mich der Zehnjährige, wie viel ich denn schon gegessen hätte. Ich überschlage grob die Menge und sage sie ihm.
„Das ist ja mehr, als ich gehabt habe“, meint er überrascht, um dann aber triumphierend hinzuzufügen: „Ich hatte dafür aber mehr Brot als du – also steht es unentschieden!“
Für einen Moment kann ich meinen Mund nicht halten und lasse mich auf den Wettkampf ein. „Ich habe aber wesentlich mehr Salat gegessen als du“, sage ich grinsend.
Geschlagen zieht der Lütte davon. Doch nach kurzer Zeit sehe ich, wie er sich eifrig über den Nachtisch hermacht – immer einen wachsamen Blick auf mich werfend. Ich habe genug und verzichte. Dann steht er plötzlich wieder neben mir.
„Jetzt steht es aber unentschieden – du hast keinen Nachtisch gegessen.“
Ich nehme das Patt großzügig an.
Zwanzig Minuten später. Der Junge war kurz zuvor eilig im Haus verschwunden. Jetzt kommt er verlegen grinsend zurück.
„Okay, du hast gewonnen – ich musste mich gerade übergeben.“

 

–Andreas Ballnus —

_________________________

ZUM AUTOR

Andreas Ballnus
Jahrgang ’63, Liedermacher und Autor.  Unter dem Nick „anbas“ hat er in dem Literaturforum „Leselupe.de“ eine Vielzahl seiner Texte veröffentlicht. Er lebt in Hamburg und verdient sein Geld als Sozialarbeiter im öffentlichen Dienst. Weitere Informationen: andreasballnus.de.tl

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Kolumne Kann passieren

KOLUMNE KANN PASSIEREN

Andreas Ballnus erzählt in seiner Kolumne „Kann passieren“ reale Begebenheiten, fiktive Alltagsgeschichten und manchmal eine Mischung aus beidem. Diese sind wie das Leben: mal humorvoll, mal nachdenklich. Die Geschichten erscheinen jeweils am letzten Freitag eines Monats in business-on.de.

Hier finden Sie eine Übersicht aller Beiträge, die von Andreas Ballnus erschienen sind.

Interview: 100 x Andreas Ballnus

Lesen Sie auch die  Buchbesprechung zur Antologie „Tierisch abgereimt“.

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