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Nachhaltigkeit als strategische Management-Aufgabe – zwischen Greenwashing, jutebasiertem Ökoverständnis und Industriehype

Nachhaltigkeit ist zum internationalen Börsenthema avanciert. Das wirtschaftliche Wachstum vieler internationaler Unternehmen limitiert sich jedoch zunehmend durch deren Verhalten hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit, Umgang mit Ressourcen und Respekt vor der Umwelt. Die renommierte Expertin für ökonomisch-ökologische Strategien in der Verpackungsindustrie, Carolina Schweig, beschreibt die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit als strategische Managementaufgabe.

Carolina Schweig. Foto: C.E.Schweig

Nachhaltigkeit oder Sustainability – der Begriff der vergangenen Jahre dümpelt heute im Bermudadreieck zwischen Greenwashing, jutebasiertem Ökoverständnis und neuem Industriehype. Die einen sprechen von Sustainability wie von einer Heilsbotschaft, die einen neuen Wirtschaftsbegriff prägen soll, andere gebrauchen Nachhaltigkeit als grünen Anstrich für ein angekratztes Image. Zwischen den Vorgaben und Bewertungen des als Gütesiegel fungierenden „Dow Jones Sustainability Index“, der aus jeder Branche die Unternehmen mit den besten Nachhaltigkeitsleistungen herausfiltert, und den selbst erstellten Umweltvisionen vieler Mittelständler klafft eine Kluft, wie sie kaum größer sein könnte – insbesondere in Deutschland.

Die Diplom-Ingenieurin Carolina Schweig ist seit Jahren mit ihrem Unternehmen auf dem Gebiet nachhaltiger Produktionswege und innovativer Verpackungen international erfolgreich am Markt vertreten. Sie plädiert dafür, Nachhaltigkeit als Managementinstrument einzusetzen – also als Teil der Unternehmensstrategie, für die wiederum in den unterschiedlichen Fachbereichen Ziele definiert und Maßnahmen umgesetzt werden. Ähnlich wie bei anderen Unternehmenszielen und Strategien müssen die ergriffenen Maßnahmen für beispielsweise die Reduktion des Kohlendioxydausstoßes oder die Verringerung des Energieverbrauchs in ihrer Effektivität gemessen werden – üblicherweise mit Leistungskennzahlen (KPIs).

In der April-Ausgabe der Fachzeitschrift „creativ verpacken“ gibt die Verpackungsexpertin Schweig sachkundig einen Einblick in die Thematik. Sie berichtet von einer sinnvollen, übergreifenden Nachhaltigkeitskonzeption, die neue internationale Maßstäbe schafft, berichtet von einem „Bio“-Kongress, dessen Organisatoren den Blick fürs Wesentliche zeigten und erläutert Nachhaltigkeitsprofile als Teil der Markenwelt sowie deren Umsetzung in Verpackung und Marketing. Business-on.de hat vorab mit Carolina Schweig über ihr tägliches Geschäft und ihre Erfahrung mit Nachhaltigkeit gesprochen.

business-on.de: „Grüner Anstrich oder Heilversprechen“ lautet der Titel Ihres Fachbeitrags im Branchenmagazin „creativ verpacken“. Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?

Carolina Schweig: Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen echter Nachhaltigkeit und einem rein ökologischen Ansatz. Nachhaltigkeit ist mehr als nur die Ausrichtung auf beispielsweise Bioprodukte. Eine Nachhaltigkeitsstrategie umfasst unter anderem eine Optimierung der Produktionswege, Prozessketten, einen fairen und sozialen Umgang mit allen Beteiligten, von den Feldarbeiter in produzierenden Ländern bis hin zu den Mitarbeitern im Unternehmen. Nachhaltigkeit ist somit nicht nur Imagepflege, sondern bietet auch ein Einsparpotenzial. Daher sehe ich eine im Management verankerte und im Unternehmen gelebte Nachhaltigkeitsstrategie als eine wirkliche Investition in die Zukunft.

business-on.de: Sie beschreiben die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit als strategische Managementaufgabe. Gibt es Standards für nachhaltiges Handels, die Unternehmen anwenden können? Viele Unternehmen sehen Nachhaltigkeit als Marketinginstrument. Halten Sie das für ausreichend?

Carolina Schweig: Nein, Standards, die gleichermaßen eins zu eins für jedes Unternehmen anwendbar wären, gibt es nicht. Vielmehr muss die Strategie des nachhaltigen Handels exakt zum Unternehmen passen, oder besser gesagt, die Nachhaltigkeitsstrategie muss ein Teil der Unternehmensphilosophie und Markenführung sein. Wenn das umgesetzt wird, ist Nachhaltigkeit kein „grünes Make-up“ sondern Teil der Unternehmenskultur und damit auch glaubhaft.

Wird Nachhaltigkeit rein als Marketinginstrument gesehen, gibt es diese „Wir haben jetzt auch ein Bio-Produkt-Aktionen“, bei denen sich der Konsument nach dem Sinn fragt und die für das Unternehmen selbst nur sehr hohe Zusatzkosten bedeuten. Diese „aufgesetzten Marketingaktivitäten“ sind nicht nur direkt kostspielig – weil Rohstoffe und Produktion auf die kleine Biomenge eingestellt werden müssen, sondern auch indirekt, da Verbraucher zunehmend dazu tendieren solche „Unwahrheiten“ mit Kaufverzicht zu bestrafen.

Wichtig ist es, Nachhaltigkeitsmarketing und Nachhaltigkeitsmanagement nicht als einen neuen Hype zu sehen, dem man hinterherläuft. Beschäftigt man sich wirklich mit dem Thema, stellt man fest, dass alle Marketing- und Unternehmensleitlinien, die sich den vergangenen Jahrzehnten als richtig erwiesen haben, in einem nachhaltigen Unternehmen sinnvoll ergänzt werden.

business-on.de: Wie beurteilen Sie die öffentliche Debatte um nachhaltiges Handeln? Und wie reagieren Verbraucher?

Carolina Schweig: Nachhaltigkeit wird für Verbraucher immer mehr zum Entscheidungskriterium. Sie schauen dabei nicht nur auf „Bio“, sondern bewerten Produkte zunehmend ganzheitlich und erwarten einen „guten Preis für gute Qualität“. Sie interessieren sich dafür, ob Textilien ohne Kinderarbeit produziert werden oder ob nachwachsende, ressourcenschonende Rohstoffe zum Einsatz kommen, das heißt die gesamte Wertschöpfungskette vom Rohstoff bis zum Endprodukt rückt immer mehr in den öffentlichen Fokus. Beispielsweise gingen in den vergangenen Monaten viele kritische Berichte durch die Medien über Kleidung, die in Asien produziert wird. Das sensibilisiert die Konsumenten weiter und erhöht den Druck auf Modebranche, die wiederum zum Beispiel mit Öko-Kollektionen reagieren.

Laut GfK-Haushaltspanel ConsumerScan 2012 sind etwa ein Drittel der deutschen Verbraucher kritisch. Sie reagieren positiv auf besonderes und glaubwürdige Engagement der Unternehmen oder sie bestrafen massiv bei „Sünden“ – man denke etwa an den Shitstorm, den ein Werbespot für Kitkat nach sich zog. Durch die weltweite Vernetzung werden „Greenwasher“ heute schneller entlarvt und härter abgestraft.

business-on.de: Wo stehen deutsche Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit? Und wie sehen die Zukunftsperspektiven aus?

Carolina Schweig: In Deutschland ist vielerorts noch Skepsis und Zurückhaltung beim Thema „Nachhaltigkeit zu spüren – Nachhaltigkeit wird häufig noch mit einem Bio-Begriff aus dem Deutschland der 80er-Jahren gleichgesetzt und dessen Sinnhaftigkeit angezweifelt. Leider werden dadurch Zukunftschancen für Unternehmen und Märkte, die durch ein modernes internationales Nachhaltigkeitsverständnis ermöglicht würden, nicht ausreichend wahrgenommen. Nur wenige Mittelständler, wie beispielsweise Werner und Merz mit seiner Marke Frosch, haben Nachhaltigkeit wirklich verstanden und nutzen das „System“ um Innovationen zu schaffen, Kosten zu sparen und Partnerschaften im Markt zu etablieren, die die Marke langfristig stützen.

Man muss sich bewusst machen, dass der gesamte Konsumgütermarkt schrumpft – das betrifft schnell wechselnde Konsumgüter (FMCG), „weiße Ware“ wie auch den Lebensmittelmarkt. Unsere alternde Gesellschaft konsumiert weniger und benötigt weniger Nahrungsmittel. Somit ist eine Abflachung des Absatzes zu erwarten. Stagnation oder Wachstum lassen sich vorrangig durch einen Mehrwert für den Konsumenten – durch echte Nachhaltigkeit – erreichen. Denn die Generationen sind bis ins hohe Alter aktiv. Sie informieren sich intensiv und hinterfragen Produkte und Geschäftspraktiken. Kurz gesagt: Sie konsumieren weniger, aber bewusster. Die Unternehmen müssen sich also die Frage stellen, wo sie in 20 Jahren stehen wollen.

business-on.de: Sie kommen aus der Verpackungsbranche und beraten ihre Kunden seit mehr als zehn Jahren auf dem Gebiet innovativer Verpackungslösungen. Wie lässt sich die Nachhaltigkeitsthematik auf Ihre Branche übertragen? Was tut sich in der Verpackungsindustrie?

Carolina Schweig: Verpackungskonzepte sind ein wesentlicher Teil in der Nachhaltigkeitsstrategie. Denn die Verpackung ist zum einen für einen optimalen Schutz des Produktes verantwortlich – schont so also „Ressourcen“ vor Verderb oder Beschädigung. Zum anderen ist die Verpackung das „Aushängeschild“ für ein Produkt. Dieses Aushängeschild transportiert bewusst und unbewusst die Markenwelt und Markenphilosophie. Hier durch Packstoffe Veränderungen in der Kunden-Wahrnehmung zu schaffen, ist einer unserer liebsten Aufgaben. So konnten wir unseren Kunden Natural American Spirit mit der technischen Materialentwicklung dabei unterstützen, die sonst üblichen Aluminium-Innerliner (landläufig „Silberpapier“) genannt durch reines Papier zu ersetzen und damit etliche Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr sparen. Ein deutlich sichtbarer Verpackungserfolg, der auf Wunsch der Kunden initiiert wurde. Nachhaltigkeit kann aber auch bedeuten, Prozesskosten, Rohstoff- und Energiebedarf bei der Herstellung von Verpackungen und in der Abfüllung einzusparen, oder zusammen mit Designern Materialien und Konstruktionen für eine optimale Recycelbarkeit zu definieren.

Bei uns geht es immer um Umweltrelevanz und Kosten, ohne dabei die sozialen und ethischen Faktoren einer Verpackungsentwicklung aus den Augen zu verlieren, eine herausfordernde Arbeit.

business-on.de: Frau Schweig, vielen Dank für das Interview.

Topthema „Nachhaltigkeit“
Die Fachzeitschrift „creativ verpacken“ 3/2013 widmet sich in der April-Ausgabe umfassend dem Themenschwerpunkt „Nachhaltigkeit“. Die inhaltliche Gestaltung des Themas wurde Carolina Schweig übertragen. Das Heft erscheint am 24. April 2013 im Handel.

 

Bildquellen

  • Carolina Schweig: C.E.Schweig
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